Aigners Inventur: Februar 2025

03.02.2025
Nicht nur der unangenehme orange Mann ist zurück, auch unser Kolumnist Aigner betritt wieder die Weltbühne. Neben Grönland nimmt dieser die jüngsten Werke von Kendrick Lamar, Cindy Lee, Holy Tongue und anderen in den Blick.
Kendrick Lamar
GNX
Interscope • 2025 • ab 29.99€

Heute wäre David Lynchs 79. Geburtstag, heute ist die zweite Amtseinführung für DJT. The shit is fucked, aber ey, das neue Album von Kendrick Lamar gibt es in drei Vinyl-Varianten. Dass Kendrick high-key ein Psychopath ist, war spätestens auf »Meet The Grahams« evident, seine Wagenbeißerkeit ist aber – siehe »Not Like Us« – da am schlagkräftigsten, wo sie mit klassischen Westcoast-Tokens ausgefüllt wird. Deshalb ist »GNX« auch ein so potentes Album: die typische Überanstrengung, Kendricks lyrische Dichte, wird hier von einer Mixtape-Ästhetik unterwandert, in der sich mühelos die Referenzpunkte Quik/Dre/Mustard abwechseln.

Florian Aigner
Roc Marciano & The Alchemist
Skeleton Key
Pimpire • 2025 •

Drei Monate vor Lynch starb Ka, ein Rapper, der mit seinen semi-penetrablen Texten, meist drumlosen Loops und schroff-monotoner Delivery ebenfalls einen absoluten Sonderstatus innehatte. Vielleicht der Einzige, der Kas Erbe inoffiziell verwalten könnte, ist Roc Marciano, wenngleich die Quadruple Entendres sich thematisch deutlich unterscheiden. Marci arbeitet auf »The Skeleton Key« wieder mit Alchemist zusammen, alles wie gehabt, auch qualitativ.

Florian Aigner
Travis Scott
UTOPIA
Sony • 2023 • ab 20.99€

Travis Scott bleibt auf »Utopia« die identitätsloseste Gallionsfigur im Rap-Game, ein Thronfolger, der in erster Linie von Kanyes Selbstdemontage, Young Thugs Rico-Auszeit und Drakes Überpräsenz profitiert, aber auf Albumlänge ein ums andere Mal untermauert, dass sein eigentliches Genie in chamäleonhaftem Branding und nicht visionären Konzepten liegt.

Florian Aigner
990x
Ruins
Sferic • 2024 • ab 28.99€

(Sound)cloudrap könnte in der Geschichtsschreibung eine Fußnote bleiben, autobiographisch ist allerdings ein ganzes Kapitel. Deswegen funktioniert »Ruins« auch so gut, locker zehn Jahre nach dem ersten Clams-Casino-Kater: die Naivität der Obama-Jahre und der dauernde Substanzen-Missbrauch in den Texten prä Opioid-Krise hitten heute anders.

Florian Aigner
Tolouse Low Trax
Fung Day
Tal • 2024 • ab 28.99€

Was im April 2023 galt, gilt auch für Januar 2025: Das neue Tolouse Low Trax-Album ist abgeklärt unkritisierbar, wie immer. Man kann da schwurbeln, von wegen Paris, Vaterglück, den glitchigeren Sounddesign et al., aber wahrscheinlich trifft es eine hemdsärmeligen Mode-Metaphor besser: »Fung Day« ist ein zeitloser Lemaire-Mantel in dunkelgrau. So, doch Paris untergebracht.

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Actress
Darren J. Cunningham
Smalltown Supersound • 2024 • ab 26.99€

Actress braucht auch im zwanzigsten Dienstjahr ein Ventil. Neben dem ziemlich brillanten, beat-lastigen »Statik« erschien Ende diesem Jahres so etwas wie die subtile Fußnote in Kollagenform, die davor bereits auf RA digital veröffentlicht wurden. Sein bürgerlicher Name, »Darren J. Cunningham«, firmiert hier als Klammer für Piano-Interludes, bit-gecrushten Chain Reaction’isms und Sähkö-Irrationen.

Pippo Kuhzart Florian Aigner   Zur Review
Ghost Dubs
Damaged
Pressure • 2024 • ab 31.99€

Jah Schulz hat einen der schlechtesten Künstlernamen seit —. Aber musikalisch? Kinda unfickmitbar. Als Ghost Dubs hat Schulz mit »Damaged« ein Album für The Bugs Pressure Label gemacht, das die stets omnipräsenten Dub-Einflüsse noch mehr einkocht und reduziert, so das eine Molasse auf dickflüssigem Etherschleim heraus kommt. Klingt eklig, ist aber geiler als Ketchup/Mayo.

Florian Aigner
Dan Melchior
Hill Country Piano
Penultimate Press • 2025 •

Dan Melchior hat gefühlt schon vierzig Alben gemacht, die alle unterschiedlich klingen. Keins davon hat mich so angefasst wie »Hill Country Piano«. Melchior, ein Autodiktat am Klavier, schafft es instinktiv das Instrument so benutzen wie Sakamoto oder Basinski, als minimalistisches Moodboard, als Zersetzungs-Loop.

