Er hat es mal wieder geschafft: kurz vor der Album-Veröffentlichung wieder in den Fokus der Connaisseure zu geraten. Episch-einfach gleichwohl die möglichst wirkungsvollste Video-Idee umsetzend: Das Video zur zweiten Auskopplung »Pick Up« aus dem mittlerweile fünften Solo-Album unter dem DJ Koze -Pseudonym besteht aus einem Hauch von nichts. Auf schwarzem Grund wird mit weißen Einblendungen der Track selbst auseinandergenommen, seine Funktion und seine Wahrnehmung beschrieben. ›Haste schon gesehen?‹, klingelt es in den Messengern, auf den Timelines dieser Welt. DJ Kozes »knock knock«-Album auf den Punkt gebracht: Koze-Virtuosität, Trademark-Sounds, Ideen, Altes und Neues, Forschung auf hohem Level, neue Ufer. Introvertiert wie nie präsentiert sich der hanseatische Mittvierziger.
Hand auf die Platte, gegen den Uhrzeigersinn drehen, Backspin in den tiefsten Winter. Schon im Februar traf ich Stefan Kozalla, wie Koze mit bürgerlichem Namen heißt, in Hamburg.
Die Elbmetropole ist in eine dicke weiße Decke gemummelt. Doch neben dem klassischen House-Sommer (der sich in so Stücken wie dem vorgenannten »Pick Up« präsentiert), ist die Kälte auch ein guter Partner und sicherlich nicht das falscheste Dispositiv für diese Platte. Zwischen den Kopfhörern passiert in den Pop-Songs sehr viel, manchmal eher beiläufig tanzbar, dann Dancefloor-Smasher. Doch ein Großteil der Stücke ist treffender mit emotional rollercoaster bzw. Breakdowns bezeichnet.»Ich bin nicht Rap, ich bin aber Hip-Hop.«
DJ Koze
Im schneebedeckten Hamburg sitzt in einem dieser Hinterhöfe, die es noch zahlreich in St. Pauli und so gibt, die aber nach und nach weggentrifiziert werden, DJ Koze im Headquarter eines stadt- und deutschlandweitbekannten Managers. Im Vorraum sitze ich auf einmal neben Samy Deluxe der zum Tee trinken da ist. Ich verschlucke mich an meinem und schäme mich. Doch im Nebenraum wird laut gelacht. Spannung. Als ich dann reingebeten werde, sehe ich einen vollends entspannten Mittvierziger, den ich kenne; nicht persönlich und doch sehr persönlich.
Wieder Backspin: 2006, Köln, c/o pop Festival. Ich, irgendwie noch Gitarren-Musik-interessiert, stehe neben dem DJ-Pult in der Alten Bahndirektion, einem Verwaltungsgebäude spät-klassizistisch-eklektizistischen Ausmaßes. Es spielt DJ Koze, auf drei Plattenspielern und einem Korg Kaospad. Die Musik, die dabei herauskommt, kommt mir extrem ungehört vor. Ein Mix, der so nahtlos, so besonders, so eigen ist, dass man spielend leicht Zeit und Raum vergessen konnte. Meine Augen können nicht von den virtuosen Griffen und Kniffen lassen, meine Ohren sind am mitschreiben, der Geist eben lange auf Reise. Hier auf der Party, auf der ich alleine landete, sag ich mich los von Genregrenzen.
12 Jahre später sitze ich nun vor dem Maestro, der mir diesen Moment bescherte. Ein ganz lockerer, froher Mensch, der nicht fragt, wann es losgeht, sondern, was einen (also mich) denn gerade interessiere; das Interview davor sei auch in den seltsamsten Ecken gelandet. Ich antworte, dass ich Interview-Situationen gar nicht möge, sondern lieber ehrliches Interesse an den Künstler*innen (auch menschlich) zeigen würde. Dass dabei die großen Sachen bei rumkommen. Koze antwortet, dass er dann ja Panik bekomme, meint das als Witz und öffnet damit das Gespräch.
hhv.demag: Reden wir also über psychische Erkrankungen…
DJ Koze: Ja zum Beispiel F41.0. So heißt ja die Panik- und Angststörung im ICD10-Code bei den Medizinern. Darüber sollten wir reden.
