Alfa Mist über die eine Komponente, die seine vielfältige Musik vereint

27.04.2023
Foto:Kay Ibrahim © Anti-
Er kommt vom Beatmaking und ist beim Jazz gelandet. Für sein neues Album wollte Alfa Mist vor allem eines: zurück. Zurück zur Energie. Ein Gespräch über Wahlmöglichkeiten, das Lernen und das Machen.

Alfa Mist hat mit Grime angefangen. Wer die bekannten Alben des Musikers auflegt, wird diesen Fakt nicht unbedingt raushören, die Tatsache zeugt jedoch von der Vielfältigkeit und der Offenheit, die in ein Alfa-Mist-Instrumental fließen, und sind gleichzeitig Zeichen einer eindeutigen Herkunft: Diese Musik, die inzwischen grob unter Jazz katalogisiert wird, kommt ursprünglich vom Rap. Auf seinem neuen Album, »Variables« gesellen sich Big-Band-Jazz-Nummern zu Hip-Hop-Einlagen, Soul-Tracks treffen auf Folk-Anleihen.

Aber alles begann klassisch mit Beats. Und entwickelte sich mit wachsender Neugier. Alfa Mist erkundete verschiedene Produktionsweisen und gelangte übers Sampling zum Jazz. Mit einer neu eröffneten Klangwelt im Hinterkopf brachte er sich selbst das Klavierspielen bei. So steht heute auf allen seiner fünf bisher veröffentlichten LPs steht ein anderer anderer musikalischer Ansatz im Fokus: Seine Kompositionen bieten Raum für zurückgelehnte Hip- Hop-Klänge als auch jazzige Ausschweifungen. Nie so formtreu, um als lupenreiner Jazz durchzugehen, und doch zu facettenreich für Easy Listening. Im Interview spricht Alfa Mist über die Frage, die ihn im Produktionsprozess von »Variables« begleitet hat, und wie sich sein Arbeitsrhythmus über die Jahre verändert hat.

Die zehn Songs auf Variables klingen recht eklektisch in Bezug auf Sound und Genre. Was würdest du sagen, ist der Klebstoff, der alles zusammenhält?
Alfa Mist: Das Album heißt »Variables«, weil alle Tracks verschiedene Aspekte meiner selbst sind. Ich hätte aus jedem ein eigenes Album machen können. Aber ich denke, die emotionale Harmonie hält alles zusammen.

Meinst du eine bestimmte Emotion?
Keine bestimmte Emotion, nur irgendeine Art von Emotion. Ich mag Filmsoundtracks sehr. Als ich jünger war, habe ich viele Filme gesehen und gemerkt, wie Musik die Stimmung oder den Ton einer Szene beeinflusst. Man kann fröhliche Musik haben, wenn etwas Schlimmes passiert, oder traurige Musik, wenn etwas Schönes passiert. Die Musik kann diktieren, was der Regisseur in einer Szene zeigen möchte, und so gehe ich auch mit meiner Musik um.

»Ich habe Musik studiert, ich hatte nur keinen Lehrer.«

Alfa Mist

Gibt es bestimmte Soundtracks oder Alben, die »Variables« beeinflusst haben?
Wenn ich ein Album mache, mag ich es nicht, einen bestimmten Song oder ein bestimmtes Album im Kopf zu haben. Dann machst du am Ende einfach deine Version von dem, was du gehört hast. Trotzdem höre ich ständig Musik, also sind die Einflüsse ohnehin immer da.

Hast du ein Beispiel?
»Forward«, der erste Track, zum Beispiel, kommt aus allem, was ich je gemacht habe, traditionellem Jazz wahrscheinlich am nächsten. Wenn du irgendwelche Jazzgrößen fragen würdest, würden sie wahrscheinlich nein sagen. Aber für mich ist das wahrscheinlich das traditionellste Jazz-Ding, das ich je gemacht habe, wie zum Beispiel einen Walking Double Bass einzubringen. Es ist also von all den Jazzgrößen inspiriert, die ich im Laufe der Jahre gehört habe. Aber es ist nicht so, als hätte ich mich hingesetzt und gedacht, ich würde einen Track wie Miles Davis machen.

Woher ziehst du hauptsächlich die Inspiration für deine Alben?
Ich denke, es ist einfach das Leben. Wenn ich als Person wachse, fließt das irgendwie in die Musik ein. Meine Alben sind normalerweise konzeptionell. Sie basieren auf Fragen. Bei »Variables« geht es um unendliche Möglichkeiten. Ich habe mit einem meiner Freunde über Leute gesprochen, mit denen wir zur Schule gegangen sind, und dass alle genau die gleiche Erziehung hatten, aber ganz anders geworden sind. Es ist verrückt, wie Menschen in genau denselben Situationen aufgewachsen sind und das Leben für sie völlig verschieden verläuft. An solche Fragen denke ich also, wenn ich Musik mache. Es geht dann nicht darum, etwas mehr nach Hip-Hop klingen zu lassen, sondern ich frage mich, was die Idee dahinter ist. Solange ich es mit den Ideen leite, treiben mich diese an, anstelle eines musikalischen Themas. Es geht mehr ums Konzept als alles andere.

Hier: Alfa Mist hat beim Stuhltanz gewonnen /// Kay Ibrahim © Anti- Records

Also kann ich mir »Variables« als die vielen verschiedenen Möglichkeiten vorstellen, die du in dir trägst?
Genau, konzeptionell geht es darum, wie wir alle hier gelandet sind. Es gibt verschiedene Entscheidungen, die wir alle in unserem Leben getroffen haben, die bedeuten, dass du hier in diesem Stuhl sitzt und mit mir sprichst und ich dir gegenübersitze. Wir haben in unserem Leben verschiedene Entscheidungen getroffen, und wenn wir eine Entscheidung anders getroffen haben, wären wir heute möglicherweise nicht hier. Vielleicht wären wir in einem anderen Hotel oder vielleicht wäre ich in London und würde immer noch nicht das machen, was ich jetzt tue. Das ist das Konzept und musikalisch gesehen, sind das zehn verschiedene Variablen in Bezug auf die verschiedenen Alben, die ich hätte machen können. Es sind also zwei Aspekte, musikalisch und konzeptionell.

