Eine imperiale Großmacht wirft sich in den Hort des Bösen, terroristische Super-Villains bedrohen westliche Industrienationen, ein neuartiges Virus, umrankt von Verschwörungstheorien und bestimmt von einem Schurken-Genie in einem Geheim-Labor entwickelt, wächst zur Pandemie aus: So sieht das Jahr 2003 aus, wenn man es mit der MF DOOM Brille betrachtet. Irakinvasion, War on Terror, das Coronavirus SARS-CoV-1. 50 Cent kommt mit »In Da Club« groß raus, Beyoncé und Jay-Z sind »Crazy In Love«, die Black Eyed Peas fragen sich hingegen »Where Is The Love?«
Take Me To Your Leader 20 Year Anniversary Edition
Währenddessen im Rap-Untergrund: Daniel Dumile aka MF DOOM erarbeitet sich seinen heutigen Legenden-Status. Knapp vier Jahre nach dem 1999er »Operation: Doomsday« gibt es kein Halten mehr. Enorm produktiv, startet Dumile Im Februar 2003 mit der neuen Producer-Persona King Geedorah im Kollektiv Monsta Island Czars, deren Album »Escape Monsta Island!« auf Dumiles Label »Metal Face Records« erscheint. »Take Me To Your Leader« folgt im Juni. Auf dem King-Geedorah-Album rappen die MCs der Czars um die Wette. Dumile ist nicht mehr zu stoppen. »Vaudeville Villain«, unter der neuen Persona Viktor Vaughn, erscheint im September 2003, gefolgt von den Metal-Fingers-Instrumentals »Special Herbs 4, 5, 6« im November. Ebenfalls dann im November die Single »Money Folder« vom Klassiker »Madvillainy«, DOOMs und Madlibs Album, das im März 2004 veröffentlicht wird.
»This whole album is Geedorah’s alien perspective on humans«
Dumile im Interview mit Peter Agoston, 2003)
Für »Take Me To Your Leader« lässt Dumile seine von Doctor Doom inspirierte Rolle hinter sich, und eignet sich die des Monsters King Geedorah an, eines dreiköpfigen Alien-Drachen, der Blitze speit. Das Alien-Ungetüm, oder kaiju, stammt aus dem Godzilla-Universum. Sein Plan: Invasion der Erde, Unterwerfung der Menschheit. Dieser narrative Rahmen unterscheidet »Take Me to Your Leader« deutlich von anderen DOOM-Platten. Typisch DOOM aber sind kunstvoll zusammengeschnittene Film-Szenen, die dem Album erstaunliche Kohärenz verleihen.
Komplize der Kinder, Gangster und Geringverdiener
King Geedorah ist Dumiles Producer-Persona. Dementsprechend ist für DOOM-Fans »Take Me To Your Leader« insbesondere wegen der Beats und Samples interessant. Weil man MF DOOM nur auf drei der 13 Tracks rappen hören kann, überrascht es wenig, dass das Album kaum explizite Spuren bei denen hinterlassen hat, die DOOM sonst als wichtigen Einfluss nennen. Das unbekanntere King-Geedorah-Album steht im Schatten der Klassiker »Operation: Doomsday« oder »Madvillainy«.
King Geedorahs Beats sind trocken, breit, golden era, und kommen hauptsächlich von 70er- und frühe 80er-Jahre R&B und Soul-Platten, etwa von den Detroit Emeralds. Die Instrumente klingen nach großer Leinwand. King Geedorah loopt seine Samples, so dass eine himmelschreiende Endgegner-Katharsis auf die nächste folgt, unterbrochen nur von vintage Filmsample-Mashups. Immer wieder rauschen einem breezy strings um die Ohren, die Tränen auf wunden Wangen trocknen.
Auf »Take Me To Your Leader« herrscht Endzeitstimmung, Geedorah läutet sie ein. Dabei übernehmen die gefeatureten MCs die Rolle von Hip-Hop-Propheten (»Next Levels«), zeichnen apokalyptische Szenarios, durchstrahlt vom versengenden Elektro-Atem des Über-Monsters (»Krazy World«). Geedorah ist eine Art Anti-Christ keeping it real, und zugleich Komplize der Kinder, Gangster und Geringverdiener. Mit jedem Track werden apokalyptisch-prophetische Potentiale christlicher Transzendenz in die Sci-Fi-Welten der kaiju-Filme verlagert. Diese pop-kulturelle Erschließung metaphysischer Energien für die Erhebung der Unterprivilegierten macht das Album auch heute noch relevant.
2013 gab es vom Label Big Dada bereits eine 10-Year-Anniversary-Reissue des Albums. Damals war »Take Me To Your Leader« vergriffen. Nach weiteren Re-Presses 2016 und 2021 kommt jetzt die Reissue zum 20-Jährigen auf schwarzem Vinyl mit dem originalen 2003er Artwork. Highlight ist die mitgelieferte 7”-Single »Anti-Matter« featuring MF DOOM und Mr. Fantastik, die man bislang nur teuer auf dem Gebrauchtmarkt kaufen konnte.