Aigners Inventur – August 2017

06.09.2017
Braucht zehn Doppelsitzungen beim Exorzisten: die Inventur im August. Kein Wunder, werden neben großen aktuellen Themen (Fidgetspinner und FDP) auch alle relevanten Releases des Vormonats besprochen.
Rin
Eros
Division • 2017 • ab 29.99€
Auch unter uns Infantilitätskönigen gibt es sie noch, diese too old for this shit Momente. Rin, die Fidgetspinner-Version von Future, die fleischgewordene Tres Bien-Rabattmarke, hatte es eigentlich geschafft mit seinen frühen Singles auch uns Berufshängengebliebene mitzunehmen: da hatte endlich einer kapiert, wie man die Abgestumpftheit von The Weeknd in diesen A$AP-Stylefetish überführt und dabei auch immer Kunscht bleibt – vielleicht die wichtigste Voraussetzung für Ü30-Accolades. »Eros« hat sie ja auch noch, diese bereits bekannten frühen Rin-Highlights, allerdings wird auch deutlich, dass Rin der Erfolg des grenzdebilen »Bros« dazu veranlasst hat, seine Karrieziele höher zu stecken: im Deutschrap-Kontext gab es jedenfalls noch nie jemanden, der sich so unverhohlen aber geschickt in Drake-Mimikrie übte und trotzdem cool bleibt. Das ist clever, weil perfekter Abihüttensoundtrack, aber halt auch weit, weit weg.

Casper
Lang Lebe Der Tod
Columbia • 2016 • ab 23.99€
Seit vier Tagen frage ich mich übrigens, ob mir Rins oder Caspers musikalischer Ansatz sympathischer ist. Casper ist wahrscheinlich der okayste Typ in dieser Szene, der er ohnehin schon lange entwachsen ist; ein reflektierter Kerl, mit dem man sich vermutlich prächtig über Tommy Wright III und das bedingungslose Grundeinkommen unterhalten kann. Aber: Casper und insbesondere nun »Lang Lebe der Tod« ist Diskursrock für Menschen, die eigentlich keinen Bock auf Diskurs haben, quasi als würden Ich + Ich eine Tocotronic-Coverplatte machen. Man mag Casper zu Gute halten, dass seine Poesie unironisch ist, hier gibt es keinen Palace-Panzer und keine Bauernfängerei wie bei Rin, gleichzeitig aber – insbesondere im Zusammenhang mit den immer noch unangenehmst linkinparkigen Gitarren – ist das ganze Album hierin jedoch so stilisiert und banal wie ein FDP-Wahlplakat.

Das ist auch deswegen so schade, weil euch Casper vermutlich mindestens so gut erklären könnte, warum das neue Lil B Mixtape eines seiner besten überhaupt ist. Um Reimkonventionen hat sich »Black Ken« ja ohnehin nie geschoren, wie konsequent er nun aber neun Meter neben dem Beat herflowt, hätte Eazy E und Kool Keith gleichzeitig glücklich gemacht, auch weil deren Frühwerk hier so offensichtlich Pate stand. Eine 89er-Platte vom Posterboy der Postpostmoderne, als nächstes macht Toni L wahrscheinlich eine Footwork-EP.

So gar nix neues lässt sich der A$AP Mob für »Cozy Tapes 2« einfallen. Die Gästeliste ist länger geworden, was prinzipiell nicht schlecht ist, angesichts der Austauschbarkeit jenseits von Rocky und Ferg. Aber ob es mit Yamz ein derart statisches Tape gegeben hätte, fragt sich gerade nicht nur die Twitterati.

Kutmah
Trobbb!
Big Dada • 2017 • ab 27.99€
Zur Review
Ok geil, Kutmah hat genau das Album gemacht, das man ihm zugetraut hatte. »Trobbb!« führt das Beattape raus aus der Kreativkrise, ohne gleich mit der Fusionkeule zu klöppeln. Klar steckt da noch ganz viel Brainfeeder drin, aber Kuthmah ist sowohl in Sequenzierung, als auch in den bevorzugten Frequenzen stellenweise so barsch, dass das manchmal in a sehr good way fast an die frühen Achtziger erinnert und wie dort angepisste Industrial-Frickler und Avantgarde-Künstler mit wenig Expertise, aber vielen Ideen auf ihre Geräte einhämmerten, nur jetzt halt mit Dilla-Diplom.

