Jessy Lanza – Sie und Er

22.10.2013
Foto:Tim Saccenti / @Hyperdub
Was haben Chart-R&B und Warp Records gemeinsam? Nichts möchte man denken. Wären da nicht Jessy Lanza und Junior Boy Jeremy Greenspan, die aus R&B, Disco, Post-Alles und Electro-Pop das sexieste Album des Jahres gemacht haben.

Sie hat einen Bachelor in Jazz, er hat das Genre Synth-Pop mitgeprägt. Sie ist Jessy Lanza und er ist Jeremy Greenspan. Was ihre musikalischen Hintergründe anbelangt, würde man die beiden kaum miteinander in Verbindung bringen und doch haben sie mit »Pull My Hair Back« eine herausragendes Album gemeinsam aufgenommen. Greenspan und Lanza kannten sich schon vor ihrer Zusammenarbeit privat. Als Jeremy Greenspan schließlich am Junior-Boys-Album »It‘s All True« arbeitet, sucht er eine Frau für Gesang und Klavier. Jessy Lanza übernimmt diese Rolle und beginnt, nicht nur am Junior-Boys-Album, sondern auch an ihrem eigenen zu arbeiten. Den gemeinsamen musikalischen Nenner bildet R&B. Moderner Mainstream-R&B genauso wie der R&B aus seinen goldenen Tagen, wie Jessy Lanza die Neunziger und ihre Akteure rund um Aaliyah nennt. Die beiden einigen sich: Wir machen ein R&B-Album zusammen. Nur wie soll unser R&B klingen? Die Richtung gibt dann ein Album vor, das 2001 auf Warp erschien. »Lifestyles Of The Laptop Cafe« von The Other People Place, ein Projekt von Drexciya-Produzent James Marcel Stinson, nennt Lanza als wichtigsten Einfluss für den Sound der Platte. So wird das schließlich auf Hyperdub veröffentlichte »Pull My Hair Back« zu einem Post-Disco-R&B-Album und auch zu einem der interessantesten Pop-Alben des Jahres. Der Zugang zum elektronischen ist für Jessy Lanza dabei alles andere als neu: Ihr Vater arbeitete während der 1990er Jahre in einem Audio-Unternehmen und baute Sound-Systeme in sämtliche Tanz-Club ihrer Heimatstadt Hamilton; nach seinem Tod überließ der Vater seiner Tochter ein ganzes Paket an Synthesizern und Drum-Maschinen. Man darf es wohl Greenspan danken, dass er diese Einflüsse kanalisierte und auf »Pully My Hair Back« Lanzas weicher Stimme entgegenstellte. Das Ergebnis ist vor allem eines: sexy.

»Ich schreibe über Sex, weil im Endeffekt geht es doch in guter Pop-Musik immer genau darum.«

Jessy Lanza
Das Spiel mit der Haarlocke
Wie klingt sexy, wenn es irgendwo zwischen dem heute modischen Fuck-You-All-The-Time-Sexy eines Jeremihs, dem zarten Hauchen Aaliyahs und Discolichtern liegt? Es klingt elegant, niemals aufdringlich und selten explizit. Wenn Lanza ins Mikrofon atmet, » love me, with my back against the wall«, dann ist das der eindeutigste Moment des Albums. Das Erotische kommt auf dem Album nie ausgelutscht rüber (no pun intended) und triftet nicht ins Billige ab. Und selbst wenn es so wäre, es würde Jessy Lanza nicht kümmern: »Es ist mir egal, wenn [die musikalische Darstellung von] Sex als zu billig oder zu viel rüberkommt. Es kommt alles auf den Kontext an und wenn ein Song gut ist, dann ist er gut. Ich schreibe über Sex, weil im Endeffekt geht es doch in guter Pop-Musik immer genau darum.« Und was ist der Kontext auf den Songs von »Pull My Hair Back«? Das ist nicht immer klar und darin liegt der erotische Reiz des Album, der niemals ausgereizt wird, weil er nicht überstrapaziert wird. Textlich wie musikalisch deutet Jessy Lanza mehr an, als sie ausspricht, spielt mit den Genres wie mit einer Haarlocke, die sie immer wieder um ihre Finger zwirbelt und dann wieder fallen lässt. So liegt der Kontext letztendlich in der Fantasie des Zuhörers. Denn Lanza beschreibt kaum mal eine detaillierte Szene, sondern fängt Spannungen ein. »Mit den Texten auf dem Album ging es mir mehr darum ein Wort oder einen Satz zu finden, der eine Stimmung wiedergibt, als um spezifische Umstände oder Situationen«, erklärt sie. Die spezifischen Situation wird dieses Album auch so bei seinen Hörern und Hörerinnen schaffen. Wenn irgendeine »sie« und irgendein »er« aufeinandertreffen.