Zwölf Zehner – Juli 2012

08.08.2012
Willkommen im August. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat Juli musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Funkineven & Fatima
Phoneline
Eglo • 2012 • ab 8.99€
Nachdem wir Funkineven hier bereits mit wüsten Acid-Störfeuern und Theme-Tuning in unser Herz geschlossen haben, nehmen wir dort endlich auch Fatima auf. Vor »Phoneline« gerne zu esoterisch und sperrig, schafft es Eglos First Lady mit ihrem ersten bedingungslosen Pop-Tune direkt all die Katy Bs, AlunaGeorges und was weiß ich wer in den letzten Jahren noch als großes UK-Bass-Crossover-Starlett gehandelt wurde, obsolet zu machen. Beginnen tut »Phoneline« standesgemäß wie ein zappeliger House-Tune, wenn Funkineven Fatima aber diese wunderbare Hook vorlegt, mutiert das bisher eingängigste Eglo-Release zum besten Sugarbabes-Song seit »Round & Round«. Ach ja, wir mögen die Sugababes.

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Ganz ehrlich: »Between Friends« macht wütend. Wütend darüber, dass sich Flying Lotus seit Jahren so tief in diesem undurchdringlichen Post-IDM-Dschungel vergräbt, Jazz redefinieren will und am liebsten Thom York heiraten würde. Ja, das resultierte auch in großartigen Alben, auf denen es Fly Lo besser gelang seine Hip Hop- Wurzeln in etwas völlig eigenständiges zu übersetzen als nahezu jedem, auf dessen Konto nicht »Endtroducing« ging. Aber: »Among Friends« zeigt auch, dass es öfter mal Beats im herkömmlichen Sinne sein dürften. Earl Sweatshirt schludert sich mit viel zu viel Distortion und Hall durch Lotus’ Prince-Paul-für-2012-Instrumental und dass in den gut drei Minuten auch jemand namens Captain Murphy auftaucht (der verdächtig nach Tyler The Creator klingt), hat man sofort wieder vergessen, aber allein dieses kurze Intro-Loop ist schon besser als 90% der diesjährigen Arbeitsnachweise der ganzen Realkeeper.

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Twin Shadow
Confess
4AD • 2012 • ab 27.99€
Heilige Scheiße, Sting covert »I’m On Fire«? Ah, die Bridge. Warte, Bowie und Level 42 mochten Huey Lewis doch? Wie jetzt, noch etwas »Pianoman«-Pathos zum Ende? Ich bin fertig mit den Nerven, George Lewis Jr., du bist schon irgendwie der Allerallergeilste. Nicht nur, dass du die Haare im Begleitvideo zu »Run My Heart« wieder so schön hast, du bist auch narzisstisch genug um diese 80er-Larger-Than-Lifeness tatsächlich unpeinlich unzusetzen, den Motorrädern, dem gesunden Bartwuchs und dem hier geheuchelten Gefühlschaos sei Dank. Wir glauben dir ja sogar fast, dass es echt ganz schön doof ist, wenn jeden Tag 4.500 Pitchfork-Gören mit schönen Rücken vor der Twin Shadow Garage stehen, schmutzigen Sex mit dir haben wollen und du dich nicht einfach nicht verlieben kannst. Und genau dafür lieben wir dich, weil du, im Gegensatz zu den blassen Gitarrenheulsusen, wirklich so ein verdammtes Arschloch bist, wie wir es in dieser Sparte lange nicht mehr hatten. Auch wenn mich der Kolumnistenkollege hierfür steinigt: ich glaube Prince wäre stolz auf dich.

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Das ist doch auch mal eine sympathische Entwicklung: während sich fast alle ehemaligen Britstepper dem geraden Viervierteltakt unterworfen haben um mehr oder weniger konventionelle House-Music zu produzieren, geht Bicep mit seinem Kumpel Ejeca den entgegengesetzten Weg, weg von Deep House Tropen, zurück zu »Hyph Mngo«, Burial und Martyns Erstling. Auf einem erfrischend zickigen Rhythmusgerüst rollen die beiden eine dieser getragenen Dusk & Blackdown Synthlines aus und schmücken das Ganze dann mit einem wunderschönen, dominanten R&B-Vocal-Sample, das in der Koda noch einige Nebenbuhler bekommt, sich aber dennoch als tragendes Element von »Over« halten kann. Wunderschön tränendrüsig und gleichzeitig vor Energie strotzend – hat man auch nicht jeden Tag auf dem Tanzboden.

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John Roberts
Paper Frames
Dial • 2012 • ab 8.99€
Ach, lieber John, das wurde aber auch Zeit, dass du deine Reise- und Verlegertätigkeiten für einen Moment unterbricht und dich wieder den Dingen widmest, die zumindest uns viel wichtiger scheinen. Wir haben sie vermisst, diese entzückenden Versatzstücke aus tausenden Winzigkeiten, die sich zusammenfügen zu einem bezaubernd herbstlichen Melodienkonstrukt und den Soundtrack liefern für jene Abende, an denen man mit der Angebeteten gedankenvertieft durch Alleen schlendert – dem Horizont entgegen – und mit seinen eingelaufenen Wohlfühlslippern die auf dem Boden liegenden Schalenfrüchte zum knuspern bringt, auf das sich die Nackenhaare aufrichten. Ach John, bleib hier und schenk uns zu »Crushing Shells« gleich noch das passende Album, auf das wir alle warten, obwohl wir uns zu »Glass Eights« immer noch nicht sattgehört haben.

