Jetzt hat der also auch noch so richtig künstlerische Ambitionen. »Cherry Bomb« ist ein breitbrüstiges Statement von Tyler, The Creator: Seht her, ich habe mehr Distortion als Yeezus, komplexere Sounds als jedes andere Rap-Album – ich bin die Zukunft! Tatsächlich spult Tyler auf seinem dritten physischen Release ein sattes Programm runter. Etliche N.E.R.D-isms poltern um die Wette mit radikalen, übersteuernden Aufrufen zum Mosh Pit, die wiederum von aufgejazzten Bedroom Pop-Passagen aufgelockert werden. »Cherry Bomb« platzt aus allen Nähten. Doch irgendwie kommt das mehr wie Protz und Prahlerei denn als potente Musikalität rüber. Warum? Weil Tylers Ego neuerdings das überstrahlt, was ihn bisher ausgezeichnet hat: seine innerliche Hin- und Hergerissenheit. Das kann passieren und hat nicht selten tolle Alben hervorgebracht. Doch ist hier das Problem vielleicht ein ganz einfaches. Tyler war noch nie der beste Rapper. Und jetzt da die Texte nicht mehr auf Anhieb einnehmen, offenbart sich das in aller Deutlichkeit. Seine Trademark Ich habe einen wütendende Kröte in der Kehle Stimme klingt hier, als würde er sie angestrengt aufrecht erhalten. Sobald’s ein paar Silben mehr werden, reicht die Kraft nicht mehr. Zu viel strahlt hier aus: Seht her, guckt mich an, ich habe mich entwickelt, ich habe ordentlich etwas in der Trickkiste. Das lenkt unglücklicherweise davon ab, dass es hier einiges gibt, dass ein »hört her!« verdient hat. Immer, wenn die Musik einen gerade geflashed hat, springt Tyler in’s Bild und macht es kaputt. Es fehlt seiner Person das passende Charisma, um diesen Ego-Trip so zu fahren, als dass man sich davon gerne blockbuster-mäßig davon tragen lassen würde. Trotzdem ist »Cherry Bomb« ein kühnes Album. Eines mit Hubraum, eines mit gelungenen Übergängen zwischen Punk-Zitaten und Schnulzen, zwischen Neptunes und Toro Y Moi. Aber es ist eben auch dort am stärksten, wo Tylers Stimme am wenigsten präsent ist.
Tyler, The Creator
Call Me If You Get Lost
Columbia