Über die energiegeladene Piano-Harfen-Wunderwelt von Marina Herlop

14.11.2023
Foto:© Angelo Guttadauro (PAN)
Eigentlich wollte die katalanische Musikerin Journalistin werden. Inzwischen hat sie mit »Nekkuja« ihr zweites Album auf dem Berliner Label PAN veröffentlicht. Wir sprachen mit ihr über Arbeitsmoral, verpasste Partys und störrische Drucker.

Marina Herlop ist nervös. Die katalanische Musikerin und Sängerin hat vor Kurzem ihr zweites Album beim Berliner Label PAN veröffentlicht – jetzt rutscht sie auf ihrem Stuhl hin und her: »Das ist der Stress, ich bin immer gestresst, mein Leben ist stressig und chaotisch und ich liebe es«, sprudelt es aus Herlop, während ihr Handy klingelt und sie den Anruf wegdrückt. »Die Leute sagen mir, sobald ich es mal langsamer angehe, wird mein Körper auf den ständigen Stress reagieren und ich werde krank werden. Aber das passiert nicht, ich habe perfekte Gene. Außerdem bin ich nie entspannt!«

»Nekkuja«, Herlops aktuelles Album, ist wie das musikalische Gegenstück zu ihrer körperlichen Aufregung. Die Songs drehen und winden und zerpflücken sich, es passiert vieles und manches gleichzeitig, dennoch: Vögel zwitschern, wenn sich Herlops Stimme über Oktaven hüpfend vermehrt wie eine Kaninchenfarm. Manche Wörter, die sie singt, sind echt. Andere frei erfunden. Oft dienen sie nur einem Zweck: fantastisch zu klingen.

Ihr eigentliches Instrument ist das Klavier, Marina Herlop hat schon als Kind viele Stunden an den Tasten verbracht. »Ich habe lange das gemacht, was von mir erwartet wurde«, sagt Herlop. »In der Schule sollte ich gute Noten haben, also habe ich gelernt und gute Noten bekommen. Dann sollte ich Klavier lernen. Also habe ich Klavier gelernt. Später sollte ich etwas Richtiges studieren, also habe ich mich für Journalismus entschieden. Als ich von zu Hause weg war, habe ich gemerkt: Ich will eigentlich gar nicht Journalistin werden, sondern Musik machen.«

Ohne Rast, aber mit Ziel

Zuerst wehrt sich Herlop gegen ihren eigenen Willen, aus Angst vor einer Enttäuschung. Als sich die Katalanin durchringt, Notizheft gegen Notenständer zu tauschen, habe es sich so angefühlt, als hätte sie die Erwartungen ihrer Eltern verletzt. »Ich musste ihnen beweisen, dass ich keine Journalistin bin, sondern eine Künstlerin sein kann. Also habe ich auf alles verzichtet, hatte keinen Freund, feierte keine Partys. Wenn meine Kollegen nach der Uni noch ein Bier tranken, ging ich nach Hause und übte – bis zu dem Punkt, dass ich Freizeit mit Schuldgefühlen verband.«

Marina Herlop sagt Sätze wie: »Wenn man etwas erreichen will, muss man etwas dafür tun«. Also tut sie und studiert in ihren 20ern wie besessen. 2016 veröffentlicht Herlop ihr erstes Album: »Nanook« kommt direkt aus dem Konzerthaus, ist klassische Klavieretüde mit Gesang und ein Zeugnis seiner Zeit. Herlop hatte Ableton noch nicht für sich entdeckt, ihre Stimme noch nicht zum Instrument erkoren. 2018 erscheint mit »Babasha« ein zaghafter Zwischenschritt, denn: erste Effekte schleichen sich zwischen Hammer und Saiten. Dann komponiert Herlop das Album, für das sie zuerst den Bösendorfer aus dem Studio schiebt, um Jahre später auf vielen Bestenlisten zu landen.

Wenn meine Kollegen nach der Uni noch ein Bier tranken, ging ich nach Hause und übte – bis zu dem Punkt, dass ich Freizeit mit Schuldgefühlen verband.«

Marina herlop

Die Demo für »Pripyat« habe sie schon 2019 an PAN geschickt, sagt Herlop heute – ohne Erfolg. Doch: Ein Freund von ihr kennt Bill Kouligas, den Labelchef von PAN. Und: Der Freund schickt diesem Labelchef das Album. Einige Monate später, die Welt steckt inzwischen in einer Pandemie, läutet Herlops Handy, eine deutsche Nummer, Bill Kouligas aus Berlin. »Es dauerte aber weitere zwei Jahre, bis die Platte endlich draußen war«, sagt Herlop. »Zu diesem Zeitpunkt war mein Leben zu einem grotesken Witz geworden. Ich habe so viel gearbeitet, aber nichts zurückbekommen. Als ›Pripyat‹ schließlich erschien, dachte ich: Vergiss Lady Gaga, ich will nur ein paar Shows spielen!«

Die Aufregung lässt sich am besten allein ertragen

Als Marina Herlop von dieser Schwebephase ihrer Karriere erzählt, kreiseln ihre Arme wild um ihren Körper. Sie mögen dem Moment der langen Dauer bis zu ihrem Durchbruch körperliche Größe verleihen. Aus Herlop spricht aber auch die Metaphern-versierte Journalistin, die sie nie geworden ist: »Meine Karriere war wie ein Drucker, der zuerst nichts druckt und nachdem man es ein paar mal vergeblich versucht hat, alles auf einmal ausspuckt.« Das heißt: »Nach langem Warten kamen plötzlich so viele Anfragen für Shows, dass ich das Album bis heute über 100 Mal live spielen konnte.«

Mit »Nekkuja« hat Herlop nun eine Art Schwesteralbum zu »Pripyat« veröffentlicht – die Piano-Harfen-Wunderwelt ähnelt dem Vorgänger, auch weil sie vor der Veröffentlichung von »Pripyat«, 2021, entstanden sei. Ihre aktuelle Tour hat sie bereits durch Europa geführt, auch in den USA hat sie viele Meilen gesammelt. Demnächst geht es nach Südamerika – »alles ein großer Traum«, sagt Herlop und meint: »Mein Instagram ist zu einer völlig außer Kontrolle geratenen Hausparty geworden. Andauernd schreiben mir Leute, die ich noch nie getroffen habe. Das ist schön, aber auch eine Herausforderung, weil: Ich muss ja irgendwann ein neues Album machen!«

Dann sagt sie wieder einen Satz, den nur Marina Herlop und Karrierebibeln sagen: »Die meisten Leute glauben, dass man Energie verbraucht, wenn man arbeitet. Aber das stimmt nicht! Mann kann arbeiten und sich trotzdem energiegeladen fühlen.« Also trainiere sie ihr Durchhaltevermögen, ihre »Stamina«. Und wenn das nichts nützt, ziehe sie sich eben – wie zuletzt im Frühjahr geschehen – in ihre Heimat, die Berge um Barcelona, zurück. »Dort gibt es eine Hütte, dort schalt ich meine Socials ab. Und das Beste: Ich bin ganz und gar allein mit meiner Aufregung!«