Gilles Peterson drückte mit einer eklektischen Mischung aus dem von ihm geprägten Acid-Jazz und Rhythmuskultur die vorwiegend dem afrikanischen, sowie mittel- und südamerikanischen Raum entstammt, dem Programm des Radioplatzhirsches BBC Radio 1 über Jahre hinweg seinen Stempel auf. Im Musikgeschäft hat der in London beheimatete Peterson in seiner über 30 jährigen Karriere wahrscheinlich schon jeden Job gemacht, das Radio ist ihm jedoch eine Herzensangelegenheit geblieben. Somit ist es nicht verwunderlich, dass das Kuratieren eines musikalischen Rahmens neben dem Rundfunk (inzwischen BBC 6 Music) auch weiterhin ein integrer Bestandteil des Tagesgeschäfts der mit ihm assoziierten Crate-Digger Persönlichkeit ist.
hhv.demag: Hallo Gilles, ich stelle mir eine Retrospektive des MPS -Katalogs zu erstellen, ziemlich herausfordernd vor. Die Diskografie des Labels ist äußerst umfangreich. Wie lief also der Prozess des Zusammenstellens für »Magic Peterson Sunshine« ab?
Gilles Peterson: Das stimmt allerdings, ich glaube es sind um die 500 Veröffentlichungen. Ich habe also bestimmt die eine oder andere gute Scheibe verpasst, obwohl ich die Platten von MPS jetzt schon seit 30 Jahren sammle. Ein bisschen reduziert es sich auch dadurch, dass ich ja vorwiegend aus der Perspektive eines DJs an die Sache herangehe und natürlich eher nach den Platten schaue, die ein bisschen dieses Dancefloorfeeling haben. Einiges aus dem Katalog funktioniert in diesem Kontext sowieso nicht. In den Neunzigern habe ich über Talkin’ Loud, ein Label in das ich involviert war, bereits drei Compilations bestehend aus MPS Material zusammengestellt. Die Serie hieß Talkin’ Jazz.
War es dir niemals möglich im Archiv von MPS zu stöbern? Existiert ein solches überhaupt?
Gilles Peterson: Das ist schwierig. Eine ganze Menge solcher Labels sind nicht ordentlich digitalisiert oder in irgendeiner Form archiviert. Große Plattenfirmen wie Bluenote haben das Problem sicherlich nicht, bei MPS ist dieser Prozess jedoch gerade erst im Entstehen, seit Edel sich der Sache angenommen hat.
Mit kleinen Techno-Labels aus den Neunzigern habe ich das oftmals recht ähnlich erlebt. Da ist dann die Master-DAT verschütt gegangen, sodass ein vernünftiger Re-Release nicht mehr möglich ist.
Gilles Peterson: Floating Points hat mir vor Jahren mal einige Promos gegeben, als er gerade anfing, sich als DJ und Produzent einen Namen zu machen. Einer dieser Tracks war ein Edit von Curtis Amys »Katanga« Den hab ich damals überall gespielt. Die Nummer ist niemals irgendwo veröffentlicht worden. Als ich den letztens mal wieder ausgepackt habe, kam ein Typ zu mir der das Stück kannte und unbedingt haben wollte. Ich hab Floating Points davon erzählt, er meinte jedoch, dass er seine Copy schon vor Jahren verloren hätte und ich der Einzige wäre, der die noch hat. Selbst den vermeintlich organisiertesten Köpfen kann so etwas also passieren.
Wie steht es denn um deine Ordnung? Ich habe gelesen, dass deine Plattensammlung einen Umfang von circa 40.000 bis 60.000 Platten hat.
»Wenn du mich jetzt aber nach einer Platte mit diesem oder jenem Theo Parrish Remix fragst, kann das Wochen dauern die rauszusuchen.»
Was hast du dir über die Jahre für ein System angeeignet, um halbwegs haushalten zu können?
Es gibt zwei Orte, die den Großteil meiner Platten beherbergen. Da wäre zum Einen mein altes Haus. Dort bewahre ich auch alles von meinem Label Brownswood auf. Das ist eigentlich relativ gut sortiert. Es gibt einen Raum für brasilianische Platten, einen Raum für Latin, einen für Jazz, einen für Vocal-Jazz, rares Zeug, all diese unterschiedlichen Sektionen.
Zum Anderen ist da noch ein Platz hinter meinem Haus, wo ein Großteil meiner 12inches und eine ganze Menge CDs lagern. Alles nach 1986 bis ungefähr 2000 ist komplettes Chaos. Jungle, Bass-Musik, House, Hip-Hop – wobei, die Hip-Hop Sachen sind eigentlich ganz gut sortiert. Wenn du mich jetzt aber nach einer Platte mit diesem oder jenem Theo Parrish Remix fragst, kann das Wochen dauern die rauszusuchen.