Florian Aigner
Beatrice Dillon
Seven Reorganisations
Hi • 2024 • ab 29.99€

Theoretisch ist Beatrice Dillons »Seven Reorganisations« ein logischer Schritt nach den formalistischem 150BPM-Meisterwerk »Workaround«, das – untypischerweise für hypermoderne Alben – fantastisch gealtert ist. Jetzt also die Kür, neoklassisch, mit echter Musik, das ganz Floating-Points-Programm. In der Praxis habe ich gelangweilt vier Durchläufe durchgehalten, um dann zu akzeptieren, dass ich das nicht FÜHLE.

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Lifted 
Trellis
Peak Oil • 2024 • ab 31.99€

»Lifted«, Max Ds Zusammenarbeit mit Matt Papich, geht derweil in die nächste Ruhe, dieses Mal für Peaked Oil. Die A-Seite ist on 1st Listen signifikant stärker, insbesondere das Piano-Lullably »Open Door« sticht heraus, aber die abyssiger B-Seite könnte der Sieger über die Langdistanz werden.

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So Sner
The Well
TAL • 2024 • ab 28.99€

Noch mal Tal in den Winterhighlights, wenngleich »The Well« nicht an TLT oder gar Garth Eramus’ Album heranreicht, dafür ist So Sners zweites Album einen Tacken zu frickelig, und gleichzeitig zu zurückhaltend, um so anzupacken wie das Debüt. Ein solide 7/10.

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Germ Lattice
Gipping Through The Ages
Horn Of Plenty • 2025 •

Die ersten vier Takte jedes The-Fall-Songs, screwed & chopped von einer Squarepusher-AI und dann gecovered von Tomaga: Germ Lattices»Gipping Through The Ages« ist das beste Album in der Label-Diskographie von Horn of Plenty und für mich ein instant classic.

Florian Aigner
Howard Thomas
Skin Breaker
Sound Signature • 2024 • ab 37.99€

Als Referenz für »Skin Breaker« hat Howard Jones die 80s ausgerufen, Blade Runner, Sci-Fi, (Retro)futurismus – also ziemlich genau die Blaupause von Detroit Techno zu Beginn. Dementsprechend ist dieses Doppelpack für Theo Parrish' Sound Signature ein stockkonservatives, aber handwerklich ziemlich beeindruckendes Album, das wahrscheinlich noch bemerkenswerter wäre, wenn es Theo und Omar nicht schon gäbe.

Florian Aigner
Gerald Cleaver
The Process
Positive Elevatoin / 577 Records • 2024 • ab 29.99€

Wer's ausufernder möchte, ohne dabei einen akademischen Zeigefinger unter die Nase zu bekommen, wird sich in »The Process« verlieben, weil Gerald Cleaver, Detroit-Jazz-Drummer-Legende, sich auf die Flagge geschrieben habt, den Scheiß komplett from ze heart, not from ze mind anzugehen. So ist »The Process« eine fesselnder Nachzählung Detroitscher Musikgeschichte, anstatt dröger Wikipedia-Fußnote.

Florian Aigner
Holy Tongue / Shackleton
The Tumbling Psychic Joy Of Now
AD93 • 2024 • ab 27.99€

Valentina Magalettis 2024 mögen sich mit Futures 2015 oder Madlibs 2004 um die Produktivitätskrone schlagen; ein liberaler Fiebertraum, würde es nicht um brotlose Kuuuunscht gehen. Ihre Zusammenarbeit mit Shackiiii (wir sind meiner Meinung nach Duz-Mäuse) ist so Aigner-Core, das ich die Nachricht eines Holy Tongue meets Shackleton Albums zunächst für einen Scherz hielt. In der Realität ist »The Tumbling Psychic Joy Of Now« ein fantastisches Album, natürlich, aber ich bilde mir ein, das da noch Luft ist (für ein zweites Album).

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Low End Activist
Municipal Dreams
Sneaker Social Club • 2024 • ab 32.99€

Es ist gar nicht so einfach ein haunting Konzeptalbum für britisches Urbanität zu machen, ohne sich am Burial-Vergleich zu verheben. Low End Activist tut das aber maximal routiniert, »Municipal Dreams« hat das britische Bassspektrum ebenso pflichtschuldig durchdekliniert wie »Untrue«, daraus aber andere Lehren gezogen.

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Cindy Lee
Diamond Jubilee
W.25th • 2024 • ab 47.99€

Zwischen Intro und Outro dieser Inventur, Kendrick und Cindy Lee, Musk und Merz lagen 14 Tagen, die Bleakness ist geblieben, aber zum Glück auch mein Rückzugsort der nächsten Monate. »Diamond Jubilee«, dieser Safe Place des Fühlens, könnt mich (uns?) durch die nächsten vier Jahre bringen. Vielleicht? Mindestens?

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