Beach House – Panoramablick des Subjektiven

18.05.2012
Foto:Liz Flyntz
Niemand derzeit in der Popmusik spielt das Unnahbare und gleichzeitig Intime so perfekt aus wie das Duo Beach House aus Baltimore. Mit ihrem vierten Album »Bloom« schreiben sie nun diese Erfolgsgeschichte in die Breite fort.

Das Panorama leitet sich von den griechischen Wörtern pan (von pas – alles, ganz) und horama (sehen) ab und meint einen Blick unverstellter Sicht über Landschaft und Horizont. Als Victoria Legrand und Alex Scally vor zwei Jahren ihre Platte »Teen Dream« veröffentlichten, war da etwas, das diese von ihren Vorgängeralben unterschied; ein Sound, den das Duo aus Baltimore, Maryland als notwendige Dringlichkeit mit den Adjektiven »giant, crystalline and panoramic« bezeichnete. Klangliche Landschaft also, die nicht ins unscharfe Lo-fi-Dreampop-Raster passen wollte, dahingegen Klarheit, Diversität und Breite, bei Befreiung von akustischem Ballast, anpeilte. Auch auf ihrem neuen Album »Bloom« wird jenes Sound-Wollen mit bekannt minimalen Mitteln verfolgt, die synonym für die Band stehen: die leiernde Orgel, Slide-Gitarre, Keyboard und Vintage-Drum-Machines für eine gehörige Portion loneliness. Die unverkennbarste Zutat bleibt jedoch eine rausamtige, stets belegte Stimme der französisch-stämmigen Legrand, welche sowieso schon frohlockende Songs knietief in den Sog treibt. Eindringlich ist das Timbre und selbst in hohen Lagen nie lieblich – allerhöchstens bitter-sweet. Eben stets einen Tick im Dunklen. Melancholisches Herbstlaub statt zartgrüner Keime, Erde unter blau-grauem Himmel. »Bloom« markiert für die beiden Musiker ein intensiveres Klangbild, in Höhe und vor allem Breite gewachsen. »Die Songs spannen einen sehr viel weiteren Bogen. ›Teen Dream‹ zeigt ein Bild, das sehr klein und detailliert ist, die neuen Songs hingegen zeigen ein sehr viel größeres Bild, ein komplexeres, dass auch sehr viel mehr erzählt«, erklärt ein charmant spröder Alex Scally im Interview hinter Hotelfenstern.

»Die Songs spannen einen sehr viel weiteren Bogen. ›Teen Dream‹ zeigt ein Bild, das sehr klein und detailliert ist, die neuen Songs hingegen zeigen ein sehr viel größeres Bild, ein komplexeres, dass auch sehr viel mehr erzählt.«

Alex Scally
Im fantastischen Opener und Pre-Release »Myth«, das mit einem Beach House-eigenen Gitarren-Arpeggio einsetzt, heißt es so: »If you built yourself a myth, you’d know just what to give/ What comes after this/ Momentary bliss/ The consequence of what you do to me.« Alles, was geschieht, hat mindestens zwei Seiten. Auch ist der Track Einleitung der Narration, die er – gleich einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung – schon benennt: »Es gibt auf diesem Track ein großes Gefühl von Hoffnung. Deswegen ist es auch der erste Song, weil das Album DAS MÄRCHEN ist. Das zeigt, was wir für euch erdacht haben. Es ist wie die Schwingtür, die ins Album führt.«, so Alex. Und Victoria fügt hinzu: »Es beginnt sehr erklärend. Es wird zunächst zu etwas und mäandert dann zwischen eher abstrakten Bildern. Es ist eher eine Beschreibung eines Bildes durch Negation und eben nicht wortwörtlich.« Legrand und Scally sind reflektiert, ohne intellektuell angestrengt zu wirken. Eher ist da diese bestechende Gelassenheit gepaart mit einem ehrlichen Ringen um Substanz, die das Duo auszumachen scheint. Beinahe nichts finden sie schlimmer als (musikalische) Gemeinplätze und Zuschreibungen, weil sie die Erfahrungen des Einzelnen schlichtweg limitieren. Legrand, die sich im Zweiergefüge als konzeptionellen Part – gegenüber dem technisch basierten Tüftler Scally – versteht, gestikuliert mit ringbesetzten Händen (da blitzt der goldene Pferdekopf), während sie wesenhaft intuitiv über intuitive Prozesse spricht: »Die Texte sprechen über verschiedene Instinkte. Diese Instinkte sind miteinander verflochten. Und in diesem Gefühl kann das eine oder andere vorkommen. Diese Gefühle sitzen so tief. Es ist nicht so, dass ich ein Thema wähle, ich möchte viele Dinge gleichzeitig zum Ausdruck bringen. Auf diese Art kann der Hörer es von verschiedenen Seiten betrachten und das finden, was ihn anspricht.« Da ist also kaum ein initiiertes Thema, und wenn doch, dann wird dieses erst außerhalb, im rationalen Nachhinein benannt. »Bloom« trägt eine Offenheit und intensiv schillernde Momenthaftigkeit schon im Titel. Die (Lebens-)Blüte, der eben auch das Vergehen derselben immanent ist. Wenn Beach House Vergänglichkeit besingen, dann weil die Lust am Leben diesen Teil natürlicherweise einschließt. Ehrlichkeit, unverstellte Gefühle, Kontakt zu Sicht- und Fühlbarem, ein unabdingbares Maß an Abstraktion eingeschlossen, sind die Koordinaten des Beach House-Kosmos. Die Türen dorthin stehen weit offen. Und die »singular unified vision of the world« ist so kein doktrinäres Maß, sondern etwas, das im sublimen Panoramablick des Subjektiven eben erst aufzugehen vermag.