Wie bekommt man denn als Sammler diese unglaubliche Masse an Platten zusammen? Wenn man das mal herunterbricht, sind das immer noch über 1000 Platten im Jahr – eine enorme Summe.
Gilles Peterson: Ich bin inzwischen 51 Jahre alt und kaufe fast jeden Tag Platten, seit ich 14 Jahre alt bin. Du darfst nicht vergessen, dass man mich seit einer halben Ewigkeit Woche für Woche im Radio hören kann. Promos sind ergo ein nicht unwesentlicher Faktor. Es gab Zeiten, da habe ich bestimmt 100 Platten in der Woche zugeschickt bekommen. Bei ausgewählten Labels ist mir obendrein Vollständigkeit wichtig. Horo, ein italienisches Jazz Label und in etwa das Gegenstück zur deutschen MPS, ist eines davon. Das ist ein bisschen wie mit den Panini Stickerheften.
Wie wichtig ist dir Discogs?
Gilles Peterson: Discogs ist schon toll, denn man hat fast unbeschränkte Zugriffsmöglichkeiten auf fast jeden Tonträger! Die Kostenfrage ist dann wieder ein anderer Aspekt. Erst letzte Woche habe ich dort eine Platte für 70 Pfund gekauft. Wenn ich etwas wirklich unbedingt haben möchte, benutze ich Discogs. Was mir dort jedoch fehlt ist der Typ der hinter dem Tresen steht und dir Platten vorspielt.
Gibt es irgendwelche fesselnden Sammler-Anekdoten die du zum Besten geben kannst?
Gilles Peterson: Als DJ reise ich sehr viel. Es gibt da diesen großartigen Plattenladen in Tokio. Disc-Union heißt der. Also eigentlich gibt es mehrere Disc-Unions, der den ich meine liegt in Shibuya. Die wissen ganz genau was sie dir vorspielen müssen, um dich zum Kaufen zu bewegen. In deren Kellergeschoss arbeitet dieser begnadete Jazz-Spezialist.
Dort gibt es viele Raritäten und das dort kollektivierte Wissen ist wirklich enorm. Ich gehe also runter und der Typ spielt eine Platte an. Das ist jetzt circa fünf oder sechs Jahre her. Ich bin sofort hin und weg. Das war »Love & Death« von Ebo Taylor die Originalpressung. Diese Platte hat mich echt umgehauen. Ich frage ihn also, wie viel er dafür haben will. Die Antwort folgte auf dem Fuße: »Nicht zu verkaufen«. Ich dachte erst er macht Witze. Du kannst doch nicht in einem Plattenladen eine Platte anspielen und sie dann nicht verkaufen. Aber es war nichts zu machen. Das war dann das einzige Mal, dass ich Ebay benutzt habe. Ich habe extra einen Account angelegt und 300 Pfund bezahlt. Einen Monat später kam die Reissue.»Ich habe extra einen Account angelegt und 300 Pfund bezahlt. Einen Monat später kam die Reissue.«
Gilles Peterson
Ist nicht wahr!
Gilles Peterson: Wo wir schon von Raritäten sprechen muss ich die Lanze für meine Sun-Ra-Platten brechen. Sun-Ra hat nämlich sein Artwork selbst gemalt. Bevor er so berühmt wurde wie er es heute ist, waren seine Platten noch vergleichsweise leicht zu bekommen. Ich besitze einige dieser Platten mit Original-Cover. Das ist so ein bisschen wie Kunst zu besitzen, als ob ein Keith Haring in deinem Haus hängen würde. Da ist nicht bloß Musik für mich.
Hast du zu guter Letzt noch ein paar Ratschläge für angehende Crate-Digger parat?
Gilles Peterson: Wenn du grade erst anfängst, dich mit all dem auseinanderzusetzen, dann stürze dich nicht direkt auf die ganzen raren und teuren Sachen. Das ist bloß das obskure Zeug und nicht einmal alles davon ist wirklich gut. Es gibt so viel großartige Musik zu Schleuderpreisen, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Und zweitens, wenn du eine Kiste voller Platten vor dir hast, dann fang immer zuerst hinten an, denn normalerweise verstecken die Leute dort ihre besten Sachen, die sie aus welchen Gründen auch immer, nicht direkt mitnehmen konnten, um sie später abzuholen.
Vielen Dank für das Gespräch Gilles.
Gilles Peterson: Sehr gerne.
Die Schallplatten von Gilles Peterson’s Browndwood Recordings findest du im [Webshop von HHV](https://www.hhv.de/shop/de/brownswood-vinyl-cd-tape/i:L250N4.)
Die Schallplatte von Gilles Peterson findest du im [Webshop von HHV](https://www.hhv.de/shop/de/gilles-peterson-downbeat-electronica-leftfield/i:A3119D2N109S6U9)