Anikas vorheriges und zweites Album »Change« ist 2021 erschienen, inmitten der Corona-Pandemie, gefangen zwischen Krise und Nichtstun, in vielerlei Hinsicht anzuhören ist. Unter anderem, weil »Change« explizit für einen Kopfhörersound geschrieben worden ist – in völliger Ungewissheit darüber, ob und wann wieder Liveshows stattfinden könnten. Mit »Abyss« ist nun ein rebellisches, politisches Album erschienen, das raus will, live erlebt werden will.
Wir haben die Musikerin getroffen und mit ihr über vieles geredet. Im Zentrum stand vielleicht die Frage: An was kann man glauben?

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Du singst auf deinem Vorgänger-Album »Change« noch: »I think we can change« – wir können uns ändern. Du sahst Grund zur Hoffnung. Glaubst du das noch immer?
Anika: Ja klar, an manchen Tagen glaube ich das noch immer. Doch dann gibt es andere Tage, an denen ich mehr im Kampfmodus bin – das ist, was wir jetzt brauchen. Mehr aktive Menschen. »Change« ist inmitten der Pandemie entstanden, aber wir sind jetzt nicht mehr zu Hause im Lockdown, sondern wir können raus und etwas tun gegen den Zustand auf der Welt. Wie nötig das ist, zeigt ja schon der Ausgang der Wahlen zum Beispiel in Deutschland oder in den USA.
Wie schließt »Abyss«, dein neues Album, an den Vorgänger »Change« an?
Anika: Es ist schwierig, die beiden Alben nebeneinander zu setzen. Ich habe überlegt, ob ich Lieder von der alten Platte jetzt noch live spielen soll, aber ich habe mich dagegen entschieden. Wir befinden uns in einer anderen Zeit. Es braucht etwas anderes und andere Themen. Auf der neuen Platte geht es auch darum, zusammenzukommen, was zu Corona-Zeiten nicht möglich war. Ich wusste damals ja nicht einmal, ob ich »Change« überhaupt live spielen können würde. Die neue Platte habe ich daher explizit für Live-Shows geschrieben, auch weil ich Konzert-Locations, gerade kleinere Locations, unterstützen möchte. Solche Orte sind essentiell, wenn es darum geht, dass Leute wieder interagieren. Für mich als Kind und Jugendliche waren die Orte, an denen ich mich wirklich entspannen und ich selbst sein konnte, Konzerte. Wo es Leute gab, die genau wie ich waren. Live-Shows sind Orte der Akzeptanz, und geben dir dieses gute Gefühl, dass du weißt: Selbst im Moshpit wirst du, wenn du fällst, wieder hochgeholt. Es ist einfach ein bisschen sozialer. Nicht wie Social Media, sondern richtig, menschlich sozial – in der Wirklichkeit, nicht nur auf Social Media.
»[Kleine Locations] sind essentiell, wenn es darum geht, dass Leute wieder interagieren – in der Wirklichkeit, nicht nur auf Social Media.«
Anika
Würdest du sagen, dass es ein politisches Album ist?
Anika: Ja, ich spreche ganz verschiedene Themen an. In »Hearsay« etwa geht es darum, wie einfach wir zum Beispiel durch soziale Medien zu beeinflussen sind und wie schnell sich Unwahrheiten verbreiten. Das konnte man am Brexit gut beobachten, aber auch bei den letzten Wahlen in den USA. Viele konsumieren ihre Nachrichten nur noch durch Social Media, durch YouTube etc. Das ist gefährlich.
Auch religiöse Themen haben ihren Weg in deine Texte gefunden.
Anika: Es gibt kein Lied, in dem es nur um eine Sache geht. In meinem Kopf passieren immer viele verschiedene Dinge gleichzeitig, und das spiegelt sich auch in meinen Songs wider. (lacht) Was die religiösen Themen angeht: Da ging es mir darum, auszudrücken, dass wir uns in sehr komischen Zeiten befinden, wo zumindest im Westen keiner mehr einen Glauben an irgendetwas hat – außer an politisch extreme Figuren. Zugleich sind die verschiedenen Religionen auf der Welt noch immer ein Grund für Kriege. Darum geht es auch in manchen Songs: Wie wir durch unseren Glauben schlimme Taten rechtfertigen.
