Jahresrückblick 2017 – Fourth World Problems

19.12.2017
Fourth World Music: etliche Alben, Compilations und Reissues widmeten sich 2017 dem Thema. Offenbar gab es in diesem Jahr eine hohe Nachfrage nach Utopie. Aber handelt es sich bei dem Phänomen nicht vielmehr um eine bittere Realität?

Als am 15. Juli 2012 ein 4:12 Minuten langes Video auf YouTube hochgeladen wurde, waren dessen globalpolitische Konsequenzen noch nicht abzusehen. Der britische Premier David Cameron und der POTUS Barack Obama sollten wenige Monate später nachahmen, was darin zu sehen war. Selbst der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, bezeichnete es als eine »Kraft für den Weltfrieden«. 4:12 Minuten, die die Welt zusammenzubringen sollten. Oder?

Natürlich kam es anders. 2017 drohte Obamas Nachfolger per Twitter dem Nachbarland des südkoreanischen Rappers Psy mit dem Atomkrieg. »Gangnam Style« hatte nicht eingehalten, was Ki-moon angesichts des viralen Erfolgs seines Videos prophezeite: Der Weltfrieden ist seit seiner Veröffentlichung in noch weitere Ferne gerückt.

»Gangnam Style« wurde deswegen zu einem so einen flächendeckenden Erfolg, weil kaum jemand außerhalb Südkoreas überhaupt verstand, worum es dem pummeligen Sänger ging. ###CITI: Wo endet die ehrbare Absicht, wo beginnt die stückchenhafte Ausbeutung?:### Eigentlich war der Song ursprünglich nichts weiter als eine Persiflage auf das Gebaren der südkoreanischen Oberschicht im gleichnamigen Distrikt der Landeshauptstadt Seoul. Die Übersetzungen und Kontextualisierungsversuche aber hinkten der Verbreitung des Videos hinterher. Dessen Erfolg entzog sich den üblichen Erklärungsmustern ebenso wie den herkömmlichen Abläufen der westlichen Musikindustrie.

Social Media machte möglich, was kein hundertköpfiges Marketing-Team hätte forcieren können: Dass aus der regional beschränkten Satire ein internationaler Smash-Hit wurde. Obwohl die Welt mit dem Erfolg des Videos ein Stück weiter zusammenzurücken schien, wurden die Differenzen dafür umso offensichtlicher: Im globalen Norden beziehungsweise Westen wurde das Video unkritisch gedeutet. Tenor: Die haben da alle ein Rad ab.

Psys Geschichte scheint zuerst nicht so ungewöhnlich. Haben wir dasselbe nicht schon zuvor mit algerischen Raï-Sängern in den Neunzigern erlebt? Oder mit dem Syrer Omar Souleyman

Der Unterschied zwischen den beiden Erfolgsgeschichten von Psy und Souleyman liegt zum einen in der Form der Verbreitung: Souleyman hatte westliche Gatekeeper wie das Label Sublime Frequencies, die ihm unter die Arme griffen. Psy aber wurde ohne viel Hilfestellung zum Viralhit. Ein paar Jahre zuvor wäre das schier unmöglich gewesen. Aber die Welt war ein bisschen enger zusammen gerückt, das heißt noch dichter miteinander vernetzt. Von YouTube ging es für »Gangnam Style« auf Facebook, Twitter, tumblr, und so weiter – around the world, around the world.

Vorsprung durch Technik
Die Idee, dass Technologie die Welt näher zusammenbringt, ist ungefähr so alt wie die Erfindung der Schrift. Mit jeder neuen Entwicklung aber wird diese Idee erneut ans Tageslicht befördert, ausgeweidet und irgendwann vergessen. Bis das nächste Medium die Weltgemeinschaft zu revolutionieren verspricht.

Anfang der Achtziger, dem Jahrzehnt des Samplers, setzen sich Jon Hassell und Brian Eno das Ziel, eine komplett neue Musik zu erschaffen.