Oder wir nehmen noch F32.2. mit. Schwere depressive Episode.
DJ Koze: Das interessiert mich alles sehr. Ich habe gerade »Die Welt im Rücken« von Thomas Melle gelesen. Fantastisches Buch über jemanden, der an bipolarer Störung leidet. Ich lese das gerade zum zweiten Mal. Ich kannte mich bis dahin kaum mit Manie und Wahn aus. Hast du da Erfahrungen gemacht?
Ich habe jetzt keinen klassischen Wahn. Verarmungswahn kenne ich. Und Hypochondrie…
DJ Koze: Ich auch! Rocko Schamoni kennt sich ebenfalls gut aus mit Hypochondrie. Aber er meinte mal zu mir: »Das wird immer weniger mit den Jahren«, und irgendwie hat er Recht behalten. Dass man nach all den Jahren mit diesen vermeintlich todbringenden Symptomen, wie merkwürdigem Halskratzen oder mysteriösem Zwicken im Bauch, immer noch lebt, lässt einen irgendwann gelassener werden.
Das ist ja nicht nur individuell oder ausschließlich auf Krankheiten zu beziehen. Eine Welt, die im Wanken scheint – und da würde ich sagen, da sind wir gerade -, die kann man gar nicht handlen in ihrer gesamten Fülle an Problemen. Außerdem partizipieren wir ja gar nicht auf der Ebene wirklich. Also, das behaupte ich einfach mal, sublimiert man die Weltangst und -schmerz in sich selbst. Weißt du, was ich meine?
DJ Koze: Ich spüre eine Feinfühligkeit bei vielen, die unter Depressionen oder Angststörungen leiden. Es gibt ja viele Erklärungsmuster. Wahrscheinlich hat es auch mit nicht funktionierenden Verdrängungsmechanismen zu tun. »Verdrängen ist ein Zeichen von Gesundheit« ist so ein Spruch, dem ich sofort zustimme. Wenn unheimlich viele Negativ-Impulse gleichzeitig reinkommen, dann droht man ja auch ›verrückt‹ zu werden. Man muss sich selber Filter schaffen. Alkohol z.B. ist diesbezüglich sehr populär. Denn eins ist klar: Die Rezeption der Wirklichkeit kann einen gar nicht glücklich stimmen; wie du sagst: die Welt wankt.
Man kennt das ja auch aus dem Nachtleben. Die ganzen Tänzer, die die ganze Nacht happy waren, und am Ende fast nahtlos in den Kater übergehen: Die Ekstase der Nacht hat sie aus der »vorgegeben« Realität rausgezogen. Und wenn es sich zum Ende neigt, rauschen plötzlich die ganzen Zwänge wieder rein. Und man denkt an den Montag, oder?
DJ Koze: Das empfinde ich genauso. Bei einer Party ist man auf einer Kreuzfahrt. Wenn man dann im Hafen wieder anlegt und nach Hause muss, dann fällt einem auf, dass die Realität die letzten Stunden wieder überlagert.
Glaubst du, dass es eine Feiersucht gibt?
DJ Koze: So würde ich das nicht sagen. Aber die Leute sehen und empfinden dort etwas, was ihnen der Alltag nicht bieten kann. Das will man dann häufiger erleben. Nachtleben ist einfach toll. Trinken, Lichter, Leute, Musik – das ist die beste Art des Abtauchens. Das sind Impulse, die man nur im Club oder Ähnlichem erleben kann.
Doch der Kater ist brutal: Die Vorstellung, die man sich da anschaut, die dauert dann aber nicht auch nur sechs Stunden, sondern 24 oder 48 Stunden. Die Kopfchemie ist einfach komplett aus dem Ruder, man sieht kein Licht mehr und zweifelt an allem. Das alles stabilisiert einen nicht grade on the long run.
Das klingt ja einer depressiven Episode nicht unähnlich. Ich kann mir aber vorstellen, dass für dich die Musik eine Möglichkeit ist, diese Phasen zu sublimieren. Als Behauptung aufgestellt: Auflegen ist da noch befreiender als Produzieren, da du eigentlich über Zeitraum x die Möglichkeit hast, gezielt ziellos eine Geschichte zu erzählen.
