Teil 2: City Pop, Shibuya-kei? New Age und Ambient!
Die 1980er Jahre waren in Japan vom hochglänzenden Techno-Pop und dem smoothen Sound des City Pops geprägt, die mit ihrer slicken Ästhetik den Reichtum dieser Zeit spiegeln: Japan wurde zum Vorreiter im Technologiesektor und die Wirtschaft explodierte geradezu. Spätestens ab 1985 kam es zur baburu keiki, der »Blasenhochkunjunktur«, einem massiven wirtschaftlichen Aufschwung, in dessen Verlauf bis zum Jahr 1989 das Bruttonationaleinkommen um satte 30 Prozent stieg. Während Techno-Pop wie ein einziges Werbe-Jingle für die japanische Unterhaltungselektronik klang, bezog sich City Pop stark auf die Musik von Haroumi Hosonos früherer Band Happy End, AOR und Jazz-Fusion. Der Sound des Fortschritts und der einer nie gekannten Lebensqualität standen friedlich nebeneinander.
City Pop ist ein stilistisch schwammig umrissenes, ästhetisch aber sehr zeitgeistiges Genre. »Praktisch jedes Achtziger-Album mit Bildern von Swimming Pools auf dem Front-Cover gehört schätzungsweise dazu«, frotzelt Ian F. Martin im Buch »Quit Your Band. Musical Notes From the Japanese Underground«. YMO, genauer gesagt Hosono und Sakamoto sowie das temporäre YMO-Mitglied Akiko Yano waren an der Genese von City Pop maßgeblich beteiligt, doch sollte es ein zeitlich begrenzter Hype bleiben. Nur die wenigsten Projekte wie etwa Dip In The Pool konnten sich in die 1990er Jahre hinüberretten.
Im Falle des gemeinsamen Projekts von Miyako Koda und Tatsuji Kimura liegt das wohl auch daran, dass sich ihr kosmopolitischer Ansatz mal in japanischen, mal englischen Lyrics ausdrückte – was wie im Falle YMOs dazu führte, dass sie weder ihre regionale Fanbase verprellten noch ihrem internationalen Publikum Rätsel aufgaben. Doch für City Pop war gegen 1990 das Ende der Musikgeschichte erreicht: Als die Blasen der bubble economy platzten und Japans Markt in den freien Fall geriet, fiel auch die City Pop-Industrie in sich zusammen. Mit dem Reichtum schwand über Nacht auch der Soundtrack dazu.
Turning American, Turning Japanese?
Doch hatte sich 1985 schon das nächste Phänomen angekündigt: Pizzicato V debütierten mit einer – natürlich von Hosono produzierten – EP und legten damit den Grundstein für Shibuya-kei. Was genau den »Shibuya-Style« ausmacht, das ist bis heute umstritten. Die regionale Verwurzelung im gleichnamigen Tokioter Stadtteil ist ein Faktor, die nur mehr oder weniger affirmativen Anleihen an City Pop ein anderer. Vor allem aber es war es die Wiederaufnahme des US-amerikanischen Pops der 1960er Jahre. Der wurde für Bands wie Pizzicato V oder Flipper’s Guitar zum Vorbild, deren Mitglied Keigo Oyamada später als Cornelius eine erfolgreiche Solo-Karriere als Shibuya-kei-Aushängeschild starten sollte.
Es scheint nur naheliegend, auch die Entstehung von Shibuya-kei in einen wirtschaftlichen Zusammenhang zu stellen: Nachdem City Pop die Aufbruchstimmung der 1980er Jahre repräsentierte, lässt sich Shibuya-kei als Rückzug nach dem fatalen Zusammenfall der bubble economy verstehen. Geschmack war nicht mehr ideologisches Lifestyle-Produkt, das einen kosmopolitischen Status repräsentierte, sondern aufwändige Kuration konsumatorischer Vorlieben – eine Art postmodernes Biedermeier. Cooles Wissen statt »Cool Japan«, Nostalgie statt Fortschrittswille. Derweil zeitgleich House und Techno dank Innovatoren wie Soichi Terada und Ken Ishii auch in Japan ankam und J-Pop sich endgültig elektronisierte, ging es mit Shibuya-kei einen Schritt in der Musikgeschichte zurück.
