In einem hellerleuchteten Hotelzimmer im Herzen Berlins sitzt Jonathan Wayne, genießt den Ausblick auf eine Müllhalde und kämmt sich die Haare. »Wow, das ist ein langes Haar«, sagt er und zieht ein tatsächlich sehr langes Haar aus seiner Bürste. Gestern hat er ein ausverkauftes Konzert im Musik & Frieden gespielt, heute lässt er es auf einem Bett, das knapp die Hälfte des Zimmers ausfüllt, ruhig angehen. Also so ruhig, wie ein Tag eben sein kann, wenn sich deutschen Rapjournalisten die Klinke in die Hand geben, um dem notorisch verschlossenen Producer und Rapper ein paar Geschichten zu entlocken.
Gesprächsstoff gibt es genug: Der ewige Newcomer, der früher bei Stones Throw unter Vertrag stand, zog sich 2015 aus dem Geschäft zurück, verschwand von der sprichwörtlichen Bildfläche.
Ein Jahr später kündigte er seine Rückkehr von »den Toten«, wie der Guardian es nannte, an, und machte auch den Grund für seine Abwesenheit öffentlich: Depressionen, Einsamkeit, Alkoholismus und Flugangst (die er wiederum mit mehr Alkohol bekämpfte) hatten ihn gebeutelt, er erreichte einen Tiefpunkt und sah sich gezwungen, sein Leben zu ändern. Unter dem Einfluss dieser Erlebnisse begann er die Arbeit an seinem »Rap Album Two«, das er Mitte Februar über sein neu gegründetes Label Authors Recordings veröffentlicht hat.»Wir sind kleine Partikel im Universum. Aber wir haben Riesenegos und denken, wir müssen unbesiegbar sein.«
Jonwayne
Dass er etwas zu erzählen hat, heißt allerdings noch lange nicht, dass er das auch tut. Jonwayne kennt die Mechanismen des Boulevard-Musikjournalismus und ist höchst vorsichtig, was seine Geschichte angeht. Selbst der Hip Hop-Journalisten-Koriphäe Jeff Weiss (der Mann hinter dem herrlich nerdigen Blog Passion Of The Weiss für das auch Jonwayne früher Kolumnen schrieb) wollte der Rapper und Producer nicht wirklich ein Interview geben .
Kommen wir direkt zum Wichtigsten: deinem neuen Album und seiner Entstehung. In anderen Interviews hast du klargestellt, dass du nicht wirklich über deine negativen Erfahrungen während der Entstehung des Albums sprechen willst.
Jonwayne: Ich glaube, jeder möchte darüber reden, weil Leute wegen so etwas auf einen Link klicken. Du hast vielleicht gute Absichten, aber vielleicht dein Chefredakteur nicht. Und was viele nicht wissen: ihr könnt euch eure Überschriften nicht aussuchen. Ihr reicht das Interview ein und dann sucht ein anderer Redakteur den skandalösesten Teil aus und macht daraus eine Überschrift, die die Leute anklicken sollen
Ich habe mir aber auch nach dem Lesen deiner letzten Interviews schon gedacht, dass es heute ein bisschen meta wird.
Jonwayne: Naja, ein Grund dafür ist, dass ich viel Respekt vor der Kunst des Journalismus habe. Ich veröffentliche auch gemeinsam mit dem Journalisten Max Bell aus Los Angeles später dieses Jahr ein 120 seitiges Interviewbuch. Das mache ich auch, damit ich meine Geschichte auf meine Weise erzählen kann. Versteh‘ mich nicht falsch, ich gebe gerne Interviews, ich sage immer zu, aber ich lasse mich von Journalisten nicht herumschubsen. Viele halten ihr Gegenüber für weniger versiert und glauben, sie können Fragen auf eine bestimmte Weise stellen, um eine bestimmte Antwort zu erhalten. Ich merke das auf eine Meile Entfernung, wenn jemand von mir eine Antwort für eine Überschrift oder so etwas möchte. Und ich mag es nicht, manipuliert zu werden.
Das ist verständlich. Und du möchtest wahrscheinlich auch nicht jedem Journalisten dieselbe Geschichte erzählen müssen.
