Review Electronic

Jessy Lanza

Oh No

Hyperdub • 2016

Rumknutschgespeichel, Lusttröpfchen, Vaginalsekret, »Waterfalls« R’n’B ist ein feuchtes Genre. Deswegen schien es von Anfang an merkwürdig, dass die Kanadierin Jessy Lanza zusammen mit FKA Twigs (»Water Me«) oder Kelela (»Water works so easy«) unter dem auch nicht unbedingt handfesten Label Future R’n’B verschubladet wurde. Dabei ist Lanzas Sound, so inbrünstig sie darüber auch bisweilen singt, knochentrocken. Ihr zweites Album »Oh No« ist zwar mindestens genauso referenzreich wie das 2013 erschienene Erstlingswerk »Pull My Hair Back« und doch um einiges minimalistischer. Jessy Lanza kreiert mit ihrer Musik, so viel Wasserwirkung hat die Platte dann doch, einen Sog – nämlich indem sie eine Vielzahl von Stilen in sich aufsaugt. Die stilistische Bandbreite reicht von Referenzen auf das Yellow Magic Orchestra über neuere Disco-Entwürfe bis hin zu Footwork. Erstes spricht sie direkt an, Zweites wird zum Teil dem stetigen Austausch mit Junior Boy Jeremy Greenspan geschuldet sein und Drittes kündigte sich bereits im Vorjahr mit der überragenden Maxi »You Never Show Your Love« an, die auch DJ Spinn und Taso von der Teklife-Crew featurete. Im Gesamten klingt »Oh No« aber vor allem nach einer Künstlerin, die sich auf das Wesentlich reduziert – und zwar ihr eigenes. Egal ob mit dem zwischen klaustrophobischem Soundnichts und verfrickeltem Hustensaft-IDM changierenden »It Means I Love You«, dem Hi-NRGetischen Zappler »VV Violence« oder der elegischen Schlussballade »Could Be U«: Wo nichts zu viel ist, da sitzt auch alles richtig in diesen knappen vierzig Minuten. Der Exzess hingegen findet anderswo statt: in den Lyrics. So versiert Lanza mit ihrem Gerätepark aus Synthesizern und Drummachines zwischen den Tempi und Tonarten wechselt, so abwechslungsreich kann sie ihre Stimme modulieren. Allein, der Modus in dem und vor allem das, wovon sie singt, bleibt sich gleich: »Oh No« ist die reine Hingabe. Ein Versprechen von Liebe in allen Facetten, ob als zittrige Nervosität (»Going Somewhere«), souveräne Resignation (»Never Enough«) oder verzweifelte Sehnsucht (»It Means I Love You«). Das ruft vielleicht einerseits bekannte R’n’B-Tropen auf, andererseits aber stellt sich der Idee einer verflüssigten, zynischen Liebesökonomie entgegen. Für Jessy Lanza jedoch heißt es alles oder nichts – und ihre Musik lässt zugleich alles auf nichts prallen. Das macht »Oh No« neben LUHs »Spiritual Songs For Lovers To Sing« zu einem der radikalsten Alben der letzten Monate. So trocken es zuerst auch klingen mag.

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Jessy Lanza
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