DJ Koze: Die Perspektive ist schön, aber auch nicht immer richtig. Die Erwartungen sind riesig. Ich habe häufiger das Gefühl, dass ich denen einfach nicht gewachsen bin. Eigentlich hast du aber recht: Gerade langes Auflegen in einem angstfreien Rahmen ist besser als die Wirklichkeit. Das ist wie ein First-Class-Flug mit Lufthansa: Besser als das reale Leben.
Wie bringst du denn die beiden Sachen jetzt zusammen?
DJ Koze: Einfach. Du bist offline, du hast eigentlich keine Probleme, da sind Leute, die dich beim Namen anreden und dir Wein eingießen, wenn du möchtest. Beim Fliegen ist man außerdem über den Wolken – ein unverstellter Blick. Du bist aus dem Alltag rausgenommen. Endlich mal Ruhe im Karton
Gerade wenn man über das Auflegen und Depressionen oder Angst redet, dann fällt einem auf, dass das ein großes Thema in den letzten Jahren war. Benga Erick Morillo oder MCDE um nur einige zu nennen, haben sich als Angstpatienten oder unter Depressionen Leidende ›geoutet‹. Was sind deine Erfahrungen?
DJ Koze: Der Job ist tough Du brauchst eine starke Stamina, ein robustes Gemüt. DJs sind aber oft auch sehr feine Menschen mit guten Antennen. In diesem Hochleistungs-›DJ-Business‹ leiden solche Menschen. Meist ist das ganze Wochenende eng getaktet, manchmal spielst du fünf Gigs an einem Wochenende. Kommst 20 Minuten vor Set-Beginn an, sollst dann vor 2000, 4000 oder 10.000 Menschen spielen und brillieren. Die Erwartungen erfüllen. Wieder und wieder. Selbstzweifel sind da schlechte Berater. Und auch zu sehr in sich reinhören, ist gefährlich: »Ich fühl mich heut nicht so«.
Das interessiert da auf der Tanzfläche halt auch niemanden.
DJ Koze: Warum denn auch? Der Besucher hat sich ein Ticket gekauft, Eintritt gezahlt. Und daraus ergibt sich eine Erwartungshaltung: Du sollst da ankommen und gefälligst liefern. Mit dem Alter wird das anstrengender. Man ist oft selbst-entfremdet. Ich empfinde es als sehr unnatürlich alleine auf einer großen Bühne zu stehen vor sehr, sehr vielen Leuten.
Da stellt sich eh die Frage: Du bist jetzt jenseits der 40, langsam geht’s Richtung 50. Als der DJ auf der Bildfläche erschienen ist, da hat doch keiner gedacht, dass man damit alt werden wolle. Egal ob der DJ jetzt einer unter vielen ist, oder schon der Star der Party. Aber die Stones wollte doch wirklich keiner sein.
DJ Koze: Die Stones findet man ja erstmal nervig, weil die ihre Legende verwalten (müssen). Dieses Altern mit den alten Hits ist schrecklich. Dennoch gibt es ja coole »ältere« Musiker, manche sind über die Jahre sogar noch besser geworden. Und bei den DJs: Ich bin jetzt noch nicht der Älteste und wir sind ja die erste »coole« Generation. Mit meinen 46 Jahren kann ich ja sagen: Wahrscheinlich waren sich die Generationen nie näher. Die Kinder hören sogar manchmal was ihre Eltern hören. Auto-Tune, Trap, Berghain. Mein Vater ist 1930 geboren. Als ich 18 wurde war er 60 Jahre alt.»Die Rezeption der Wirklichkeit kann einen gar nicht glücklich stimmen.«
DJ Koze
Der hatte nur so mäßig Zugang zu Public Enemy und Bushwick Bill.
Siehst du da kein Problem auf dich zukommen?
DJ Koze: Doch, ja klar. So lange es aber inhaltlich stimmt und körperlich machbar bleibt, sehe ich da noch kein Problem. Wenn allerdings irgendwann nur noch 20 Leute kommen, dann werde ich mal über eine Exit-Strategy nachdenken.
Und da kommt der Produzent in’s Spiel.