In den 1980er Jahren war vor allem die US-amerikanische Gesellschaft mehr als skeptisch, weil das Tätervolk von Pearl Harbour mittlerweile die heimische Auto- und Elektronikindustrie zu überholen drohte: japanische Walkmans, japanische Autos, US-amerikanische Musik, die auf japanischen Synthesizern und Drummachines gespielt wurde – würden wir etwa, schluck, alle japanisch werden?
Der Musikjournalist Simon Reynolds sah wohl auch deswegen in Shibuya-kei einen Vorläufer dessen, was er 2011 im gleichnamigen Buch als »Retromania« bezeichnete, die unbändige Sucht der (westlichen) Popkultur nach ihrer eigenen Vergangenheit. Ihre Marker: »Pastiche, Plagiarismus, völlige Lossagung von geografischen und historischen Wurzeln«. Reynolds argumentiert vor allem über das Verhältnis der japanischen Gesellschaft zum Konzept der Originalität: Während im Westen der reinen Nachahmung ein untergeordneter Wert zugeschrieben wird (das Original ist mehr wert als die Kopie), ist das in südostasiatischen Kulturen nicht unbedingt der Fall (eine gute Kopie kann dem Original überlegen sein). Im Shibuya-kei äußerte sich diese Mentalität in einer Haltung, die Reynolds als »Kuration-als-Kreation« bezeichnete. Musik wurde vorwiegend gesammelt und gesampelt, nicht mehr eigenständig komponiert.
Reynolds bringt allein mit der Kapitelüberschrift »Turning Japanese« allerdings auch ein nahezu panisches Gefühl auf den Punkt, mit dem während der Hochphase der bubble economy nach Japan geschaut wurde. In den 1980er Jahren war vor allem die US-amerikanische Gesellschaft mehr als skeptisch, dass das Tätervolk von Pearl Harbour – dass der Angriff mit gleich zwei Atombomben und einer jahrelangen Besatzung vergolten wurde, spielte offenbar keine Rolle – mittlerweile die heimische Auto- und Elektronikindustrie zu überholen drohte. Japanische Walkmans, japanische Autos, US-amerikanische Musik, die auf japanischen Synthesizern und Drummachines gespielt wurde – würden wir etwa, schluck, alle japanisch werden? Der Mythos der yellow peril, neu aufgelegt für die globalisierte Logik des Spätkapitalismus.
Interessanter Weise wurde aus Japan heraus unter umgedrehten Vorzeichen ähnlich argumentiert: Der Theoretiker Hiroki Azuma beispielsweise schrieb im Jahr 2001 in seinem Verkaufsschlager »Otaku. Japan’s Database Animals« von einer »Amerikanisierung« der japanischen Kultur. »Turning American« statt »Turning Japanese«? Vielleicht lässt sich die Wahrheit in der Mitte dieser beiden Aussagen finden, das heißt in einem beständigen Austausch. Ein Austausch, der ab Anfang der 1980er Jahre spätestens nicht mehr allein auf der transatlantischen Achse zwischen den USA und Japan stattfand.