Jon Hassell
Fourth World:02 Dream Theory In Malaya
tak:til • 2017 • ab 19.99€
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Sie wollten sogenannte primitive Musikformen mit neuester Technologie verbinden und so die dritte mit der ersten Welt in mal mehr, mal weniger harmonischen Einklang zu bringen. Drei plus eins ist vier, »Fourth World, Vol. 1: Possible Musics« nannten sie dementsprechend das 1980 veröffentlichte Resultat, dem im folgenden Jahr mit Hassells Solo-Album »Dream Theory In Malaya: Fourth World Volume Two« ein zweiter Teil folgte. Diese zweite Platte wurde wie der Erstling zuvor im Jahr 2017 neu von Glitterbeat einem Label aus der deutschen Einöde, neu aufgelegt und reihte sich damit in einen ganzen Schwung von Veröffentlichungen ein, welche sich in diesem Jahr denselben musikalischen Ideen verschrieben hatten.

V.A.
Miracle Steps Music from the Fourth World 1983 - 2017
Optimo Music • 2017 • ab 19.99€
Mit »Miracle Steps (Music From The Fourth World 1983-2017)« und »Tropical Drums of Deutschland« brachten das schottische DJ-Duo Optimo und der deutsche DJ und Produzent Jan Schulte zwei Compilations an den Markt, die von der Kritik ebenso begeistert aufgenommen wurden wie von den Fans obskurer Musik. Ist es nicht aber komplett irrsinnig, dass die nach Patschuli miefenden Birkenstock-Enthusiasten der vergangenen Jahrzehnte uns plötzlich als der heißeste Scheiß verdealt werden?

Womöglich herrscht eine Nachfrage nach Utopie. Denn was ist eine Fourth World, wenn nicht genau das: Ein Nicht-Ort, der außerhalb aller Konzepte von Raum (und bisweilen auch der Zeit) zu existieren scheint? Der die Kulturen zugleich umfasst und vereint, im friedlich-künstlerischen Miteinander?

Jan Schulte AKA Wolf Müller presents
Tropical Drums Of Deutschland
Music For Dreams • 2017 • ab 28.99€
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2016 feierte Thomas Mores bahnbrechender Roman »Utopia« seinen 500. Geburtstag, mit dem der britische Autor dem Genre einen Namen gegeben hatte. Die Geschichte einer rational durchstrukturierten Gesellschaft, in der niemand Hunger leiden muss und in welcher Eigentum als solches nicht existiert, scheint heute aktueller denn je, weil sie umso weiter von unserer Realität entfernt ist. Denn mit dem globalen Doppelsiegeszug von Neoliberalismus und völkischer Ideologie sind die Grenzen nicht verschwunden, nein. 2017 wurden sie stattdessen wieder härter gezogen. Rational geht es dabei nun wirklich nicht zu und gelitten wird umso mehr – nicht nur Hunger.

Mit der Idee einer Fourth World Music gingen aber von Anfang an schon Fourth World Problems einher. So hehr die Ziele von Hassell und Eno auch gewesen sein mögen, ihre Motivation scheint sich nicht wesentlich von ordinärer Kolonialisationslogik zu unterscheiden: Einerseits verorteten sich die beiden als Vertreter einer »ersten« Welt auf der Spitze des zivilisatorischen Siegertreppchens, anstatt diese Hierarchie selbst zu hinterfragen. Die Drei-plus-eins-Gleichung des Fourth World-Konzepts basiert ausdrücklich auf einem kulturellen Vorsprung durch Technik.

Andererseits legte Hassell, der laut eigener Aussage Enos Namen nur aus finanziellen Gründen mit aufs Cover aufnahm, die Grundlagen für das Verfahren, die jener mit dem Talking Heads David Byrne 1981 auf dem Album »My Life In The Bush Of Ghosts« populär machten: das Sampling. Ein wesentliches Problem am Sampling ist seinem Namen eingeschrieben. Denn ein Sample ist eben genau das: eine Stichprobe, ein kleiner Happen, die minimale Auswahl eines ganzheitlichen Bildes. Sampling kann und soll sogar keine größeren Kontexte erfahrbar machen, sondern in andere überführt werden. Problematisch wird es dann, wenn ganze Kulturen entwurzelt, in Einzelteile zerstückelt und mundgerecht zum Feierabend serviert werden. Wo endet die ehrbare Absicht, wo beginnt die stückchenhafte Ausbeutung? Anders gefragt: Wenn die Fourth World für alle sein soll, warum stehen dann wieder nur die Namen zwei weißer Männer aus wohlhabenden Industriestaaten drauf? Sieht so, hört sich so eine Utopie an? Oder vielmehr die bittere Realität?

