Kunze: Ich bin ja Twigs-Fanboy. Aber: ich empfinde unerwartet viel Ablehnung gegenüber dem Album.
Aigner: Ich auch. Es ist schrecklich kalt. Ich mach’ mir Sorgen um die.
Kunze: Ah okay, da ist es bei mir anders. Ich empfinde keine Empathie; dafür lässt das Album keinen Raum.
Aigner: Und ich bin mir sicher, dass es überhaupt keinen Spaß macht, mit der abzuhängen.
Kunze: Ich fürchte es auch. Das kam ja auch in dem Fader-Artikel schon ganz gut rüber. Und überhaupt, Interviews mit ihr: Sie wird nicht müde zu betonen, was sie doch für ein Sonderling sei, und oh, ich trinke nur Tee und bin alleine zu Hause und oh, ich bin so besonders. Dass sie das betont, macht alles kaputt. Mich hat die ikonische Darstellung im Video zu »Two Weeks« noch im positiven Sinne umgehauen. Weil das trotzdem noch fragil wirkte. Wenn ich jetzt aber das Gesamtkonstrukt FKA Twigs wahrnehme, sehe ich da nichts mehr Zerbrechliches, sondern nur ein abgeschlossenes, durchgestyltes Produkt. Mir fehlt da einfach die Fehlbarkeit und damit schlicht das Menschliche. Und von so einem Ort aus finde ich es einfach schwierig, glaubhaft über Liebe, Verlust o.ä. zu singen.
Aigner: Also zum Kunstprodukt: das ist so wahr. Aber warum ist es immer so eklig, wenn sich nicht karikatureske Künstler so perfekt inszenieren? Ich finde das ja auch bei FKA Twigs viel mehr zum Kotzen als bei Nicki Minaj oder so. Nicki Minaj ist ja wegen der Inszenierung geil, FKA Twigs ist trotz eines ziemlich perfekten Albums irgendwie kein Gewinner.
Kunze: Ich denke der Unterschied ist, dass Nicki und Co. einfach auch cartoon-hafte Gefühle vermitteln und das passt dann. Aber Twigs will ja schmerzliche Gefühle in Graustufen vermitteln. Das Problem liegt darin: man kann Verletzlichkeit nicht entwerfen, Sexbomben schon.
Aigner: Aber warum ist das so? Ich seh‘ diese demonstrativ artsy-hässlichen, verschwitzten Instagram-Fotos von ihr, all permed out und mit diesem Nasenring, und denke auch nur: jetzt mach‘ halt mal halblang! Kanye West baut ne Kathedrale und ich denke: geil!
CITI:Wer etwas Verletzliches perfekt präsentiert, der kann so verletzt nicht sein. :### Kunze: Weil das bei Kanye einfach besser zusammengeht. Weil ein Gottkomplex etwas ist, das man extrovertiert austrägt. Und Verletzlichkeit nicht bzw. finde ich, wer etwas Verletzliches perfekt präsentiert, der kann so verletzt nicht sein.
Aigner: Das ist natürlich eine grundsätzliche Frage, aber ist diese Verletzlichkeit nicht der Baustein für 80% dieser Folker? Also Justin Vernon nehm‘ ich schon ab, dass er zu Hause sitzt und beim Risotto machen weint. Bei FKA Twigs ist das so komisch »Schauspielschulen-Aufnahmeprüfung«.
Kunze: Ja gut, Vernon kam plötzlich aus der Hütte, die Rotze noch am Ärmel und da war dann dieses Album. Das war auch nicht perfekt durchproduziert.
Aigner: Ich glaube deswegen mache ich mir Sorgen um sie, weil da emotional so involviert sein will, sich aber nie so anfühlt. Ergo: sie ist leer. »If I trust you, we can do it with the lights on«. – Ich bitte dich.
Kunze: Ist aber ja allegorisch gemeint, bla bla… Aber ja, so fühlt es sich an: Geschichten einer leeren Perfektionistin.
Aigner: Also geil ist das ja schon trotzdem, das muss man ja sagen. Ich höre gerade »Hours« – diesen Post R&B-Scheiß kann man musikalisch nicht besser umsetzten.
Kunze: »Hours«? Nervt! »Pendulum«, da trifft das zu, was du sagst. Das Highlight ist für mich aber »Give Up«. Neben »Two Weeks«, obviously. Dem Song (»Two Weeks«) bringe ich Gaben an den Altar, nackt, hingebungsvoll, immer in Bereitschaft ausgepeitscht zu werden.
Aigner: Mit dem Album ist es ein bisschen wie mit »House of Balloons«. Das empfand ich auch als ultraartifiziell. Aber am Ende ist »The Morning« dann halt ein perfekter Song, wenn man den Künstler ausblendet. Ich glaube deswegen finde ich das dann auch nicht langfristig schwierig
Kunze: Ja, das ist ein guter Vergleich. Aber das Überraschende ist ja hier, dass wir FKA Twigs überhaupt ausblenden wollen. Wobei, ich habe das bei mir schon irgendwie kommen sehen. Das war musikalisch von Anfang an zu aalglatt. Man durfte keinem Versuch beiwohnen. Man bekommt das Gefühl, dass jeder Schritt perfekt entworfen wurde, bevor er vollzogen wurde.