Unfälle zwischen globalem Süden und Fernost
In den 1970er Jahren erweiterte sich die florierende Rock-Szene Japans in zwei Richtungen gleichzeitig. Einerseits nahmen Bands wie die Taj Mahal Travellers wie auch ihr Mastermind Takehisa Kosugi in seinem Schaffen als Solo-Künstler Elemente aus anderen Kulturen, vor allem der indischen, mit auf. Andererseits arbeiteten Gruppen vermehrt mit elektronischen Mitteln, wie auch Osamu Kitajima 1974 auf »Benzaiten«, einer irren Fusion aus Psychedelic Rock und klassischen japanischen nō-Elementen mit großzügigem Synthesizer-Einsatz, oder aber die Far East Family Band, die gleich mit dem Krautrock-Chefknöpfchendreher Klaus Schulze ins Studio gingen. Und natürlich, wie immer, Hosono, der nicht nur bei der Produktion von »Benzaiten« seine Finger im Spiel hatte, sondern auch mit Solo-Alben wie »Cochin Moon« 1978 Musique conrète-Techniken mit exotistischen Momenten und Pop-Appeal zusammendachte. Auch Akiko Yano, die ihn und Sakamoto noch vor der Gründung als YMO als Backing Band anheuerte und die 1977 mit »Iroha Ni Konpeitou« erstmals mit Synthesizern von Moog und anderen experimentierte, legte damit den Grundstein für das neue Zeitalter der (Pop-)Kultur in Japan.
An Alben wie diesen zeichnete sich Ende der 1970er Jahre ab, dass die japanische Popkultur ihre Einflüsse nicht mehr allein aus den USA oder dem UK bezog und zugleich die landeseigenen technologischen Entwicklungen direkt in seine neuesten Erzeugnisse mit aufnahmen. Parallel zu noizu und dem slicken Techno-Pop bildete sich deshalb Ende der 1970er langsam aber sicher etwas Anderes, Eigenes und schwer Kategorisierbares heruas, das sich auf die frühen elektronischen Experimenten und Fluxus-inspirierten Gruppen der 1950er und 1960er Jahre zurückführen ließ: Avantgarde, Technologie und traditionelle Elemente aus aller Welt trafen aufeinander.
Schon im japanischen New Wave der frühen 1980er Jahre lassen sich reihenweise Alben finden, die keine stilistischen Grenzen zu kennen scheinen. Neben Yano und dem Yen-Label widmete sich eine Vielzahl von kurzlebigen Bandprojekten und Solo-KünstlerInnen einer stilistischen Bricolage, die zwischen (Post-)Punk und Stadion-Rock, Reggae, Jazz und Synth-Pop scheinbar alles zuließ. Einige Projekte gingen noch weiter – das heißt einen Schritt rückwärts in die Zukunft. Wenn Yasuaki Shimizu heute in Hinsicht auf seine Band Mariah sagt, dass er damals »Punk« gewesen wäre und »subversiv sein« wollte dann transportierte sich das musikalisch vor allem durch eine bemerkenswerte Lust am Verschmelzen von vielerlei Einflüssen und weniger in einer waschecht-ungewaschenen Mittelfingerhaltung. Denn wo YMO noch leise Gesellschaftskritik laut werden ließ, hatte Punk in Japan ähnlich wie noizu nicht zwangsläufig mit Anti-Establishment-Mentalität zu tun.
Ende der 1970er langsam aber sicher etwas Anderes, Eigenes und schwer Kategorisierbares, das sich auf die frühen elektronischen Experimenten und Fluxus-inspirierten Gruppen der 1950er und 1960er Jahre zurückführen ließ: Avantgarde, Technologie und traditionelle Elemente aus aller Welt trafen aufeinander.
Der wirtschaftliche Reichtum und das kulturelle Sendungsbewusstsein Japans zu dieser Zeit färbten auch auf den Underground ab. Ein gutes Beispiel ist die mittlerweile legendär gewordene erste LP des Mkwaju Ensembles um Midori Takada, Junko Arase und Yōji Sadanari auf Better Days. Die Nippon Columbia-Subdivision bot zwischen 1977 und 1984 vielen ähnlich gelagerten Projekten und MusikerInnen wie Colored Music, Wha-ha-ha, Children of Earth oder dem Pecker/Pecqre-Projekt von Mkwajo-Percussionist Masahito Hashidas sowie, eh klar, Ryūichi Sakamoto, Shimizu und dessen Band Mariah eine Heimat. Während auf dem Label auch relativ strenger modaler Jazz von Fumio Itabashi oder irre Fusion von Kazumi Watanabe erschien, fand sich auf »Mkwaju« unter den Augen von Produzenten Joe Hisashi – kurz vor seinem Durchbruch als Filmkomponist für das Studio Ghibli – ein wildes Potpourri aus Stilen zusammen: Minimal Music, selbst über das Schaffen von etwa La Monte Young indisch geprägt, traf auf irgendwie afrikanisch klingende Rhythmen, die von Covergestaltung und Titel unterstrichen wurden.