Jonwayne: Darum geht es gar nicht so sehr. Ich respektiere diese Erlebnisse zu sehr, als dass ich sie von einem Haufen verschiedener Redakteure auf der Suche nach den skandalösesten Teilen auseinanderpflücken lassen würde, damit die Anzeigen verkaufen können. Ich finde es interessant, dass so viele Künstler darüber reden, unabhängig zu sein, aber sie verkaufen ihre Geschichte an den höchsten Bieter, nur für ein bisschen Hype. Ich bin nicht dumm. Ich möchte nicht den Leuten in die Karten spielen, die meine Geschichte ausnutzen möchten. Ich möchte entscheiden, wie meine Geschichte dargestellt wird. Und ich ermutige die Interviewer, ein Gespräch mit mir zu haben, anstatt eine Befragung durchzuführen.
Ich kann mir vorstellen, dass gerade zum neuen Album viele persönliche Fragen gestellt werden.
Jonwayne: Das stimmt, dabei glaube ich, dass das Album viel mit uns zu tun hat, als Menschen – nicht nur mit mir. Ich benutze meine Geschichte, um Leute dazu zu bringen, über sich selbst nachzudenken. Das wichtigste ist wohl, dass wir nicht alleine sein sollten. Wir sind Herdentiere. Wir sollten nicht meinen, uns zum Trauern zurückziehen zu müssen. Jeder von uns scheint Probleme zu haben, doch keiner möchte darüber sprechen. Wir sind in den sozialen Medien und sollen allen zeigen, wie gut es uns geht, dass alles super ist. Aber in Wirklichkeit fühlen sich die meisten Leute leer und ich glaube, dass wenn alle ein wenig ehrlicher mit ihren Gefühlen umgehen würden und auf andere Leute zugehen würden, es mehr Empathie auf der Welt gäbe und es uns allen besser gehen würde.
War das die Resonanz, die du bekommen hast, als du mit deinen Erlebnissen an die Öffentlichkeit gegangen bist?
Jonwayne: Genau, das war krass. Ich bekomme heute noch jeden Tag dutzende Nachrichten von Leuten, die sich mit dem, was ich durchgemacht habe, identifizieren können. Vielen Menschen geht es so und niemand möchte darüber reden. Ich weiß nicht warum. Ist es peinlich? Ist es etwas, womit wir zurechtkommen müssen? Ich verstehe nicht, warum wir uns nicht mehr öffnen. Wenn man darüber nachdenkt, bedeuten wir alle nichts, wir sind alle dumm, wir sind klein. Wir sind kleine Partikel im Universum. Aber wir haben Riesenegos und denken, wir müssen unbesiegbar sein.
Du hast neulich auf Twitter verkündet, dass du gerne für Mainstreamkünstler produzieren würdest. An wen hast du so gedacht und wie würdest du ihren Sound verändern wollen?
Jonwayne: Es ist nicht wichtig, wer genau. Es zählt die Bewegung. Du möchtest, dass ich dir Namen gebe und das mache ich generell ungern, weil es eigentlich immer zu viel Gewicht auf den einzelnen Künstler legt und nicht auf die Idee dahinter. Ich nenne auch ungern Namen, weil es dann aus dem Kontext gerissen wird und eine Person wichtiger genommen wird, als sie es wahrscheinlich war. Ich habe das Gefühl, Künstler werden in Interviews oft unter Druck gesetzt, so etwas zu sagen, Namen zu droppen. Aber ja, Mainstream-Künstler, egal wer. Einfach die Idee, den Maximalismus von Mainstream-Pop zu nehmen und ihn auf einen wackeligen, menschlichen Akkord zu reduzieren. Das würde einigen Leuten gut stehen. Denn viele Künstler werden von der Musik, zu der sie singen, übermannt.
Du würdest anderen Künstlern also das empfehlen, was du auf deinem neuen Album gemacht hast?
Jonwayne: Nunja, am Ende hängt es davon ab, wer du bist, und was du dir von Musik versprichst. Ich würde das, was ich mache eigentlich niemandem empfehlen (lacht), einfach weil ich nicht weiß, wo die Leute auf ihrem Weg sind. Vielleicht ist das, was ich mache, auch ziemlich dumm, ich werde es erst in ein paar Jahren wissen.
Jonwayne: (Lacht) Ich weiß nicht, was das bedeutet.
Aber du spielst damit auch ein bisschen, oder? Den Track »The Single« auf deinem neuen Album hast du als Meta-Witz über die für Rap-Alben nötige Single, die nicht zum Rest des Albums passt, beschrieben. Sowas verstehen doch eigentlich nur andere Musiker, oder?
Jonwayne: Naja, am Ende ist es mir egal (lacht). Ich mache die Musik für mich selbst, aber eine Sache muss ich dazu sagen: Wenn du dein Publikum für dumm hältst, machst du dumme Sachen.