Aaron Frazer über das richtige Arrangement für Liebeskummer

02.07.2024
Foto:© Rosie Cohe (Dead Oceans)
Auf seinem zweiten Soloalbum »Into The Blue« begibt sich der amerikanische Soulsänger Aaron Frazer auf eine Reise ins Ungewisse – mit Stationen in den Höhen und Tiefen seiner Gefühlswelt. Eine Trennung stand Pate für das bei Dead Oceans erschienene neue Album

Mit einem energischen »Good Morning« aus Los Angeles beginnt der Videocall mit Aaron Frazer. Im Gespräch wirkt der Schlagzeuger, der auch Teil von Durand Jones‘ Band The Indications ist, ausgeglichen. Dieses »Good Morning« klingt so positiv, es hat fast schon etwas metaphorisches. Statt sich zu verkriechen, trat der Soulsänger seinen Gefühlen entgegen und verarbeitete sie in einer Flucht nach vorn in der Musik. Die Trauer um die verflossene Liebe ist ein abgeschlossenes Kapitel, die Gefühlschaos von damals hat er musikalisch mit Streichern, Schlagzeug, E-Gitarre, Mut, Offenheit und Experimentierfreude sortiert.

Von seiner Reise ins Ungewisse brachte Aaron Frazer vor allem Optimismus mit. Und ein Album, auf dem all die musikalischen Einflüsse des Multiinstrumentalisten und Audioingenieurs zusammenkommen. Mit uns hat er über das Hörenlernen, fließende Gefühle und weinende Streicher gesprochen.


Aaron, auf deinem Album »Into The Blue« stechen die vielfältigen Schlagzeugrhythmen und deine klare, soulige Stimme hervor. In einigen Songs wie »Time Will Tell« unterstützt das Schlagzeug dezent im Hintergrund. Andere Lieder werden vom Schlagzeug getragen. Was kam zuerst: das Singen oder das Schlagzeugspielen?
Aaron Frazer: Schlagzeugspielen kam zuerst, und zwar mit großem Abstand! Angefangen habe ich mit neun Jahren. Mit 12 dachte ich, ich hätte eine gute Stimme, war aber damals schüchtern. Ich war unsicher und erlaubte mir nicht, zu singen.

Wann hat sich das geändert?
Aaron Frazer: Als ich meinen Führerschein bekam, konnte ich allein im Auto sein und singen. Das gab mir nicht nur Bewegungsfreiheit, sondern auch Zugang zum Auto als Zufluchtsort, wo ich mir erlaubte, mich mit Gesang auszuprobieren.

»Wenn man jemanden im Leben hat, der einem beibringt, wie man zuhört, ist das ein Geschenk.«

Aaron Frazer

Was hast du damals gesungen?
Aaron Frazer: Ich war ein großer Fan von The Black Keys. Ich spule mal kurz ins Jahr 2021 vor: Dan Auerbach ruft an, der Schlagzeuger und Sänger der Band. Es war surreal. Wir haben letztendlich zusammen »Into The Blue« geschrieben – den Titelsong meines Albums.

Interessant, wie das Autofahren dir auf deinem Weg, Musiker zu werden, geholfen hat. Das Auto wurde quasi zum Labor, in dem du mit deiner Stimme experimentieren konntest.
Aaron Frazer: Das Auto ist immer noch das Labor! Ich bin mit wenig Privatsphäre aufgewachsen, die Türen zuhause waren immer offen.

Du wurdest 1991 in Baltimore geboren. Welche Rolle spielte Musik bei euch zu Hause?
Aaron Frazer: Niemand in meiner Familie spielte ein Instrument oder sang. Aber meine Eltern waren schon damals Musikliebhaber. Eine meiner ersten Erinnerungen ist, wie meine Mutter »Thriller« auf dem Plattenspieler abspielt. Sie hörte auch Carole Kings »Tapestry« – das ist immer noch eines meiner Leitbilder im Songwriting. Denn das Songwriting auf diesem Album ist wie eine Masterclass. Es steht für mich auf einer Stufe mit Smokey Robinson.

Wie hat die Musikliebe deines Vaters dich beeinflusst?
Aaron Frazer: Er ist ein großartiger Zuhörer. Früher legte eine Platte auf und sagte: »Hör mal! Hör mal, wie die Stimme mit der Gitarre interagiert!« Dann pausierte er und fragte: »Hast du das gehört?« Und startete das Lied neu. Wenn man jemanden im Leben hat, der einem beibringt, wie man zuhört, ist das ein Geschenk.

Jemand, der gelernt hat, zuzuhören, kann verschiedene Instrumente in einer Komposition erkennen und die Tempowechsel hören.
Aaron Frazer: Wenn du nicht die Worte hast, um etwas zu beschreiben, kannst du es nicht wahrnehmen. Es wird in gewisser Weise unsichtbar. So früh zu lernen, wie beschreiben kann, was ich höre, hat mir geholfen, Musiker zu werden.

Du hast dann Audio Engineering in Indiana studiert. Wie hat das deine Wahrnehmung von Musik erweitert?
Aaron Frazer: Ich liebe es, über Musik zu sprechen. Während meines Studiums habe ich gelernt, klar zu artikulieren. Das war eine Fortsetzung von dem, was mein Vater mir als Kind beigebracht hat. Jetzt kann ich über Schlagzeugkompression und Saturation sprechen. Meine Ideen artikulieren zu können, ermöglicht mir, mit anderen zusammenzuarbeiten und ihnen genau meine Vorstellungen darüber zu teilen, wie etwas klingen soll.