Aigner: Ich schieb‘ das immer noch ein bisschen darauf, dass alle Geschmacksinstanzen ihr so dermaßen viel Raum einräumen und wir deswegen überkritisch sind. Wenn das immer noch ein random Soundcloud-Ding mit 40.000 Klicks wäre, ich glaube, wir würden das nicht so dechiffrieren.
Kunze: Ich wollte aber nicht kritisch sein! Ich war bereit, mich da reinfallen zu lassen, like for real, on some Liebesdramashit. Aber jetzt schmuse ich mich an einen Cyborg an.
Aigner: Na klar, aber dann liest du die Fader-Story, die Spex-Story, die Groove-Story. Das kann man ja auch als Fanboy nicht erfolgreich verdrängen.
Kunze: Das ist wahr. Ich höre auf, mich zu informieren. Liebe Leser, es ist offiziell: ich werde ein noch schlechterer Journalist.
Aigner: Musikalisch sind wir uns jedenfalls eh einig: wunderbar hier.
Kunze: Nicht so wunderbar, wie das meine zu hohen Erwartungen… äh… erwartet haben. Songs 1, 2, und 3 finde ich zum Beispiel nicht gut. Aber ja, diskutieren muss man hier vor allem das Gefühlsthema. Hier geht’s ja viel darum, aber über eine Musik, die nach so viel Kopf klingt – das beißt sich einfach.
Aigner: Aber »Give Up« ist für mich nicht so verkopft. Das ist nicht ganz so überkonstruiert. Da ist der Konflikt auch direkt ersichtlich. Und eben nicht so forciert. Da fehlt dieser ganze widerliche Ich-bin-Kunst-Habitus. Das steht ihr.
Kunze: Vielleicht versuch ich’s mal so zu beschreiben: Emotion in Kunst kann ich eher fühlen. Emotion in Design finde ich schwierig. Da steckt zu viel Kopf dahinter. Und »LP1« ist Design. Großartiges Design. Auch dank Arca, um das mal zu betonen. Aber es berührt mich nicht. ###CITI: » »LP1« ist Design. Großartiges Design. Aber es berührt mich nicht.:###
Aigner: Hm, interessant, ja. Dass das ein Designobjekt ist, das stimmt. Aber ich weiß nicht, warum mich das stört. Da habe ich eigentlich nicht so ein grundsätzliches Problem mit wie du, normalerweise.
Kunze: Vielleicht nur, weil das Design-Stück hier so penetrant schreit: ich fühle! Die Lüge ist zu offensichtlich.»Ich seh‘ diese demonstrativ artsy-hässlichen Instagram-Fotos von ihr und denke auch nur: jetzt mach‘ halt mal halblang. Kanye baut ne Kathedrale und ich denke
geil! Warum ist das so?«:
Aigner: Auch diese ganze Scheiße von wegen »Ich schreibe einen Lovesong an meinen queeren platonischen Kumpel«. Das ist so Erstsemester-Kunststudenten-Bullshit. Das kann sie gerne machen, aber zu betonen wie edgy das 2014 noch sein soll, ey, da lach’ ich mich tot.
Kunze: Aber nur, weil du jeden Tag in deinem Kosmos von entsprechenden Dingen umgeben bist. Die ganzen Tussneldas, die jetzt plötzlich auch FKA Twigs hören, für die ist das edgy. Und ein paar männliche Prolldeppen hat sie inzwischen sicher auch als Hörer gewonnen. Und denen bietet sie sicher eine völlig verwirrende Perspektive. Gut so!
Aigner: Wenn man das mal mit Pharrell Williams vergleicht, finde ich das interessant. Den fanden wir ja asexuell. FKA Twigs ist das für mich auch. Nur komplett diametral.
Kunze: Die Sexualität ist für mich das, was mich an dem Album am meisten anzieht.
Aigner: Im Ernst? Ich finde das eben null sexy. Ultrakalt. Design halt.
Kunze: Ja, aber genau das finde ich spannend: vom Sujet her und vom Stimmeinsatz ist das fraglos sexy. Und dann finde ich das anturnend, gleichzeitig erscheint es mir aber unmenschlich, ikonisch, als Design. Es ist interessant, wenn man plötzlich scharf auf ein Design ist. Und das ganze Album ist ja auch ein starkes feministisches Statement, wenn es so gewollt ist: Sie macht sich zum Objekt der Begierde, einem Objekt aber, das sich selbst so ikonisch inszeniert, dass es größer als die Objektivierung durch den männlichen Blick gerät, der dadurch seine Macht verliert.
Aigner: Grace Jones > FKA Twigs.
Kunze: Ach komm schon, das ist ja auch ein unfairer Vergleich. Aber alleine, dass du den heranziehst…
Aigner:…ist eine Frechheit und ein Riesenkompliment in einem.