Der Ergebnis klingt auch deswegen so sonderbar und einzigartig, weil sich der genuin afrikanische Einfluss von Takadas Percussion-Arbeit aus lediglich zwei Alben mit Field Recordings aus Tansania und Zimbabwe speiste. Im Kern macht das »Mkwaju« eigentlich zu einer politisch zwiespältigen Angelegenheit: Ohne tiefergehende Kenntnis wird ein vages Bild von Afrika zur Schablone für eine Platte, die irgendwo zwischen globalem Süden und Fernost köstlich verunglückte. Die Nachfolge-LP »KI-Motion« des Mkwaju Ensembles sowie Takadas Solo-Arbeiten auf unter anderem ihrem YouTube-favorisierten Klassiker »Through The Looking Glass« oder ihre Kollaboration mit dem Musique concrète-inspirierten Jazz-Pianisten Masahiko Satō verbreiterten diesen Ansatz unter Zugabe von viel Synthesizer-Einsatz und einem gerüttelt Maß an Unbekümmertheit.
Dass heute das Gros der frühen Veröffentlichungen vom Mkwaju Ensemble, Takada oder Shimizu trotz ihrer Nähe zu nervenberuhigender Elektronik, Drone und Minimal Music als Ambient kategorisiert werden, ist nicht ganz korrekt. Am ehesten liegt der Vergleich mit dem nahe, was Jon Hassell zur ziemlich genau selben Zeit »Fourth World Music« taufte. Doch mit der Fourth World Music gehen Fourth World Problems einher. Die nach Indien oder Afrika lauschenden Kompositionen zementieren auf ähnliche Art wie Hassell die Unterschiede zwischen sogenannter Erster und Dritter Welt: Hier die hochtechnisierte Zivilisation im Zentrum des weltweiten kulturellen Diskursen, dort primitive Folklore von den Peripherie der Welt, die als exotisches Topping verwendet wird.
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Im Falle Japans ist die Angelegenheit ambivalenter, als es zuerst scheinen mag. Einerseits war das jahrhundertelang hermetisch abgeschlossene Kaiserreich als Teil der Dritten Welt im Jahr 1854 der Kanonenbootpolitik der USA zum Opfer gefallen und musste sich fortan für den weltweiten Handel öffnen. Im Laufe der darauf folgenden Meiji-Restauration zwischen 1868 und 1890 jedoch rappelte sich der Inselstaat schnell auf und etablierte sich im Pazifik innerhalb weniger Jahrzehnte selbst als Kolonialmacht.
Die Folgen davon sind bis heute nicht aufgearbeitet. Die Minderheit, welche während der Kolonialherrschaft Japans in Korea zwischen den Jahren 1910 und 1945 einwanderte, ist immer noch weitgehend rechte-, teilweise sogar staatenlos. Die indigenen Bevölkerungen Okinawas und der Ainu, deren eigenen musikalischen Beiträge zuletzt mit der Dokumentation »Kapiw & Apappo: A Tale of Two Ainu Sisters« und der Aufbereitung von Umeko Andos Schaffen internationale Aufmerksamkeit erhalten haben, werden weiterhin diskriminiert. Der Literaturnobelpreisträger Kenzaburō Ōe sprach in einem 1986 gehaltenen Vortrag von Japans »dualer Identität«: »Wir sind oftmals Aggressoren gegenüber Nationen der Dritten Welt, von der wir wiederum selbst de facto ein Mitglied sind.«
Musik für andere, bessere Sphären: Ambient
Im Zeitalter des »Cool Japan« fand die aggressive japanische Außenpolitik auch in der Musik einen ungleich sanfteren Ausdruck, denn ohne die wirtschaftliche Dominanz Japans auf dem Weltmarkt einerseits und der staatlich angestrebten Etablierung des Landes als »soft power« wäre sie so kaum möglich gewesen. Für Musikschaffende waren die ökonomischen und sozialen Gegebenheiten in jeder Hinsicht ideal. Die ungewollt staatstragende Rolle der Musik wird von der rückblickenden Personality-Archäologie um Takada oder Shimizu jedoch ebenso wenig mitreflektiert wie von den zahlreichen dieser Zeit gewidmeten Compilations, welche sich vor allem auf sehr leichte und lichte Sounds fokussieren. Funk, Soul, City Pop zum Abfeiern hier, Ambient und New-Age-Musik zum Wegträumen dort.
