Wer wiederholt, verändert. Denn Repetition reichert an. Wiederholtes wird im Kontrast zum Vorhergegangen erlebt. Also anders. Vielleicht weiß das niemand besser als Caterina Barbieri. Wiederholung sei ihr musikalisches »Hauptwerkzeug«, meinte die Italienerin. In den letzten Jahren ist die 32-jährige zum Sternenkind eines neuen Minimalismus aufgestiegen. Zu verdanken ist das hauptsächlich ihrem 2019 erschienenen Album »Ecstatic Computation«. Veröffentlicht auf dem legendären Label Edition Mego, landeten die Kompositionen für modulare Synthesizer auf mehreren Best-of-Listen.
Zurecht: »Ecstatic Computation« ist ein Meisterstück im Pacing. Es besteht aus simplen, modular erzeugten Tonfolgen. Caterina Barbieri versieht sie mit Reverb, schickt sie durch Loops. Kein Beat, kein Refrain, nur vereinzelt abstrakter Gesang. Konstante Wiederholung führt zu konstanter Veränderung. So gelingt es Barbieri, Klangwelten zu modellieren: Astrale Tonfolgen schweben durch ihren Kosmos. Von ihnen umhüllt spüren wir die Schwere irdischen Lebens nicht. Denn Musik habe, so Barbieri, eine »ekstatische Natur«: »Klang transportiert uns über die Grenzen unsere physischen Beschränkungen und unseres Egos hinweg. Und in diesem Prozess erfassen wir eine größere und kollektivere Dimension.« »Ecstatic Computation« lädt also zur Ex-stase im wörtlichen Sinn ein: außer sich zu sein, neben sich zu treten.
Wohin führt die Wiederholung?
2019 für den Knotenpunkt von Barbieris Œuvre halten, entspricht nicht einfach meiner Vorliebe. Barbieri selbst scheint es ähnlich zu sehen. Seither hat sie drei Mal versucht, an die Transzendenz von »Ecstatic Computation« anzuknüpfen. 2021 lud Barbieri auf »Fantas Variations« acht Künstler:innen ein, das Herzstück von »Ecstatic Computation«, den Song »Fantas«, neu zu vertonen. 2022 erschien »Sprit Exit«. Hier erweiterte Barbieri ihr Klangbild, führte Streicher, Gitarren und mehr Gesang ein. Gleichzeitig baut sie auf dem Modell von »Ecstatic Computation« auf. Es ist der Schatten seines sonnenzugewandten Vorgängers, voller Referenzen auf die Dichtung Emily Dickinsons. »Sprit Exit« klingt wie der verzweifelte Griff nach Ekstase und ihrem Geschwister, der Entleibung. Denn Musik entspreche auch einem »unbewussten Verlangen nach dem Tod – sich selbst im Klang aufzulösen und das eigene Ego zu verlieren«. »Wie jede Form der Ekstase«, stellt Barbiere mit makabrerem Humor fest. Die spirituelle Reise ist auch eine Suche nach dem Exitus. Nicht nur, aber voller lebensmüder Momente.
»Musik entspricht einem unbewussten Verlangen nach Tod.«
Dies bringt uns zur dritten Wiederholung von Barbieris kosmischen Knotenpunktes: »Myuthafoo«. Es bietet sechs Kompositionen. Sie sind 2019 entstanden, also zur Zeit von »Ecstatic Computation«. Führte »Spirit Exit« an die kalten Ränder von Barbieris Sonnensystem, ist »Myuthafoo« eine Rückkehr zu dessen Zentrum. Es besteht aus simplen modular erzeugten Tonfolgen, versehen mit Reverb und durch Loops geschickt. Kein Beat, kein Refrain, diesmal kein Gesang. Nur scheinbar ist Barbieri wieder am Startpunkt. Sie spielt mit dem Kontrast zum Vorhergegangen, auch im Aufbau des Albums. So erzeugt die Lead-Single »Math of You« Spannung durch dynamische Arpeggios.
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Der Folgesong verwendet ähnliche Motive, zerstreut sie aber in einer verwaisten Klanglandschaft. Die energetischen Melodien wirken nun verbraucht. Der Name des Tracks ist ein Anagramm seines Vorgängers: »Myuthafoo«. Der Albumtitel resoniert erst, nachdem man sich das Werk angesehen hat. Wiederholung ist Barbieris Programm, in den Songs, zwischen den Songs, zwischen den Alben. Wer wiederholt, generiert Bedeutungen. Wiederholung ist auch ein Mittel, um mit dem Todestrieb umzugehen. Das war zumindest die These Sigmund Freuds. Herauszufinden, wohin Barbieris Wiederholungen führen, gehört allenfalls zu den besseren Lebensfreuden.