Bonobo
Migration Deluxe Edition
Ninja Tune • 2016 • ab 26.99€
Im Jahr 2017 versuchten diverse Indie-Musiker, das alte Programm neu zu verpacken: Bonobo zeichnete mit gedämpften Downbeat-Tönen die »Migration« nach welche die Welt und insbesondere Europa spätestens seit dem Krieg in Syrien in den letzten zwei Jahren erlebte. James Holden scharte eine Live-Band um sich und spielte als James Holden & The Animal Spirits eine Platte ein, die seiner Auffassung nach eine neue Art transzendente, transkulturelle Folk-Musik abbildete, die alle Grenzen überschreitet. Die Ninos du Brasil, dem Titel nach Kinder Brasiliens, sind immer noch dem Pass nach italienischer Staatsangehörigkeit und sehnten sich auf »Vida Eterna« dennoch in den Dschungel. Es gibt noch viel mehr solcher Beispiele. Weil unsere Technologien es immer einfacher gestalten, andere Kulturen herüberzusampeln und weil es derzeit schlicht keine dringenderen Fragen zu beantworten gäbe. All diese Erklärungs- oder Verständnisversuche, all diese Vorformulierungen einer gemeinsamen globalen Sprache jedoch klangen auf ihre Art hilf- und kraftlos.

Dort die Musik, hier das Kapital
»The early twenty-first century will be remembered as a time of great forgetting«, lautet gleich der erste Satz von Jace Claytons – besser bekannt unter seinem Pseudonym DJ /rupture – 2016 erschienenem Buch »Uproot. Travels in 21st-Century Music and Digital Culture«. Darin zeichnet Clayton in unterhaltsamen Anekdoten die Entstehung von regionalen Sounds und ihren bisweilen globalen Siegeszügen aus den letzten 17 Jahren nach. Psy im Kleinen, sozusagen.

Von Fruity Loops bis Autotune sind es vor allem technologische Errungenschaften, die das möglich machen. Eins aber wird dabei in der Tat gerne vergessen: Obwohl die Produktionsmittel für neue und aufregende Musik mittlerweile beinahe überall erhältlich sind, liegt das Kapital weiterhin in westlicher Hand.

Im Herbst 2016 kam Bewegung in die Reissue-Szene: Der Chef des jungen Labels PMG wurde beschuldigt, zuvor auf seinem Label Steinklang unter anderem das Horst-Wessel-Lied auf eine Compilation gepresst und selbst als Rasthof Dachau Musik veröffentlicht zu haben. Rechtsradikale Verbindungslinien, afrikanischer Funk: Der perfekte Skandal war geboren und recht schnell wieder vergessen.

James Holden & The Animal Spirits
The Animal Spirits
Border Community • 2017 • ab 31.99€
Vor allem wurde im Laufe des Shitstorms eine Frage zu selten gestellt. Sie betrifft die Struktur der gesamten Reissue-Industrie und all den Labels für Musik aus dem globalen Süden, dem fernen Osten und anderswo. Angefangen mit spezialisierten jungen Indie-Labels Acid Arab Disco Halal Versatile Habibi Funk Awesome Tapes From Africa Analog Africa Sahel Sounds Gqom Oh! Saigon Supersound über Institutionen wie Honest Jon’s Soul Jazz BBE Rush Hour oder Mr. Bongo hin zu Imprints wie RVNG Intl. Palto Flats Music From Memory, Lullabies For Insomniacs und Emotional Rescue sind es vor allem in Europa und den USA stationierte Labels, die als Gatekeeper fungieren. Hinterfragt wird das selten und muss es in manchen Einzelfällen auch nicht unbedingt: Faire Umverteilung gegenüber den Artists ist schließlich immer möglich und die besten Absichten sind in allen Fällen vorhanden. Trotzdem muss die Frage gestellt werden: Warum wird äthiopischer Soul aus den Siebzigern heutzutage eigentlich in Deutschland und nicht in Addis Abeba gepresst? Oder auch: Will das in Äthiopien überhaupt jemand hören?

Selbst bei fairen Deals mit den Artists kommt selten etwas in den Kulturen an, als deren Tokens sie in der Musikpresse und in der Diskussion über Musik aus der sogenannten dritten Welt herhalten müssen. Angefangen vom Presswerk über die Vertriebe hin zu den Labels: Das hinter den Kulissen kursierende Geld bleibt überwiegend bei uns, die Steuern werden zuhause gezahlt.