Vor allem Ambient und New Age griffen ab Anfang und Mitte der 1980er Jahre Vierte-Welt-Ideen auf und verdichten sie in Musik, die wie aus anderen, besseren Sphären zu kommen scheint. Das bereits Mitte der 1970er Jahre gegründete Kollektiv Geinō Yamashirogumi, bekannt vor allem für seinen »Akira«-Soundtrack, oder Yas-Kaz aus dem Umkreis der New Age-Gruppe Himekami experimentierten hier mit choralen Elementen aus Südosteuropa, dort mit Gamelan und Ideen aus der Minimal Music ebenso wie von John Cage etablierten Kompositionstechniken. Während sich ein Komponist wie Satoshi Ashikawa eher auf klassische Tasteninstrumente konzentrierte, bauten sich Produzent*innen wie Hiroshi Yoshimura ihre eigenen Klangwelten aus den neuen Mitteln der hochtechnologisierten Zeiten.
Analog zu New Age im Westen zeigt sich viel japanischer Ambient von esoterischen oder exotistischen Ideen geprägt, als Bewegung allerdings ist es vor allem Ausdruck einer sich immer schneller drehenden Welt.
Japanischer Ambient lebt als weitreichende Tradition in die Gegenwart weiter, fortgetragen wurde es unter anderem von Sakamoto, aber auch der 2015 verstorbene Susumu Yokota, dessen Werk zwischen Clubmusik und stillen Tönen oszillierte. Mehr noch als im Westen prägten sich verschiedene Stile heraus, die jedoch betont hintergründig klangen. Analog zu New Age im Westen zeigt sich viel japanischer Ambient von esoterischen oder exotistischen Ideen geprägt, als – ähnlich wie noizu nicht als Szene auftretende – Bewegung allerdings ist es vor allem Ausdruck einer sich immer schneller drehenden Welt. Der wurde nur temporär entflohen, eine organische Gegenkultur bildet sich nicht. Im Gegenteil.
Die aufwändig gestaltete Sammlung »Kankyō Ongaku. Japanese Ambient, Environmental & New Age Music 1980-1990« auf Light In The Attic beispielsweise wurde von Spencer Doran vom Fourth-World-Projekt Visible Cloaks zusammengestellt und stellt kommerzielle Auftragsarbeiten neben frei Kompositionen: Werbehintergrundmusik trifft auf Alltagshintergrundmusik, der reine Zweck auf die zwecklose Reinheit des Klangs. Kommerz und Kunst: ein und dasselbe? Die auf der Compilation versammelten Stücke stehen sinnbildlich für das »neue Zeitalter der Kultur«, welches der japanische Premier Masayoshi Ōhira 1979 ausgerufen hatte und das »Kankyō Ongaku« wohl nicht ohne Grund von seinen Anfängen hin zum Platzen der bubble economy verfolgt. Mehr Erste Welt als in den 1980er Jahren war in Japan selten zuvor, oder sogar danach. »Soft power« und sanfte Sounds fanden in logischer Konsequenz zusammen.