»One Way Ticket« ist mir eindrücklich in Erinnerung geblieben.
Anika: In dem Lied geht es unter anderem um die ehemalige innerdeutsche Grenze und das aktuelle Wiedererstarken der Rechten. Es gab früher diese Mauer zwischen Ost und West, die jetzt zwar weg ist, und es gibt keine Grenzsoldaten mehr, die patrouillieren, aber heute gibt es andere Mauern, die die Menschen spalten. Das können einerseits die Klassenunterschiede sein, die es in Berlin gibt. Aber es geht auch um politische Mauern: Ich denke, die Menschen sollten sich mehr Sorgen um die rechten Kräfte machen, die gerade an die Macht kommen. Die neue Rechte hat uns so sehr im Griff. Und man muss sich nur die Machtspiele von Elon Musk anschauen. Wie gesagt: Es sind schwierige Zeiten. Wir sollten ein bisschen wachsamer werden und uns vielleicht mehr politisch engagieren.
»Es ist okay, manchmal einfach mürrisch zu sein.«
Anika
Sprichst du darüber auch in »Walk away«? Dass wir nicht den Kopf in den Sand stecken oder davon rennen, sondern aktiv werden sollen?«
Anika: »Walk away« ist eher ein persönlicher Song und handelt davon, dass es manchmal das Beste ist, einfach wegzugehen. Man kann nicht alle Probleme lösen. Das ist schwer zu lernen, aber auch darum geht es. Aber auch dieser Song hat viele Themen: Es geht um geistige Gesundheit und darum, ehrlich zu sich selbst zu sein. Wir können allen unseren Seiten Raum geben und sie zeigen, nicht nur die perfekten Instagram-Momente.
»Walk away« hat starke 90er-Vibes. Du hast ja selbst schon Grunge als Einfluss bzw. Stoßrichtung genannt. Eine Musikrichtung, die, bevor sie zum Mainstream wurde, für Rebellion und Sozialkritik stand.
Anika: In letzter Zeit habe ich mir Dinge erlaubt, die ich mir früher nie erlaubt habe. Selbst als ich jünger war, habe ich nicht wirklich rebelliert, ich hatte immer viel Verantwortung. Und gerade erlebe ich, wie es ist, manchmal die Verantwortung loszulassen. Was ich an Grunge mag, ist die Message, dass man nicht immer perfekt sein muss, um sich wohl in seiner Haut zu fühlen. Grunge hat sich nicht zurückgehalten, es war ein bisschen realer, und das ist, was ich im Moment brauche. Und vielleicht ist es auch das, was andere brauchen. Es ist okay, manchmal einfach mürrisch zu sein.
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Welche Aufgabe hat Musik deiner Meinung nach gerade in dieser Welt, in der eine Krise auf die nächste folgt?
Anika: Musik kann viele Funktionen erfüllen. Mir geht es momentan vor allem um den sozialen Aspekt, ums Zusammenkommen. Durch Musik lassen sich Wege finden, wieder Safe Spaces und etwas Gemeinschaftliches zu schaffen. Deshalb versuche ich, so viel wie möglich zu spielen. Auch, wenn es heutzutage ziemlich anstrengend ist. Denn eigentlich verliere ich durch das Touren nur Geld. Ich verdiene zu wenig Geld durch Verkäufe, also mache ich im Grunde nur Verlust, wenn ich ein Album herausbringe. Es könnte also mein letztes sein, but at least I’ll go out with a bang. Ich will einfach so oft wie möglich spielen.
Mit Blick auf den letzten Song auf dem Album – »Buttercups« – am Ende: Optimismus?
Anika: Ja, deswegen steht der Song ganz am Ende, sogar nach dem Lied »Last Song«. Es geht um die Hoffnung, dass, selbst wenn alles in Schutt und Asche liegt, wieder Butterblumen wachsen. So ist die Welt auch. Alles ist zyklisch, Tod und Wiedergeburt. Und ich glaube, damit sich die Dinge wieder zum Positiven wenden können, müssen sie zuerst komplett crashen.