Das gilt auch für diejenigen, die ihr Publikum mit den besten Intentionen an die Sounds aus aller Welt heranführen müssen. Sowohl Optimo und Schulte beispielsweise profitieren von einem weiteren Trend, der sie in ihrer Gatekeeper-Funktion zu Tastemakern macht: Sie gelten weniger als DJs denn vielmehr als Selectors. ###CITI: Der Preis für die Utopie liegt darin, dass die Insel sich fast völlig von der Außenwelt abgeschottet hat.:###Der in den letzten Jahren immer häufiger verwendete Begriff, dem das niederländische Kollektiv Dekmantel ein eigenes Festival sowie eine von verschiedenen DJs betreute Compilation-Serie widmete, wird selten als Selbstzuschreibung verwendet. Weder Optimo noch Schulte inszenieren sich in der Rolle, die ihnen angetragen wird und erst recht liefern sie keine Heilsversprechen ab. Sie wollen ihr Publikum lediglich für gute Musik begeistern und sie dabei vielleicht anstubsen, sich mit derjenigen anderen Kulturen auseinanderzusetzen. Doch auch sie arbeiten damit ungewollt an einem Klischee mit, das ein 2017 kursierendes Meme persiflierte: Umrahmt von der Caption »Starter pack for white ppl who play rare African disco jams for white ppl« sind darauf von der Hornbrille über das dümmliche Hawaii-Hemd bis zum Rotary-Mixer alle Insignien zeitgenössischen Gatekeepings abgebildet.

So ehrbar es auch ist, der vermeintlich dritten Welt Tor und Tür aufstoßen zu wollen, so wird damit auch die Schwelle zwischen den Kulturen nur betont. Unterschiede anzuerkennen ist wichtig und richtig, doch die reine Kurationstätigkeit, die den Markt im Westen mit Reissues und ethnographischen Aufnahmen von überall her überflutet, räumt jungen Artists von eben dort wenig Platz ein. Wie viele Fans von malischem Funk aus den siebziger Jahren wissen eigentlich, was aktuell in den Clubs von Bamako gespielt wird? Das Dilemma erinnert ein wenig an die Schattenseite von dem, was More vor 501 Jahren in »Utopia« beschrieb: Der Preis für die Utopie liegt darin, dass die Insel sich fast völlig von der Außenwelt abgeschottet hat.

Durch die Hintertür in die Welt
Technologie kann, wie vor fünf Jahren schon Psy zeigte, an den Gatekeepern vorbei den Schlupfweg durch die Hintertür öffnen. 2017 mehr denn je. Zumal sich nicht wenige der Gatekeeper in ihrer Rolle offensichtlich nicht wohl fühlen und ihre eigene Stellung problematisieren.

V.A.
Lovin' Mighty Fire - Nippon Funk, Soul, Disco 1973-1983 Black Vinyl Edition
BGP • 2016 • ab 31.99€
Ganze drei Compilations widmeten sich in diesem japanischer Disco-, Boogie-, Soul- und Funk-Musik. Die wohl beste davon, »Lovin’ Mighty Fire (Nippon Funk, Soul, Disco 1973-1983)« wurde vom Briten Howard Williams alias Japan Blues zusammengestellt, der mit »Sells His Record Collection« eines der kuriosesten Alben des Jahres veröffentlichte. Darauf injizierte er gängigen Plunderphonics-Methoden – nicht weit vom Sampling entfernt – hier und dort unheimliche Momente wie den Vocoder-Einsatz im Track »Yakuza No Uta«. Der Bruch mit dem Ausgangsmaterial erinnert an den klassischen V-Effekt, wie ihn Bertolt Brecht einst im Theater einführte: Die Künstlichkeit der Situation wird also solche mit aller erlaubten Brutalität herausgestellt. Eine ähnliche Distanz nehmen Produzenten wie Don’t DJ und das Duo Visible Cloaks ein, die sich beide auf ihre Art ebenfalls mit japanischer Musik auseinandersetzen. Auf EPs wie »Authentic Exotism« von Don’t DJ und den Alben »Reassamblage« und »Lex« des Duos Visible Cloaks werden die Fragen nach den schwammigen Grenzbereichen zwischen stupider Appropriation und gesellschaftlichen Prozessen gestellt.

