Selten klafften Selbst- und Fremdwahrnehmung so weit auseinander wie bei diesem jungen Spanier. John Talabot ist bereits im ersten Quartal bei vielen Kritikern und Fans der Hype des jungen Jahres und sein Debüt »ƒin« heißer Kandidat für die Bestenlisten zum Jahresabschluss. Obendrein sind seine Remixe gefragt wie nie zuvor (Bands wie The xx und Delorean fragten bereits an) und prominente Fans wie James Murphy und Len Faki stehen zur Gratulation bereit. Der Künstler selbst gibt sich da bescheidener. Seine Identität ist unbekannt. Gerüchten zufolge war Talabot früher als Techno-Produzent D.A.R.Y.L. unterwegs – alles nur Spekulation. »Ich will nicht mit meinen anderen Projekten assoziiert werden. Die Leute sollen nur die Musik beurteilen, die ich als John Talabot mache«, begründet der Mann hinter der Alufolien-Maske sein Versteckspiel. Man kauft es ihm ab. Diese Haltung ist alles andere als Ausdruck einer kalkulierten Eitelkeit oder die Koketterie zur künstlichen Befeuerung des Hypes. Vielmehr fühlt es sich so an, als wolle und könne der Spanier den Hype um seine Musik gar nicht so richtig verstehen. Als Musiker jedenfalls sieht er sich nicht. Bis vor kurzem konnte er weder Klavier spielen noch Noten lesen.
Einige Klavierstunden und eine gefühlte Ewigkeit, sowie dutzende Songskizzen später steht sein erster Langspieler. Hier entwickelt er seinen Sound weiter und schafft ein zusammenhängendes Album anstelle einer bloßen Aneinanderreihung von Club-Tracks. Damit gelingt ihm, was er bereits kurz nach seinem Über-Nacht-Erfolg mit »Sunshine« – dem sonnigen Club-Track mit Techno-Beats und Afro-Einschlag – angekündigt hatte: Aus den vielschichigen, hier und da ziellos housigen Tracks einen ambitionierten Elektro-Pop-Klangteppich zu weben. Die Tracks kommen auf den Punkt und obschon sie immer noch diese balearische Leichtigkeit besitzen, die stellenweise an Caribou oder Four Tet erinnert, forcieren sie einen Aspekt, der bisher in Talabots Kompositionen zu wenig herausstach, ihm jedoch immer sehr wichtig war. »ƒin« trägt eine unterschwellige Melancholie mit sich und inszeniert eine musikalische Geschichte, die mehr zu bieten hat als diese langweilige, sonnige Hedonisten-Welt.
War sein bisheriges Schaffen noch bestimmt von einer Komplexität und Vielschichtigkeit, die zwar direkt auf den Dancefloor zeigte, dabei jedoch oft unentschlossen wirkte, geht »ƒin« einen Schritt zurück. Der Dancefloor ist nur noch zu erahnen, aber doch immer präsent – in der Ferne, irgendwo zwischen Sommerabend und Nachtschwärmerei.Die collageartigen Soundkonstrukte wirken dabei wie minutiös geplante und ineinander verwobene Songfragmente. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Vielmehr begreift Talabot seine Musik als eine Art Mosaik oder Puzzle, bei dem nur die einzelnen Fragmente per Trial & Error richtig zusammengesetzt werden müssten. »Aber das ist nichts Besonderes. Jeder kann das«, spielt er seine Arbeit herunter. Doch Talabot schafft es, durch gezieltes Experimentieren, Dinge zu kombinieren und Neuartiges entstehen zu lassen. Dass er damit den gegenwärtigen Zeitgeist trifft, ist daher wohl eher dem Zufall geschuldet als irgendeinem Kalkül. Dass »ƒin« ein durchweg konsistentes Mini-Epos geworden ist, kann hingegen nur der gesunden Naivität und Experimentierfreude eines ambitionierten Pop-Tüftlers zugeschrieben werden. Wenn er über Theo Parrish und Omar-S. schwärmt, sie befänden sich »auf der Suche nach dem organischen Sound, einem Weg die Seele zu ergreifen«_, dann gilt das irgendwie auch für die Arbeitsweise und das Werk von Talabot selbst. Von Talabot wird in diesem Jahr noch einiges zu hören sein. Hoffen wir, dass er sich seine sympathische Bescheidenheit und Naivität erhält.»Ich will nicht mit meinen anderen Projekten assoziiert werden. Die Leute sollen nur die Musik beurteilen, die ich als John Talabot mache«
John Talabot