The Birth Of Hip-Hop: Von Kool Herc bis Sugar Hill Gang

08.09.2023
Foto:Joe Conzo © Tools of War
Eine Party, die Geschichte schreibt. Two turntables and a microphone. Hip-Hop ist 50 geworden, und wir können nur gratulieren. In erster Linie uns selbst, dass diese Kultur bis heute unseren Alltag bereichert.

Hip-Hop beginnt mit einer Geschichte – einer guten. Sie geht so: Am 11. August 1973 findet in einem Gemeinschaftsraum des Hochhauses in der 1520 Sedgwick Avenue in der New Yorker Bronx eine Party statt. Zum Schulstart, organisiert von Cindy Campbell, die damit Geld für neue Klamotten einnehmen will. Für die Musik fragt sie ihren Bruder Clive an. Und das erste Kapitel beginnt. 

Es wird eine Party, über die noch 50 Jahre später Menschen sprechen. Es wird die Geburtsstunde des Hip-Hop. 

Heute hat dieser 11. August 1973, hat diese Party Legendenstatus, beleuchtet in unzähligen Artikeln. Wie sehr? Eine der auf Karteikarten handgeschriebenen Einladungen zu dieser Party ließ sich im letzten Jahr beim Auktionshaus Christie’s ersteigern – und erzielte einen Preis von über 27.000 US-Dollar. Ein Relikt der Geschichtsschreibung. Ohne diese Party kein Hip-Hop.  

Von Break zu Break 

»Jeder, der über Hercs Partys von damals spricht, redet über zwei Dinge: Sie sprechen über die Intensität, den reinen Sound des Soundsystems – aber sie sprechen auch über die Musik, die Herc spielte«, sagt Jeff Chang, amerikanischer Journalist und Autor des Buchs »Can’t Stop Won’t Stop« vom National Public Radio. Und sie sprechen heute noch.  

DJ Kool Herc ist das Alias des damals 18-jährigen Clive Campbell. Er konzentrierte sich auf die perkussiven Breaks, auf jene Momente in den Songs, die eher als Interludes und Pausen bei Songs aus Funk und Soul dienten. So springt und wechselt er von Break zu Break auf seinen Turntables, auf denen die jeweils gleiche Platte liegt. Ein völlig neuer Sound für New York, für die USA, für die Welt. Und die Leute flippen aus.  

So die Geschichte. Doch da ist noch mehr. Auch zu diesem Kapitel. 

DJ Kool Herc wird bekannter und bekannter – und er vertieft sich während der folgenden Auftritte so sehr in den Sound, dass er keine Zeit mehr für Ansagen während der Songs hat. Coke La Rock tritt auf den Plan, der bis heute als einer der ersten Emcees gilt. (Was sich nicht genau belegen lässt.) Sein Job: der Menge einheizen.  

Einfach nett

Hip-Hop entsteht und ist geprägt durch die multikulturellen Einflüsse, die Afroamerikaner und Einwanderer aus Lateinamerika und der Karibik, vor allem Jamaika (wie DJ Kool Herc), einbrachten. Block Partys werden ein Ding, Anlaufstelle für viele Jugendliche aus prekären Verhältnissen. Das Gerücht bleibt, dass Sound und Technik aus dem Dub kämen. Was für DJ Kool Herc nicht gilt.  

Mit 18 Jahren sei er damals viel zu jung gewesen, um sich dafür zu interessieren. Vielmehr sei seine Inspiration James Brown gewesen, wie er in vielen Interviews wieder und wieder platzierte. Der Soulsänger wird durch sein selbstbewusstes Auftreten zur Identifikationsfigur vieler afroamerikanischer Menschen.  Und zum Schreck des weißen amerikanischen Bürgertums. Weshalb seine Songs nicht im Radio laufen. Was Hercs Partys für das Publikum noch attraktiver macht.  

