Nachdem Don Van Vliet alias Captain Beefheart mit »Trout Mask Replica« eines der wichtigsten Alben der Rockgeschichte aufgenommen hatte, wollte er ein bisschen vom Kuchen abbekommen, den andere unter sich aufteilten. Von guten Kritiken kann ja niemand leben. Mit dem Produzenten Ted Templeman schuf er eine weniger schroffe Variante seines Blues-Rock. Der Erfolg blieb aus, aber die Welt war um ein paar Klassiker reicher, wie das melancholische »My Head Is My Only House Unless It Rains«.
Andreas SchnellLicht im tiefen Schwarz: Mit »Wish« spielten sich The Cure vor dreißig Jahren zumindest etwas vom Gothic Rock frei, der trotzdem Basis für den Sound blieb. Aber vielmehr durchzieht dieses Album eine optimistische Sehnsucht, der Sturm und Drang eines konventionellen Rock-Sounds. Was etwa daran liegt, dass mit »Friday I’m In Love« der wohl große (und leichtfüßige) Hit der Band vertreten ist. Und überhaupt: Ihr neuntes Album ist die erfolgreichste Platte ihrer Karriere bis hierhin. Steht deswegen aber den anderen herausragenden Werken der Briten in nichts nach. Zum Record Store Day 2022 gibt es eine Picture Disc der Schallplatte geben.
Björn BischoffIm Januar 2013 veröffentlichte David Bowie mit »The Next Day« das erste Album mit neuem Material nach zehn Jahren. Auf der »The Next Day EP« finden sich nun unveröffentlichte Songs, Album-Outtakes, Remixe aus dieser Zeit. Darunter James Murphys »Hello Steve Reich Mix« von »Love is Lost«, eine Hommage an den Pionier der Minimal Music, der mit David Bowies düsterem Gesang und Samples aus seinem 1980er Hit »Ashes To Ashes« aus dem anfänglichen Klang klatschender Hände einen organischen, lebhaften Rhythmus zaubert.
Franziska NistlerFür sein erstes Soloalbum »Aqua« griff Edgar Froese musikalisch tief in die Tangerine Dream-Kiste und gestattete Bandkollege Christoph Franke sogar einen Auftritt auf »NGC 891«. Eine Besonderheit des Albums ist, dass einige Soundeffekte mit Gunther Brunschens Dummy Head Recording kreiert wurden. Durch die Erzeugung binauraler Aufnahmen soll bei Wiedergabe über Kopfhörer ein Surround-Sound-Effekt entstehen. Ein beruhigender Ambient-Klassiker, der mit einem abstrakten musikalischen Universum das Gefühl erzeugt, in sanft aufgewühlten Gewässern zu treiben.
Franziska NistlerMit ihrem fünften Album »Shot« ging es für The Jesus Lizard Ende der Neunziger zum Majorlabel Capitol – der kommerzielle Durchbruch ließ trotzdem auf sich warten. Da änderte ja zuvor schon die Split-Single mit Nirvana nichts dran. Dafür war der Sound der Band aus Chicago zu sperrig, zu verschroben und zu unmelodisch. Was »Shot« allerdings erst zu einem spannenden Album macht. Als ob das popkulturelle Unterbewusstsein dieser Zeit selbst für 13 Songs zur Gitarre greift. Ein surreales Brett von einer Platte.
Björn BischoffChristopher »Kid« Reid und Christopher »Play« Martin debütierten 1988 mit ihrem Platin-Album »2 Hype«, welches das Hip-Hop-Duo später zu einer Reihe an House-Party-Filmen, Marvel-Comics sowie einer Zeichentrickserie am Samstagmorgen brachte. Kid 'n Play unterschieden sich von der damaligen harten Rap-Mentalität und überzeugten mit ihren positiven, freundlichen und unschuldigen musikalischen Werken sowie einem Hi-Top Fade-Haarschnitt. Der albumeinleitende Track »Rollin' with Kid 'n Play« schaffte es 1989 sogar auf Platz 11 der Billboard R&B-Single-Charts.