Japan Blues
Sells His Record Collection
Japan Blues • 2017 • ab 18.99€
Obwohl soviel Selbstkritik im Mainstream nicht erwartbar wäre, zeigt sich dort ebenso eine Änderung. Ed Sheerans »Shape Of You« verhält sich zu »Despacito« ungefähr so wie UB40 »Red Red Wine« zu Bob Marleys & The Wailers »One Love« und wäre beinahe hinter dem wahnwitzigen Streaming-Erfolg des Luis Fonsi-Hits mit dem Daddy Yankee-Feature auf der Strecke geblieben. So redlich sich westliche Produzenten auch darum bemühen, Dancehall-Rhythmen unter dem schwammigen Titel Tropical House für ihr weißes Publikum zu domestizieren, sie kommen langsam aber sicher nicht mehr hinterher. Die sogenannte dritte Welt – einschließlich Erster-Welt-Kulturen, die wie Japan und Südkorea vom Westen weiterhin exotisiert werden – verschafft sich mittlerweile selbst Gehör. Auf YouTube und around the world.

Visible Cloaks
Reassemblage
Rvng Intl. • 2017 • ab 23.99€
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Allein ein Blick über die natürliche Grenze der Festung Europa hinaus, das heißt übers Mittelmeer, spricht Bände: Kairo Is Coming lautet der vielsagende Name eines Kollektivs aus der ägyptischen Hauptstadt, aus dessen erweitertem Umfeld in diesem Jahr zwei Produzentinnen von sich reden machten: Bosaina veröffentlichte mit »New York, April – July 2013 / Two Names Upon The Shore« auf dem Londoner Label Discrepant eine Zusammenstellung zweier EPs und Nadah El Shazly debütierte mit dem Album »Ahwar« auf Nawa das von Ägypten ebenfalls in die englische Hauptstadt übergesiedelt ist. Dazu gesellen sich unter anderem EPs von der gebürtigen Tunesierin Deena Abdelwahed auf Infiné oder Emel Mathlouthis LP »Ensen«, die Liste ließe sich weiter führen.

Bosaina
New York April-July 2013 / Two Names Upon The Shore
Discrepant • 2017 • ab 19.99€
El Shazly, Abdelwahed und Mathlouthis Musik insbesondere haben auf den ersten Blick herzlich wenig miteinander oder mit der von Psy gemeinsam. Sie alle aber greifen auf eine ähnliche musikalische Formsprache zurück: Bei El Shazly und Mathlouthi vor allem Trip Hop-ähnliche Rhythmen, bei Abdelwahed das, was missverständlicher Weise unter dem Namen »Deconstructed Club Music« läuft. Eine Formsprache, die nicht mehr ohne Weiteres exotisiert werden kann. Sie formulieren ein globales Verständnis von beat-orientierter Pop- und Club-Musik, das sich nicht mehr auf seine Herkunft reduzieren lässt ohne sich allerdings der Verwertungslogik der US-europäischen Musikindustrie zu unterwerfen. Auch hier gibt es sicherlich noch einiges misszuverstehen, nur wird anders als bei Psy kein viraler running gag draus werden.

Wie internationale Musik klingen kann, die sich nicht von ihren Wurzeln losgelöst hat und die eigene kulturelle Identität in ein globales Narrativ einflechtet, machten in den letzten Jahren vor allem viele Netlabels vor. Von NON Worldwide über Príncipe, Staycore und N.A.A.F.I. hin zur Partyreihe Club Chai, die sich in diesem Jahr mit einer Compilation und der Debüt-EP der Künstlerin Thoom als Label etablierte: Was da vor allem durchs Netz und somit an der konventionellen Verwertungslogik der Musikindustrie seinen Ausdruck findet, ist weniger Fourth World denn One World. Eine Welt allerdings, in der die Unterschiede nicht kaschiert, sondern produktiv genutzt werden.

Psy hatte vorgemacht, dass die angebliche westliche Welt ihren Vorsprung durch Technik bereits insofern verloren hat, als dass der Erfolg nicht mehr nur allein in ihren geregelten Bahnen möglich ist. Und die Technologie verbreitet sich derweil in die andere Richtung, wie Jace Clayton bewiesen hat. Das alles kommt der Idee einer Fourth World Music ironischer Weise näher, als diese ursprünglich gemeint war.