DJ Koze: Ja, produzieren macht mir nach all‘ den Jahren einfach mehr Spaß als permanentes Reisen. Da habe ich auch noch nicht alles erzählt. Ich stelle mir manchmal vor, wie es ist Filmmusik zu machen; oder Kylie Minogue zu produzieren.
Das ist ja in Deutschland schwierig. Die Riege der Pop-Produzenten ist ja sehr eigen. Vornehmlich Leute von denen man noch nie gehört hat, die dann Mark Forster und Konsorten produzieren. Doch das amerikanische Ding – Timbaland produziert die Platte, Pharrell die andere, Kanye etc. – das gibt es nicht.
DJ Koze: Obwohl, es gibt hier The Krauts, die für Materia und Peter Fox produzieren. Genau da sehe ich mich auch irgendwann: Der kredibile Pop-Produzent.
Ein Schelm, der behauptet, so wärst du auch die Platte angegangen.
DJ Koze: Ich find das super interessant. Ich liebe es mir Videos anzuschauen von Pharrell; wie der im Studio sitzt mit Diddy und die – etwa Tag 46 – Lieder zusammenbauen und -basteln. Ich möchte wirklich nochmal eine Lanze brechen für The Krauts. Die machen tolle Sachen. Oder der Typ aus Köln, von Die Achse, Bazzazian. Einfach gut gemacht. Sogar Moses Pelham.
Mal weg von Rap, oder? Du hast ja auch viel Instrumental-Hip-Hop auf der Platte drauf.
DJ Koze: Ja, ich liebe 9th Wonder ich liebe Instrumentals.
Auf der Dj Kicks hast du auch Mndsgn drauf.
DJ Koze: Ich finde diese LA Szene sehr inspirierend. Knxwledge NxWorries – einfach alles super. Was soll ich sagen? Knxwledge, was der abzieht; großartig. Wie der so schnell einen Trademark erschaffen konnte, mit seinem komprimierten Sound, der trotzdem organisch klingt; außerdem Beats eher zweitrangig lassen. Das ist inspirierend für mich. Soulful, bisschen kaputt.
Auf der Platte hört man auch deine Begeisterung …
DJ Koze: Total. Ich bin zu alt für das Gerappe, liebe die Musik aber immer noch. Da dachte ich: Da muss mehr kommen von mir. Ich muss auch Beats machen. Und dann kam mir die Idee: Keine Rapper, sondern Sänger*innen! Ich wollte mir kein falsches Gewand mehr anziehen. Ich bin nicht Rap, ich bin aber Hip-Hop.
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DJ Koze:* Ah, das ist nett (lacht). Aber du siehst das richtig: Ich verlasse gerade ein bisschen den Pfad der monotonen Clubmusik. Diese neue Idee an Songs ranzugehen, elektronische Playbacks mit Gesang wieder zu verknüpfen, das interessiert mich grade.
Hast du da noch Träume?
DJ Koze: Klar. Aber ich habe mir ja einige gerade erfüllt. Speech von Arrested Development Kurt Wagner und Roísín Murphy – das sind alles Heroes für mich. Musiker*innen, die losgelöst von Genrescheuklappen Beseeltes herausgebracht haben. Es war wirklich wunderbar mit solchen Künstlern zusammenarbeiten zu können.
Schließt sich da ein Kreis für dich?
DJ Koze: Ja. Die hat man früher bewundert. Ich habe dafür gerne das Feld der Elektronik verlassen, auch mal aufgeben dort weiter zu forschen. Das war die große Idee.
Helden also?! Darf man dann vorwegnehmen, dass Sophia Kennedy auch schon dazu gehört?
DJ Koze: Ich bin total baff ob ihres Talents. Es macht Spaß, mit ihr Musik zu machen. Unprätentiös, uneitel, obwohl sie das perfekte Gemisch im Kopf hat zwischen Poptheorie und Gefühl. Ultrareflektiert. Fantastisch ist ihre Art sich in Rollen rein zu begeben. Auf den beiden Tracks schlüpft sie ja in Rollen. Ich bin immer noch total geflasht.
Zum Ende würde ich ja gerne klären, was »knock knock« eigentlich für dich bedeutet. Wo klopfst du da an?
DJ Koze: Das weiß ich gar nicht. Ich dachte: Erstmal anklopfen und schauen wer aufmacht.