Hype Williams
Rainbow Edition
Big Dada • 2017 • ab 19.99€
Zur Review
Als nächstes könnten wir uns acht Zeilen lang an den Spekulationen beteiligen, ob Dean Blunt nun immer noch an Hype Williams beteiligt ist oder wer zum Teufel die hier Gecrediten sein mögen. Damit würde man Blunts Trickster-Habitus noch weiter befeuern, aber am Ende vergessen haben zu erwähnen, dass »Rainbow Edition« gleichzeitig ein ziemlich subversiver Kommentar zur Soundcloud-Beatkultur, Trumpismus und Identität ist, ohne dafür viele Worte zu brauchen. Ey und übrigens: das brillant zynische #blackcardsmatter dürfte auch klären, dass Blunt soweit weg nicht sein kann.

Oneohtrix Point Never
OST Good Time
Warp • 2017 • ab 40.99€
Zur Review
Keine Ahnung, ob Soundtracks, die auch ohne den Film funktionieren, die besseren sind. Ich stelle jedenfalls fest, dass Oneohtrix Point Nevers fitzelig nervöser Soundtrack für »Good Time« vermutlich mit verantwortlich dafür sein wird, dass ich Robert Pattinson endlich adoptiere. Klaustrophobie konnte Lopatin schon immer, die Stimmung ist hier aber noch ominöser als auf normalen OPN Alben und in der Tat, den Film will ich jetzt unbedingt sehen.

Pessimist
Pessimist
Blackest Ever Black • 2017 • ab 19.99€
Drum & Bass ist dafür defintiv am besten, wenn er Platz zum Atmen hat. Das haben Photek und Source Direct verstanden, später dann auch Instra:mental und Pessimist. Für Blackest Ever Black hat letzterer nun ein Album gemacht, das Drum & Bass so skelettiert, dass die meisten Tracks nicht von den vorhandenen Elementen leben, sondern von den Auslassungen. Klassischer Minimalismus eigentllich, aber in diesem Spielfeld immer noch viel zu selten so konsequent zu Ende gedacht wie hier.

V.A.
Simple Music Experience Volume 2
Macadam Mambo • 2017 • ab 27.99€
Es scheint kaum etwas schwierigers zu geben als diesen DIY-Sound der frühen 80er hinreichend rotzig und ausreichend fehlerhaft nachzubauen. Allein deswegen macht die von Simple Music und Macadam Mambo gemeinsam auf Vinyl gepresste Tape-Revue »Simple Music Experience« so Bock: wer es hier drauf geschaftt hat, klingt in der Regel tatsächlich wie irgendwo damals zwischen Eyeless In Gaza, Nurse With Wound und Chris & Cosey untergegangen. 2017 also ein tierisch ernstgemeintes Kompliment.

Red Axes
The Beach Goths
Garzen • 2017 • ab 23.99€
Red Axes sind, unabhängig von riesigen Festivalbookings und Remixanfragen von den Großkopferten, immer Weirdos geblieben. Die Überraschung hält sich meinerseits also in Grenzen, dass »The Beach Goths« (trolololel) einen riesigen dampfenden Haufen auf den Tanzflur setzt. Wer hier bedient werden möchte, muss schon ein Faible für verspulten Surfrock, psychedelische Stoner-Riffs und die ausgefransesten balearischen Ecken haben. Für den Rest heißt es: einarbeiten, weil lohnt.

DJ Sotofett presents Jesse
Twotinos
Keys Of Life • 2017 • ab 16.99€
Sotofett steht derweil vollkommen zu Recht bei allen hoch im Kurs, die sich gerne spätnachts mit geschlossenen Augen auch mal von nicht Roland-Geräten den Weg zeigen lassen wollen, dann aber rechtzeitig zum Sonnenaufgang auch bitte sanft von Lagerfeuer-Bongos und Ambient-Wärmedecken wieder aus dem Spieleland abgeholtwerden wollen. »Twotinos«, seine Zusammenarbeit mit Jesse, ist vielleicht das bisher stärkste Sotofett Album, weil hier alles perfekt getrimmt wurde: keines der Stücke mäandert zu lange, Dub und Tribal-Percussion kommen und gehen im richtigen Moment, New Age und Techno verstehen sich so gut wie selten. Stark, kann man nicht anders sagen.

