Ausklang | 2017KW33 – 8 essentielle neue Platten

18.08.2017
Hunderte neue Releases, jede Woche. Davon viele sehr gut – und bereits von diversen Portalen vorgestellt. Wir präsentieren: die unvorgestelltesten, besten Releases der Woche. Ab vom Schuss, leicht daneben und tierisch geil: der Ausklang.
Medium Medium
The Glitterhouse
Optic Nerve • 2016 • ab 30.99€
Es braucht genug an Gefühl von Suicide, damit Gitarrenmusik meinen Geschmack überlebt. 2017 gibt von solchen Bands eigentlich keine mehr, so um 1981 herum halt schon. Wie auch Medium Medium aus Nottingham. Wollte eigentlich deren Song »Serbian Village« vorstellen, aber den gabs nicht, aber den, den ich jetzt vorstellen, den ist auch nen geilen. PK

Annea Lockwood
Tiger Balm / Amazonia Dreaming / Immersion
Black Truffle • 2017 • ab 22.99€
Da Muttern als Erzieherin gegen unter anderem Krieg, Fast Food und Konsolenspiele war, musste ich mich im Grundschulalter mit einer Bücherserie namens »Wunderbare Welt der Tiere« (oder »Wunderbare Tierewelt« oder »Die Wunder der Tierwelt« oder naja ihr habt schon verstanden) begnügen, statt wie andere aus der Parallelklasse Pokémon per Button-Mashing zu zerkloppen. Dass diese Bücher allerdings nachhaltig ihren Einfluss auf mich auswirkten, zeigte sich nicht allein in Bio-Referaten über Haie (sehr intelligente Tiere) und Wale (auf den Arbeitstitel »Die sanften Riesen« war ich damals sehr stolz), sondern auch darin, wie freudig ich vom ersten Schnurrer an das Reissue von Annea Lockwoods »Tiger Balm« begrüße. Die brummelige Wildlife-Antwort auf den »Gesang der Jünglinge« kommt in Zeiten, in denen Menschen noch mehr nerven als sonst, doch sowieso gerade richtig. KC

Robert Aiki Aubrey Lowe
Levitation Praxis Pt 4
DDS • 2017 • ab 18.89€
Als ich Kristoffers überzeugende Einlassung gelesen habe, da wurde mir klar, dass ich meinen Zugang zur sonambienten Welt von Robert Aiki Aubrey Lowe (neuer Release: »Levitation Praxis Pt 4«) einzig dem Umstand verdanke, dass mir meine Mutter in frühen Kindestagen den Kauf eines Schlagzeuges verweigerte, und ich es ihr heimzahlte, in dem ich mit Löffeln, Stiften und anderen Klöppeln auf Windfänger, Bratpfannen, Kochtöpfe, Stehlampen drosch und so Klangkunst für mich entdeckte. Ist doch eine gute Geschichte. Lasse ich mal hier so stehen. SH

Man Duo
Orbit
Solina • 2017 • ab 9.99€
Wenn Jaakko mitmacht, mach ich’s auch. Dann will ichs haben, selbst wenn ichs eigentlich nicht haben wollte in se first place. Also wie ein Kind, dass den Spielzeugbagger ablehnt, wütend und schnaubend abzieht, dann aber das engelsgleiche, durchschlafende Kind mit Augen, die keine Aggression kennen, ankommt und mit dem Bagger Linien über den Teppich zieht in einer Ruhe, dass die ganze Umwelt dadurch besser atmen kann. Jaakko. Jetzt mit Long-Sam als Man Duo. Wenn Synth-Pop mit einem gleichgültigen Stinkefinger wirkt, als sei er sich kümmender, zärtlich den Zeigefinger am Nippel. PK