Wie verlieft der kreative Prozess bei »Into The Blue«, einem Album, das von einer Trennung inspiriert wurde?
Aaron Frazer: Ich schrieb, während ich all die Emotionen durchlebte. Zuerst erinnerte ich mich an all die guten Zeiten. Dann traf mich die Realität. Ich erinnere mich, wie ich in meiner leeren Wohnung saß und es jedes Mal hallte, wenn ich etwas sagte. Ich hatte noch keine Möbel gekauft. Weil ich dachte, sie könnte zurückkommen.

»Eine gute Metapher für die Gefahr unterdrückter Gefühle ist, in einem Schwimmbecken zu sein und zu versuchen, einen Basketball unter Wasser zu drücken. Irgendwann wird er dir unter der Hand wegrutschen und dir ins Gesicht knallen.«

Aaron Frazer

Was hast du aus der Beziehung und dem Verarbeiten einer Trennung durch Musik gelernt?
Aaron Frazer: Auf diesem Album gibt es viel Schmerz und Unsicherheit. Ich begann Anfang 2022 daran zu arbeiten, war noch in der Beziehung und schrieb keine Texte. Nach dem Ende der Beziehung zog ich nach Los Angeles und versuchte, keine traurigen Lieder zu schreiben. Ich dachte, mein Publikum erwarte zarte Liebeslieder von mir. Dann sagte ein Freund mir: »Hör auf, dagegen anzukämpfen. Schreibe traurig, wenn du gerade traurig bist.« Ich nahm seinen Rat an und die Songs begannen zu fließen. Zu meiner Überraschung konnte ich auch wieder glückliche Lieder schreiben.

Dein Fazit daraus?
Aaron Frazer: Wenn du eine Emotion unterdrückst, entsteht ein emotionaler Block. Emotionen müssen fließen. Du musst sie erkennen, ihnen Raum geben. Eine gute Metapher für die Gefahr unterdrückter Gefühle ist, in einem Schwimmbecken zu sein und zu versuchen, einen Basketball unter Wasser zu drücken. Irgendwann wird er dir unter der Hand wegrutschen und dir ins Gesicht knallen.

Zu hören, wie du musikalisch Lied für Lied deine Trennung verarbeitest, erinnerte mich an die Heldenreise in Filmen.
Aaron Frazer: In einem anderen Leben wäre ich wahrscheinlich Musik-Supervisor für den Film geworden. Mein Bruder und ich spielten früher dieses Spiel, bei dem wir das Radio einschalteten, während er mich zur Schule fuhr. Ziel war es, einen Film zu dem Lied zu erfinden, das gerade läuft. Wenn mein neues Album ein Film wäre, wäre der kalte Anfang »Thinking Of You« vor den Credits. Ich bin in New York und stoße in der U-Bahn auf die Freunde meiner Ex. Ich fühle mich einsam. Und dann sage ich: Scheiß drauf. Und mache mich dann auf in Richtung Westen ins Ungewisse – ins Blaue.

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Die letzten Songs des Albums klingen, als wäre deine Reise ein Erfolg gewesen. Dass du die Emotionen, die zuvor aufgewühlt waren, einsortiert und verarbeitet hast.
Aaron Frazer: »The Fool«, der letzte Song auf dem Album, war auch der letzte Song, den ich geschrieben habe. Beim Schreiben konnte ich spüren, dass ich mich als Person weiterentwickelt habe. Ich erkannte die Traurigkeit an, blickte jedoch immer optimistischer auf die Zukunft.

Du hast auf dem Album verschiedene Instrumente in verschiedenen Songs verwendet. In »The Fool« viel Gitarre, »Thinking of You« wird von langsamen Streichern dominiert, und »Easy to Love« ist der einzige Song, bei dem ein Klavier Teil des Arrangements war. Wie hast du die Instrumente für die Songs ausgewählt?
Aaron Frazer: Man sagt, das Cello ist der menschlichen Stimme am nächsten. Das Vibrato von Streichern klingt wie Schluchtzen. Diese Instrumente können auf eine Weise weinen, wie es keine anderen Instrumente können. Bei einigen Songs wollte ich die großen Emotionen, die ich fühlte, an den Hörer weitergeben. Ein Streichquartett kann diese Größe erzeugen, es klingt fast wie ein Chor. Wenn ich möchte, dass die Leute einen kleinen Moment der Reflexion spüren, dann gehe ich sparsamer mit dem Arrangement um. »Perfect Stranger« ist nur eine E-Gitarre und ein verstimmter Bass. Ich spiele gerne mit Arrangements, um die Leute fühlen zu lassen, was ich fühle.

Dies wird das erste Mal sein, dass du als Frontsänger auf Tour gehst. Wie fühlst du dich dabei?
Aaron Frazer: Es ist ein nacktes Gefühl. Ich werde für einen Großteil des Sets vorne sein. Mein ganzes musikalisches Leben habe ich sitzend hinter einem Schlagzeug verbracht. Und jetzt soll ich alle vier Gliedmaßen gleichzeitig benutzen? Der Gedanke daran ist lustig und beängstigend zugleich. Ich freue mich darauf herauszufinden, wie ich als Frontperson bin. Durand, mein Bandkollege, ist einer der besten Frontleute, die ich kenne. Ich liebe seine Bühnenpräsenz. Aber für mich wäre es unauthentisch, hinauszugehen und das Durand-Ding zu machen. Ich komme nicht aus der James-Brown-Schule des Frontman-Seins. Ich bin eher wie Smokey Robinson.