Luis Alvarado hatte keine großen Pläne, als er Buh Records gründete. Ursprünglich begann er damit, CDrs mit fotokopierten Covern zu produzieren, um die Musik von Freund:innen veröffentlichen zu können. »Das passte gut in die damalige Zeit«, sagt er heute. »Die CDr-Kultur gab mir die Freiheit, zu experimentieren und Musik zu geringen Kosten zu veröffentlichen.« Seine Vermutung, dass Buh sich darüber hinaus entwickeln könnte, hat sich als richtig erwiesen: Fast zwanzig Jahre später ist das in Lima ansässige Label zu seinem Vollzeitjob geworden und international bekannt. Die Attitüde dahinter ist jedoch, wie Alvarado betont, in den letzten zwei Jahrzehnten die gleiche geblieben: »Ich denke, Buh ist immer noch beängstigend«, sagt er in Anspielung auf den augenzwinkernden Namen, den er 2004 wählte. »Es ist mehr als nur ein Plattenlabel, es ist meine Lebensweise, und ich denke, dass alle, die Plattenlabels betreiben, die gegen den Strom schwimmen, immer eine gewisse Spannung erzeugen werden.«
Und Buh schwimmt weiter gegen den Strom. Seit seinen Anfängen bietet es eine Plattform für abenteuerliche Musik aus aller Welt, die sich oft nur schwer kategorisieren lässt. Der chinesische Noisenik Li Jianhong findet sich im umfangreichen Backkatalog ebenso wieder wie die tschechische Electronica-Band Gurun Gurun, die radikale Berliner Vokalimprovisatorin Audrey Chen, der italienische Industrial-Pionier Maurizio Bianchi oder der fränkische Esoteriker Baldruin. Wenn es eine Gemeinsamkeit gibt, dann die, dass Alvarado die einzelnen Releases gerne in einem Plattenladen finden würde, wie er sagt. Nach 13 Jahren begann er im Jahr 2017 mit der Produktion von Vinyl. Kein leichtes Unterfangen für ein Unternehmen, das außerhalb der Machtzentren einer angeblich globalen Musikindustrie, die vor allem in Nordamerika und Westeuropa angesiedelt ist, agiert. »Ich wusste, dass dies das ideale Format war, aber es erforderte viele Investitionen und die entsprechende Logistik sowie vertrauenswürdige Leute in Europa«, sagt Alvarado im Hinblick auf die erste Vinyl-Veröffentlichung seines Labels, die »Superfricción«-LP von Liquidarlo Celuloide.
»Traditionelle Musik‹ ist ein gefährliches Etikett. Diese Musik ist so vielseitig und stilistisch vermischt, dass sie objektiv gesehen auch sehr modern ist.«
Luis Alvarado
Die Psych-Noise-Rock-Band ist nicht der einzige lokale peruanische Act, dessen Musik Alvarado einem breiteren internationalen Publikum zugänglich macht. Seit er sein Label als Plattform für Freund:innen aus der Szene in Lima gegründet hat, legt er großen Wert darauf, das musikalische Geschehen seines Heimatlandes abzubilden. Dabei geht es sowohl um dessen zeitgenössische Ausprägungen wie auch die reichhaltige musikalische Vergangenheit Perus. Zu den jüngsten Veröffentlichungen gehören Alben der Acid-Rock-Gruppe Búho Ermitaño, eine Zusammenarbeit zwischen der Berliner Experimentalmusikerin Ale Hop und Laura Robles sowie Perkutao mit ihrer meditativen und zugleich treibenden Interpretation afro-peruanischer Perkussionsmusik. »Mis Ancestros« von Perkutao ist Teil der Reihe »Perspectives on Afro-Peruvian Music«, die im Jahr 2019 mit einer Zusammenstellung von Aufnahmen von Julio »Chocolate« Algendones eröffnet wurde. Diese Serie ist Teil eines umfangreichen Projekts, sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart von regionalspezifischen Musikstilen zu dokumentieren. Alvarado möchte jedoch weder Buh noch die Musik selbst in eine Schublade stecken. »›Traditionelle Musik‹ ist ein gefährliches Etikett«, betont er. »Diese Musik ist so vielseitig und stilistisch vermischt, dass sie objektiv gesehen auch sehr modern ist.«
Das ganze Material
In der Tat kombiniert Buh eine gesunde Dosis neuen Materials von peruanischen wie internationalen Künstler:innen mit sorgfältig aufbereiteten Wiederveröffentlichungen. Darunter sind etwa eine Sammlung der Stücke der venezolanischen Komponistin Oksana Linde aus den frühen bis späten 1980er-Jahren und eine Anthologie von Werken einer wahren Pionierin der elektroakustischen Musik, der verstorbenen Kolumbianerin Jacqueline Nova, die bisher nicht die Anerkennung erhalten hatte, die ihren Kolleg:innen aus Europa und Nordamerika zuteil wurde. Der ehemalige Musikjournalist Alvarado achtet darauf, dass diese Projekte von ausführlichen Linernotes begleitet werden, die Informationen über die Biografien der Künstler und die Kontexte, in denen sie arbeiteten, liefern. »Die Art, wie man ein Album hört, ändert sich, wenn man die Geschichte der Künstler:innen dahinter erfährt«, sagt er. Er schreibt nicht nur den Großteil der Liner Notes selbst, sondern sammelt auch Informationen, die vorher nicht verfügbar waren. »Vor allem die Präsenz von Frauen in der elektronischen Musik in Lateinamerika ist etwas, das viel Recherche erfordert«, sagt er hinsichtlich Linde und Nova.