Als wir japanoid wurden
Während der 1980er Jahre schritt auch der kulturelle Austausch zwischen Japan und dem Westen – vielleicht erstmals wirklich auf Augenhöhe – so weit fort, dass sich eine hybride Kultur bildete. So zumindest argumentierte der Literaturwissenschaftler Takuyuki Tastumi 2006 in seinem Buch »Full Metal Apache. Transactions Between Cyberpunk Japan and Avant-Pop America« anhand ausgewählter literarischer Beispiele. Dem Orientalismus, mit dem der Westen in das florierende Japan schaute, begegnete ihm zufolge ein »Okzidentalismus«, mit dem sich der Inselstaat einerseits über etwa die USA beugte. Die Welt, schrieb er 2002 in einem bahnbrechenden Essay, sei über das transatlantische Hin und Her zwischen US-amerikanischer und japanischer Kultur »japanoid« geworden. »Wir alle leben und genießen die chaotischen Verhandlungen zwischen den orientalistischen Stereotypen von Fujiyama-Geisha-Sushi-Harakiri und die okzidentalistischen Stereotypen von Kennedy-Monroe-Gone-with-the-Wind.«
Eine sich genuin aus dem Underground bildende Szene wie noizu hatte es wohl auch deswegen schwer, im Westen breitenwirksam Anklang zu finden: Es fehlten die historischen Abziehbilder und westlichen Vergleichsmaßstäbe. So wurde sie zur Zielscheibe von wirren Vorurteilen. Da noizu ein Extrem verkörperte, kann es umso schneller als Fremdes identifiziert und exotisiert werden. Die bereits an sich hybride Musik jedoch, welche sich aus den Anfängen der elektronischen Musik in Japan in den fünfziger und sechziger hin über die freiförmige Rock-Szene der 1970er Jahre im »neuen Zeitalter der Kultur« entwickelte, wirkt ungemein faszinierend – ob nun der AOR-inspirierte City Pop, der hochglänzende Techno-Pop, Ambient oder wie auch immer sich die Musik des Mkwaju Ensembles und anderen kategorisieren ließe. Denn sie war japanoid und verhandelte Stereotype, die sie aus Indien oder Afrika, US-amerikanischer Minimal Music oder Jazz bezog, mit den hochtechnologischen Mitteln der Gegenwart.
In dieser Musik, so unterschiedlich sie zueinander auch sein mag, klingt an, dass das bessere Leben im globalisierten Kapitalismus doch zu erreichen sei, dass die Welt erfolgreich zusammenwachsen könnte.
In dieser Musik, so unterschiedlich sie zueinander auch sein mag klingt an, dass das bessere Leben im globalisierten Kapitalismus doch zu erreichen sei, dass die Welt erfolgreich zusammenwachsen könnte. Ein Zufall ist es wohl kaum, dass eines der zentralen Labels dieser Zeit Better Days und das andere Yen hieß. Am Ende des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrtausends ist indes mehr als deutlich geworden, dass die Visionen von damals nicht in Erfüllung gegangen sind. Nicht nur die weltpolitische Lage allgemein, sondern auch die wirtschaftliche Situation Japans hat sich alles andere verbessert. Vom demographischen Wandel gebeutelt, scheint dem Inselstaat buchstäblich die Zukunft wegzusterben. Nicht, dass es in Europa, den USA und anderswo in der Ersten Welt besser aussähe: Die Auswirkungen der Finanzkrise lassen alle Sicherheiten weiter erodieren, die geografischen und kulturellen Grenzen werden wieder hochgezogen.
Die Musik des »Cool Japan« bietet sich zur Weltflucht, wenn nicht eher noch zum japanoiden Worldbuilding an. Ein riesiger fiktiver Reset-Button, zurück auf Anfang: Wir versuchen es aus genau diesem Geist heraus noch einmal. Deswegen lieben alle Japan, vor allem die experimentelle und elektronische Musik der späten 1970er und frühen 1980er Jahre: Weil in ihr die neue Hoffnung von damals hörbar wird. Die Idee einer möglichen Zukunft, so viel verlockender als unsere Gegenwart.
Weiterlesen: Hier geht es zum 1.Teil von Cool Japan«: City Pop, Shibuya-kei? New Age und Ambient!