»Herc sah aus wie ein Superheld auf diesem Podium und spielte diese Musik, die nicht im Radio lief. Ich mochte, was er tat und was er spielte – und genau dies wollte ich auch machen«

Grandmaster Flash

Dabei muss man sich die ersten Partys verschiedenen Zeugenberichten nach einfach nett vorstellen: hauptsächlich Highschool-Schüler, die zu jung oder zu sauber waren oder zu weit im Westen lebten, um in die Fänge der Gangs zu geraten, wie es Jeff Chang in seinem Buch schrieb. Ab und zu schaute auch mal ein Elternteil, ob alles in Ordnung war. Da Clubs und Diskotheken schlossen, brauchten die Jugendlichen in der West Bronx einfach einen Platz zum Feiern.  

Innenräume wie in der 1520 Sedgwick Avenue sind schnell zu klein. Ein neuer Ort muss für DJ Kool Herc her. Er findet ihn mit dem Cedar Park. Das nächste Kapitel beginnt. Mit neuen Akteuren.  

Dreifaltigkeit des frühen Hip-Hop 

Der Strom kommt aus einem Werkzeugschuppen, in den ein Junge einstieg, um Hercs McIntosh Verstärker anzuschließen. Die Lautstärke geht nochmal nach oben. Was mehr Publikum anzieht. Unter ihnen: Joseph Saddler, der sich selbst Flash nennt. »Herc sah aus wie ein Superheld auf diesem Podium und spielte diese Musik, die nicht im Radio lief. Ich mochte, was er tat und was er spielte – und genau dies wollte ich auch machen«, erinnert sich Saddler. Und bald macht er genau dies. Er entwickelt in den folgenden Jahren elementare Techniken des DJing und veröffentlicht mit »The Message« als Grandmaster Flash und den Furious Five einen der wichtigsten Songs des Hip-Hop überhaupt.  

Afrika Bambaataa, neben Grandmaster Flash und DJ Kool Herc der letzte Teil der Dreifaltigkeit des frühen Hip-Hop, tritt in diesem Kapitel noch auf den Plan: Bereits in jungen Jahren trägt er die Idee seiner Zulu Nation mit sich herum, einem Kollektiv aus Rappern, Künstlern, Tänzern und DJs. Als Jugendlicher ist er Teil einer Street Gang, doch nach dem Tod eines Freundes zweifelt er an dem Sinn solcher Zusammenschlüsse. Als er die Zulu Nation im November 1973 gründet, folgen ihm mehrere Mitglieder aus der Gang. Fortan organisiert die Zulu Nation Konzerte und Partys für Jugendliche. Afrika Bambaataa wird ihr spiritueller Vater.  

Er tritt nun, ebenfalls als DJ, mit eigenem Soundsystem bei Block Partys auf. Bekannt wird er vor allem, weil er eine riesige Plattensammlung hat und den Sound um viele Einflüsse erweitert. (Für seinen Hit »Planet Rock« sampelt Bambaataa Jahre später ein Stück der Düsseldorfer Band Kraftwerk.)  

Die vier Säulen des Hip-Hop 

Bis heute stehen Sound und Rap im Vordergrund, wenn von Hip-Hop die Rede ist – doch HipHop geht darüber hinaus. Er hat vier Säulen. Check für Rap und DJing. More to come.  

Hercs Sound lässt die Menschen – logisch – tanzen. Auf eine neue Art. Man nennt die Tänzer »Breaker« oder »B-Boys and B-Girls«. Auf die verschiedenen Breaks im rhythmischen Sound können sie sich perfekt bewegen, bringen akrobatische Figuren mit ein. In den kommenden Jahren entsteht die Idee der Battles, bei der sich die »Breaker« verschiedener Gruppe im Kreis aufstellen und in ihrer Mitte gegeneinander antreten.   

Das nächste Kapitel, die letzte Säule des Hip-Hops entsteht nicht in New York, muss vielmehr erst einmal dort ankommen. Aber dann richtig.  

Graffiti wird populär in Philadelphia. Hier geht die Geschichte so: Der Jugendliche Darryl McCray alias Cornbread sprüht in den 60ern seine Liebe zu einem Mädchen in der Stadt an Wände. Die Technik gefällt ihm so gut, dass er damit einfach weitermacht und nur noch sein Alias schreibt.  