Duran Duran Duran
Duran
Power Vacuum • 2017 • ab 19.99€
Wer Duran Duran Duran heißt, kämpft offensichtlich eh schon gerne gegen Windmühlen, was zum Teufel Ed Flis auf (natürlich) »Duran« geritten hat, verdient locker 10 Doppelsitzungen beim Exorzisten. Vielleicht liegt es auch daran, dass Breakcore, Gabber und eigentlich alles was wahnwitzig schnell ist, jetzt schon so lange ein Nischendasein fristet: aber ey, ihr seid nicht bereit dafür, wie hier geballert wird. Echt nicht.

Bicep
Bicep Black Vinyl Edition
Ninja Tune • 2017 • ab 34.99€
Biceps Musik hangelt sich hingegen schon seit Beginn mit dem Habitus eines feixenden Pennälers am Trance-Abgrund entlang, die Synths immer eine Spur zu massiv für Deep House Geschmäcklerei, die Drops so plakativ wie effizient. Das geht deswegen gut, weil die beiden Festivalkeulen ähnlich wie Kompakt im Zenith genau verstanden haben, wie weit diese Käsigkeit gehen darf. Auf dem Debütalbum verkommen ein, zwei Stücke in ihrer Aufgeblähtheit dann zwar doch zu Karikaturen eines Bicep-Tracks, der Rest jedoch ist abgewichsteste Flurdominanz.

LCD Soundsystem
American Dream
Columbia • 2017 • ab 30.99€
Bannon-Memes hin, Abschiedstour her, es gibt jetzt ein neues LCD Soundsystem Album und endlich hat sich James Murphy die North American Daft Punk Is Playing A Hit Zugeständnisse verkniffen. Stattdessen macht Murphy jetzt auf Albumlänge das was eigentlich schon seit »Sound Of Silver« die besten LCD Songs waren: veganen elegischen Dad-Rock mit Bowie- und Can-Verneigung, der sich nicht mehr kleiner macht als er ist. Das ist Stadionshit, für alle die dort nie hinwollten, aber jetzt vom WLAN-Morrissey endlich die Absolution erhalten haben.

Arcade Fire
Everything Now (Alles Jetzt) German Edition
Columbia • 2017 • ab 19.99€
Zur Review
Was ist eigentlich mit Arcade Fire los? Hier gesandwicht von zwei Bands, die verdeutlichen, dass man jeden Tag Pasta essen kann, so lange die Saucen varieren, torkeln Vin Butler und Konsorten von einem Fettnapf in den nächsten. »Everything Now« ist hierbei Sinnbild des kreativen Sprühstuhls einer Band, die sich schon gefunden hatte, nun aber zwischen den großen Gesten der Vergangenheit immer wieder auch Platz für angechicten Vodafone-Foxtrott, debilen Pharrell-Pop und säuerlichen Bono-Bullshit findet, obwohl das doch zuvor schon nicht geklappt hatte. Hmmmpppfffff.

The War On Drugs
A Deeper Understanding
Atlantic • 2017 • ab 52.99€
Dabei kann man das doch auch gut machen. Dass die erste Nummer auf der neuen The War On Drugs stellenweise unangenehm nach Bryan Adams klingt oder man bei jedem balladesken Element auf »The Deeper Understanding« direkt instinktiv »yyyyyeeeeeyyeeeyeeeyaaaaa sufffffferinnnnn’« mitschmachtet – geschenkt. Adam Granduciel ist und bleibt ein bemerkenswerter Songwriter, einer der wenigen, der diesen absurden Grandeur seiner stets erkennbaren Vorbilder, so kultiviert, dass ein TWOD-Song eigentlich gar nicht pathetisch genug sein kann. Rin für die Generation Fleischthermometer: Sabbatjahr-Rock statt Latexallergie-Rap.