»Es gibt viele Alben, die nie erscheinen, und es andere, bei denen es fünf Jahre dauert, bis alles geklärt ist.«
Luis Alvarado
Das Gleiche gilt für die umfangreichen Compilations, die über Buh veröffentlicht werden. Sie konzentrieren sich auf bestimmte künstlerische Stile wie eine Zusammenstellung mit peruanischer Sound Poetry aus über 60 Jahren (einschließlich eines Stücks von Alvarado selbst), haben ein bestimmtes Thema wie eine Sammlung musikalischer Hommagen an Walter Smetak oder legen einen Schwerpunkt auf verschiedene Genres und Zeitabschnitte wie eine Einführung in die zeitgenössische Schweizer Experimental- und Noise-Musik oder den Underground für elektronische Musik im Peru der späten 1980er Jahren. »Wenn ich das Geld hätte, würde ich 100 Alben pro Monat machen«, lacht Alvarado. Immerhin: Mehr als ein Dutzend pro Jahr sind es mittlerweile. Das Geld stellt jedoch nicht das einzige Problem dar: Viele der Reissue-Projekte, die Alvarado simultan betreut, sind zeitintensiv und resultieren nicht immer in einer Veröffentlichung. Recherche, Lizenzierung, Restaurierung der Musik und auch visuelle Komponenten können knifflig werden, wie er zugibt. »Es gibt viele Alben, die nie erscheinen, und andere, bei denen es fünf Jahre dauert, bis alles geklärt ist.«
Die Spannung ensteht gegen den Strich
Alvarado arbeitet jedoch nicht nur an vielen verschiedenen Projekten mit Künstler:innen aus der ganzen Welt und gelegentlich auch aus verschiedenen Epochen der Musikgeschichte, sondern auch mit einer vertrauenswürdigen Riege von Leuten aus der Musikindustrie und der Kunstwelt auf globaler Ebene zusammen. Der spanische DJ und Munster-Betreiber Iñigo Pastor Larrucea oder der Discrepant-Chef Gonçalo F. Cardoso, die ihm anfangs dabei halfen, Buh als internationales Vinyl-Label aufzubauen, der peruanische Filmemacher Diego Cendra aus Madrid, der die Buh-Platten in der EU lagert, oder lokale Talente bei visuellen Umsetzung wie Hector Delgado, Paloma Pizarro und René Sanchez sowie die Audio-Spezialisten Alberto Cendra und Dante Gonzales tragen alle zum Gesamtbild bei. Alvarados DIY-begeistertes CDr-only-Label hat sich zu einem globalen Netzwerk entwickelt, das ebenso professionell wie passioniert geleitet wird.
Mit weiteren Compilations – eine umfassende Einführung in die Disco-Sounds Perus ist unter anderem zu erwarten – und einer Reihe von Reissues sowie neuem Material von zeitgenössischen lateinamerikanischen Musiker:innen und dem ersten Buh-Festival im Jahr 2024 hat Alvarado auch für das 20-jährige Bestehen seines Labels ehrgeizige Pläne. Und was seine Haltung und seinen anarchischen Ansatz beim Kuratieren angeht, so geht er natürlich weiterhin gegen den Strich. Ein bisschen Spannung bleibt garantiert. Buh!