»Ich kann nicht anders, als Melodien und emotionales Zeug zu schreiben, aber den ganzen Energieaspekt wollte ich auch zurückbringen..«

Alfa Mist

Du hast damit begonnen, Grime-Beats zu produzieren, und dich dann mehr dem Jazz zugewandt. Hat dich das in deiner Arbeit an diesem Album wieder beeinflusst?
Bei einigen Beats, die ich früher gemacht habe, wollte ich im Grunde mit dem Kopf nicken. Ich wollte einfach einen Beat machen, der Energie in sich trägt, egal wie die Harmonie war. Als ich dann Klavier gelernt habe, drehte sich alles um Melodie und Harmonie – Dinge, die mich emotional bewegten. Ich kann nicht anders, als Melodien und emotionales Zeug zu schreiben, aber den ganzen Energieaspekt wollte ich auch zurückbringen. Ich wollte mit dem Kopf nicken und mich so fühlen, wie ich es mit vierzehn oder fünfzehn getan habe. Das ist der Ansatz, den ich verfolgt habe, unabhängig davon, ob sich das auf »Variables« überträgt oder nicht.

Was hat sich seitdem am meisten in deinem Produktionsprozess verändert?
Früher habe ich Musik komplett allein gemacht. Ich habe nie mit anderen Leuten gespielt. Ich konnte es mir nie wirklich leisten, mit einer Band ins Studio zu gehen. Ich war in meinem Schlafzimmer und habe an Hip-Hop-Beats gearbeitet. Musik offenbart sich anders, wenn die Meinungen und Einflüsse anderer Menschen involviert sind. Dann hat man am Ende etwas, das man allein nicht hätte machen können und nur die Leute im Raum hätten es machen können. Würde dieser Bassist durch einen anderen Bassisten ersetzt, wäre der ganze Song komplett anders geworden. Jetzt ist das Produzieren von Beats nur die erste Phase, während es vorher die letzte war.

Und wenn du jetzt mit verschiedenen Leuten arbeitest, woher weißt du, wann ein Song fertig ist?
Wenn wir gemeinsam im Studio sind und beispielsweise zehn Minuten haben, dann wird, was auch immer in diesem Moment passiert, festgehalten. Wenn wir es besser machen wollen, können wir das versuchen, aber dann höre ich manchmal einfach auf und sage, das ist es. Dann ist der Track fertig. Das hört man irgendwie im Moment. Wenn es zwei oder drei Momente im Song gibt, die mir gefallen, dann hat es sich gelohnt, auch wenn der Rest Fehler waren. Für diese zwei oder drei Momente lohnt es sich, den Song so zu belassen. Und manche Leute, mit denen ich spiele, mögen diese Art, Dinge zu tun, vielleicht nicht. Aber ich denke, es lohnt sich, diese Momente zu veröffentlichen, als den perfekten Song ohne Fehler, aber dann ohne Momente zu haben.

Du bist Autodidakt und nicht klassisch als Musiker ausgebildet. Auf »Variables« gibt es einige Tracks mit viel Instrumentierung. Wie komponierst du für die Gruppe von Musikern, die mit dir spielen?
Ich habe keine klassische Ausbildung, aber ich habe mir das Klavierspielen mit YouTube-Tutorials selbst beigebracht. Ich kann Musik schreiben, ich schreibe nur keine Notation auf. Ich habe als Produzent angefangen, also weiß ich, wie man Beats macht. Ich mache alle Tracks in Midi-Form mit Logic oder etwas Ähnlichem. Ich spiele alle Teile einzeln ein und schicke es jedem, der es lernen muss. Also, ich habe Musik studiert, ich hatte nur keinen Lehrer. Es kam durch Hip Hop und die Begegnung mit Jazzmusik.

In der Geschichte des Jazz gibt es viele sehr gute, traditionell ausgebildete Musiker*innen. Deine Herangehensweise bricht mit diesem Schema. Welchen Vorteil bringt dir diese Art, an die Musik heranzugehen?
Ich denke, es macht mich zu mir selbst. Wenn man in einer Klasse ist, werden einem die Grundlagen von allem beigebracht. Man muss alles lernen und in allen Aspekten gut ausgebildet sein. Mir ging es aber darum das zu lernen, was ich auch mochte. Also lernte ich nur, woran ich interessiert war, während mir das verweigert werden würde, wenn ich in einer Klasse wäre. Ich habe keine wirklich gute Grundlage, weil ich mich einfach für Dinge entschieden habe, die mir gefallen haben. Egal wie leicht oder schwer es war, ich habe Lieder gelernt, die meine Hände vorher nicht spielen konnten. Egal wie schwierig oder hart es ist, ich muss es mögen und ich muss es wollen. Es macht mich nicht besser als alle anderen, aber es macht mich speziell zu mir. Ich denke, das ist es, was jeder anstreben sollte. Sich selbst zu sein, nicht besser als andere zu sein, sondern einfach besser zu sein als der, der du gestern warst. Ich denke, das hilft mir, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Dieser Beitrag ist Teil des Themenschwerpunkts

Britischer Jazz

Unter dem Themenschwerpunkt »British Jazz« fassen wir Beiträge zur Jazzmusik aus Großbritannien zusammen.

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