Raoul K
Just In A Moment To Find A Way To Sun Dance
Baobab • 2017 • ab 8.99€
Mach mal, ich find’s gut und nutz die Gelegenheit, um noch tiefer in die eigene Kindheit einzutauchen – kann mir mal jemand eine Couch reichen? Jedenfalls: Nicht selten machte ich im Knirpsenalter in der Marzipantown Lübeck Halt, wo bekanntermaßen auch Mr Raoul K als bekanntester und mit Abstand geilster Sohn der Stadt residiert. Nach gefühlt einem halben Jahrzehnt Funkstille kommt er endlich mit einer neuen EP aus dem Gemäuer, die wieder Deep House mit Westafrika zusammenbringt, was bei ihm ja die beste Kombination seit zuckriger Mandelmasse und Zartbitter ist. »Just In A Moment To Find A Way To Sun Dance (Street Mix)« klingt dabei zwar nicht nach der beschaulichen Fachwerkkulisse von Ks Heimat, immerhin aber nicht so kompliziert und verausgabend wie sein Name suggeriert. Alles nochmal gut gegangen. KC

Gacha Bakradze
We Must Be Woods EP
Apollo • 2017 • ab 7.99€
Powertipp für die Digital Detox-Bemühungen an verregneten Sommertagen: Treiben lassen zu Gacha Bakradzes mittlerweile xter EP in den letzten drei Jahren, seiner yten auf Apollo. »Gather« allein: Fanfaren-Ambient in allen Facetten, der sich auf kompakten sechs Minuten alles erlaubt: Hallvocals, Vibraphon-House mit schnalzender Snare und Glitzergitarrengetröpfel und zuletzt natürlich ein völlig unkorrekt herbei gesampelter Chor für den letzten Lion King-Schliff, bevor die Sonne im scheppernden Bass untergeht. Das würden andere auf ein ganzes Album verpacken, Gacha zum Glück aber komprimiert seine ganze Schamlosigkeit in einen einzigen Track, der sich freundlich als Alternative zum semantischen Dauerfeuer der Timeline anbietet. Prädikat: bescheuert-geil, Hirn ausschalten dringend empfohlen. KC

Mika Vainio
Oleva
Puu • 2008 • ab 22.99€
In diesem Frühjahr ist Mika Vainio gestorben. Nun, er war nicht der einzige bedeutende Musiker, der in den letzten zwei Jahren von uns gegangen ist. Aber sein plötzliches Wegbleiben hat mein Leben mehr berührt, als das vieler, mitunter auch namhafterer Musiker. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass der Finne im virtuellen Freundesdunst stets zum Greifen, also keine zwei Klicks weit entfernt, war. Zum anderen wurde durch seinen Tod ein Stream meiner Standleitung, die mir fortlaufend gute Musik liefert, jäh gekappt. Also um es mal anders auszudrücken: von Leonard Cohen habe ich die Musik der 1960er Jahre gehört, von David Bowie die Alben aus den 1970er Jahren, von Prince ausschließlich die 1980er Jahre. Aber Mika Vainio hat mich seit den 1990er Jahre bis zum Schluss immer wieder mit neuer Musik, ungehörten Sounds, aufregenden Ideen den Wert von guter Musik spüren lassen. Es ist auch kein Zufall, dass ich Mika Vainio in einer Reihe mit diesen Namen nenne, denn ich glaube, dass sein Einfluss auf die zeitgenössische Musik, diesseits und jenseits der Clubs, nicht zu gering zu schätzen ist. Das Label Sähko hat jetzt »Oleva«, 2008 unter seinem Pseudonym Ø veröffentlicht, eine Reissue gewährt. Dort zu hören ist der Track »S-Bahn«, der zeigt, auch nur das kleinste Partikel eines Knarzens (das »arz« sozusagen) kann Basis eines veritablen Beats sein. SH

Panjabi MC
Jogi remix feat. Beenie Man
Sequence • 2003 • ab 6.29€
Minimal Synth aus Australien. Augen auf Halbmast, Purple Pills im Birchermüsli. Musik, um auf der Autobahn den Tempomaten einzuschalten, auf Tumblr zu surfen, und überall die absurden und lustigen Memes nicht mal mehr einen Mundwinkel zu verziehen. Weil man dafür einfach zu müde ist, aber ein kleines Kichern irgendwie tief innen ist geblieben, und dafür lohnt es sich. Das Auto fliegt mühelos über die A3. PK