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Über Juicy Js Legendenstatus im dreckigen Süden muss man keine Worte verlieren, auch darüber nicht, dass er es mühelos geschafft hat mit aktuellen Flavors Of The Month zu kollaborieren, ohne sich zum Affen zu machen. Dass er über ein Loop aus dem nach wie vor besten The Weeknd Song hingegen klingt, als hätte man dieses ganze Sizzurp-Ding nur für ihn erfunden, hingegen schon. Über das laszive Liebesbekenntnis zu Kodein-Bechern klärt Juice, dass er der Bombay schlürfende Bobby Brown mit jeder Menge leichter Damen in der Wohnung ist und sich all das verdammt großartig anfühlt. Das hat natürlich wenig mit dem hiesigen State Of Mind zu tun, aber war Rap nicht schon immer 80% Eskapismus?

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Storm Queen (Morgan Geist & Damon C. Scott)
Let's Make Mistakes
Environ • 2012 • ab 17.99€
Morgan Geist ist auch so ein Kerl, den man einfach gern haben muss. Mit einer stoischen Eleganz tüftelt der New Yorker Feingeist und Metro-Area-Maestro seine Stilhybride aus Disco-Sleaze, Italo und Nu Groove, die von den Sehnsuchtssalven des U-Bahn-Virtuosen Damon Scott immer wieder auf Anthem-Niveau getragen werden. Alle guten Dinge sind drei, da überrascht es wenig, dass die dritte Storm Queen-Maxi die beste von allen ist. Morgan Geist hält sich streng an den Sequencer, als wäre er bei Carl Craig in die Schule gegangen (bisweilen erinnert »Let’s Make Mistakes« gar an Craigs fulminante Theo-Parrish-Interpretation,) fügt feingliedrige Drums, Hi-Hats, Shaker und Claps Stein auf Stein, lässt Zwischenräume, damit Damon Scott genügend Zeit zum Atmen bleibt und schickt den Track just im richtigen Moment mit seiner wuchtigen Italo-Bassline und sich ausbreitenden Orgelakkorden in den Disco/Gospel-Himmel. Damon Scott bringts auf den Punkt: »Let’s go berzerk!«

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Karriem Riggins
Together
Stones Throw • 2012 • ab 20.99€
Madvillain 2? Geschenkt, man will ja doch nicht dran glauben. Ein kongeniales Supreme Team aus Madlib und Karriem Riggins, das uns auf wenigen Stücken so schmackhaft gemacht worden ist, um dann doch wieder in der Versenkung zu… ähhh versinken? Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber mal ehrlich: Wir glauben nicht dran. Zumindest schenkt man uns im Hause Stones Throw jetzt den ebenfalls erwarteten Longplayer und das Albumdebüt des begabten Drummers Karriem Riggins, der auch an der MPC so seine Fähigkeiten hat. Dessen Qualität auf »Because« besticht hier aus wirklich großspurigen Sampling, das sich als solches auch zu erkennen gibt und sich deshalb nah an der Originalvorlage orientiert, diese aber großzügig zerhackt, die Stimme abschneidet und dennoch den Groove aus Gitarre, Bassgitarre und anmutenden Flötenspiel an der kurzen Leine hält. Ganz groß, because: Da kommt der gelernte Musiker, der Drummer zum Vorschein, ausgestattet mit dem nötigen Gespür, das Rhythmuskorsett am Laufen zu halten.

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Steve Summers
Analogous Desires EP
Construction Paper • 2012 • ab 11.99€
Wir verarbeiten unsere Trauer über das Beziehungsaus des von uns gerne als most knuddelig in House Music geadelten Pärchens Innergaze damit, dass wir hier mal wieder die Soloqualitäten von Jason Letkiewicz aka Steve Summers anpreisen. Der hat mit »Analogous Desires« erneut eine wunderbare EP gemacht, die zwar wieder nur klingt als hätte jemand unveröffentlichte Larry Heard DATs aus dem Jahr 1986 gefunden, aber wer diese Kolumne bisher mehr oder weniger regelmäßig verfolgt hat, könnte ahnen: ob dieser Beschreibung nässen wir uns immer und wieder ein, vor allem wenn, wie hier, jegliche Augenwischerei fehlt und aus jeder Bassline, jeder offenen Hi-Hat eine Liebe tropft, die stärker ist als die fleischliche: jene zum japanischen Elektronikhersteller Roland und dessen Tätigkeit als Architekt für dieses Haus, das er unter dem Namen Jack gebaut hat.

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Die Art und Weise wie dieses Rapspiel momentan funktioniert, ist ohne ADHS und Tmblr-Obsession kaum mehr nachvollziehbar. Allein für neue Raider Klan Tracks bräuchte man einen Liveticker olympischen Ausmaßes, von den ganzen anderen Jungspunden ganz zu schweigen. Vince Staples ist wohl auch ein erweitertes Mitglied der Spaceghostpurrp Sippe, um dies zu bestätigen, müssten wir aber erst unseren Hood-Beauftragten Kunze dazu bringen die Augen mal vier Sekunden nicht auf neue Trap-Gifs zu richten. Sei es drum, er assistiert hier einem gewissen Cashius Green, der klingt wie eine etwas weniger verstrahlte Version von Devon The Dude und ein wirklich nettes Mixtape veröffentlicht hat. Zusammen erklären uns die Jungs dann, dass man auch heute noch das Geld in der Trap erhustlen muss und nicht auf Youtube, dass das ganz schön unglücklich macht und man im Zweifelsfall bei Driveby-Shootings auch mal auf Kinder zielen muss. Ein Horst, wer das für bare Münze nimmt, aber diese demonstrative jugendliche Ignoranz, gekoppelt mit einem Beat, der ein wenig klingt wie »Xplosive« auf Ritalin, ist halt einfach erfrischender als Treueschwüre auf die fünf Elemente.

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