Franziska NistlerMadlibs Reihe »Medicine Show« gehört zu dem reichhaltigsten Fundus an spannenden Sounds, der sich in jüngerer Vergangenheit finden lässt. Mit dem elften Teil »Low Budget High Fi Music« veröffentlichte der in Los Angeles lebende Produzent vor elf Jahren gleich ein vollwertiges Hip Hop-Album. Mit dabei: Roc C, der bis heute sträflichst übersehende Guilty Simpson, Oh No und Strong Arm Steady neben anderen. Alles verdrahtet mit dem bekannten und überdrehten Genie von Madlib. Irre entspannend.
Björn BischoffDer Titel »In Advance of the Broken Arm« beschreibt ziemlich gut das Riff von »Vibrational Match«, des ersten Songs des Debüts der Gitarristin Marnie Stern aus dem Jahr 2007. Marie Stern kombiniert ihr auf finger tapping basierendes Gitarrenspiel (wie wir es von Don Caballero's und Battles' Ian Williams kennen), mit der Melodiösität von Deerhoof, der Attitüde von Riot Grrrl-Bands der Neunziger und der Weltgewandtheit der New Yorker Bohéme. Ach, und Marnie Stern ist witzig. Wird echt mal wieder Zeit für ein neues Album.
Sebastian HinzNur wenige deutsche Künstler:innen dürften die internationale Musikwelt so beeinflusst haben wie Nico. Mit »Live At The Library Theatre '83« gibt es nun eine exklusive Aufnahme eines Konzerts der 1988 verstorbenen Musikerin. Klar, das große Ding bleibt das Bananen-Album mit Velvet Underground, entsprechend tauchen »All Tomorrow’s Parties« und »Femme Fatale« in der Tracklist auf. Doch auch Stücke ihrer anderen Studio-Alben sind vertreten – und mit dem Cover von Bowies »Heroes« ein Song, den jeder Mensch mit nur einem Funken Anspruch an sich selbst hören muss. (Trotz oder gerade wegen rauer Aufnahme!)
Björn BischoffHätten die Stones in den Siebzigern statt Speed die Sonne unterm Zuckerhut inhaliert, sie wären zu ihrer satisfaction gekommen. Os Novos Baianos, ein Samba-, Rock- und-Bossa-Nova-Grüppchen, schenkt sich 1972 nicht umsonst den Schöner-Leben-Lifestyle im Tropicalia-Format ein: »Acabou Chorare« wird in Brasilien zu einem der erfolgreichsten Alben of all time – aber auch Weißbrot-Europäer stehen auf den Sound, den die Hippies aus ihren Gitarren klopfen. Ein halbes Jahrhundert später wollen wieder alle an bunten Drinks unterm Palmenhain nippen. Mr. Bongo legt die Platte 2022 neu auf.
Christoph BenkeserSie sei die Stradivari des Samplings, sagen Synth-Nerds und Peter Rock weiß Bescheid. Mister Eastcoast geigt seit bald 35 Jahren auf dem Teil rum, das unter dem Namen SP-1200 eher an deutsche Baunormen erinnert als an Hip Hop-Geschichte. Ist Pete Rock aber egal. Zwischen Soul-Samples, Funk-Fun und Boom bap-Beats, cruist man mit ihm durch die Bronx der 90er. Eh klar, dass fast alle Instrumentals auf »Return Of The SP-1200 V.2« den Vibe des Golden Age of Hip-Hop atmen. Wenn Tru Soul damit nicht in die Chiller-Playlists der Realkeeper grätscht, restauriert Rock fürs nächste Mal den MPC.
Christoph BenkeserVielleicht lag’s am LSD, aber: In den Siebzigern traute man den Leuten noch Zungenbrecher als Albumtitel zu. »Discovers Hoagy Carmichael’s Music Shop« war der Soundtrack zu einer TV-Show im US-Fernsehen. Die Lieder gab es schon, bloß klangen sie wie deutscher Schlager in den Ohren von 15-jährigen Tik Tok-Kids. Soll heißen: Sie lechzten nach einem Update. Stark Reality, ein paar Beatles-Lookalikes mit Jazz-Attitüde, sprangen in die Faltenhose, zogen am Spliff und mischten eine Platte, die so klingt, als hätte sich Miles Davis mit Charlie Brown zum Christmas-Carol auf ein Packl gehaut.
Christoph Benkeser