Vandalismus und Vernissage

Zwei Jahre bevor Kool Herc in der 1520 Sedgwick Avenue auflegt, erklärt allerdings ein Zeitungsbericht Darryl McCray für tot. Was den damals 18-jährigen (und sehr lebendigen) McCray zum Gegenbeweis anstiftet, wie der knapp 50 Jahre später Zeit ONLINE erzählt. Er klettert ins Elefantengehege des Zoos und sprüht auf einen Dickhäuter die Nachricht: »Cornbread lebt!« Graffiti steht da bereits als Form des Ausdrucks und Protests. Nicht nur in Philadelphia. Allerdings hat es noch keinen Namen.  

US-Autor Norman Mailer veröffentlicht 1974 sein Essay »The Faith of Graffiti« in dem Magazin Esquire und verwendet darin als Erster den Begriff »Graffiti« in einem Text. Darin bewundert er diese neue Kunst, die Lokalpolitiker und viele Bürger eher für eine Verschandelung New Yorks halten. Doch die Kunstgalerien in der Stadt kaufen da längst erste Graffitis für ihre Ausstellungen. Das Spannungsverhältnis zwischen Street Art und der Kommerzialisierung der Kunst taucht da bereits auf. Was ein anderes Kapitel ist.  

Nach den ersten Partys von DJ Kool Herc, dem Umzug in die Parks, den Reaktionen und dem Zusammenwachsen, dauert es Jahre, bis es Hip-Hop ins Fernsehen oder überhaupt ins Radio schafft. Als erste Veröffentlichungen des Genres gelten »Rapper’s Delight« (1979) der Sugarhill Gang und »King Tim III« (1979) von der Fatback Band. So unwiderstehlich und einnehmend der Sound dieser frühen Tage des Hip-Hop auch ist, umso simpler sind teilweise die Reime. Gerade bei den ersten Platten des Genres wird der Einfluss von Disco und Funk deutlich, der viel stärker als heute durchschlägt. Doch spätestens mit diesen ersten Platten steht Hip-Hop im Spannungsfeld zwischen Jugendkultur, Protestform und Massenphänomen.  

The world is hers

Bei den ersten Partys denkt niemand an diese Möglichkeiten, an all das, was da noch kommen würde. Kaum ein anderer Sound, keine andere Kultur erobert den Globus so schnell wie Hip-Hop. Was auch daran liegt, dass der Einstieg in diesen Sound vergleichsweise ohne große Einstiegshürden für angehende Künstler auskommt. (Nicht einmal Gitarre muss man üben!)  

DJ Kool Herc, Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa gelten bis heute als die Pioniere und Erfinder des Hip-Hop – zumindest für den Sound, selbst wenn der sich längst weiterentwickelt hat.  

Spätestens mit den ersten veröffentlichten Platten steht Hip-Hop im Spannungsfeld zwischen Jugendkultur, Protestform und Massenphänomen. 

Grandmaster Flash und DJ Kool Herc ziehen sich mit der Zeit aus der Öffentlichkeit zurück. Die ertragreichen Erfolge fahren später andere Künstler ein. Nach einer Behandlung aufgrund von Nierensteinen muss DJ Kool Herc etwa Anfang der 2010er-Jahre Geld einsammeln, weil er keine Krankenversicherung hat.  

Gegen Afrika Bambaataa werden in den vergangenen Jahren Missbrauchsvorwürfe laut, mehrere angebliche Opfer wenden sich an die Öffentlichkeit. In der Folge treten viele Mitglieder aus der Zulu Nation aus und gründen ihre eigene Organisation. Bambaataa selbst schweigt zu konkreten Vorwürfen, auch weil es zu Anklagen kommt, und beteuert seine Unschuld.

Doch während das Kapitel der Urväter verblasst, gibt es so viele Kapitel, die folgen, die sich aus diesen ersten Partys entwickelte. Kapitel über Rapper wie Kurtis Blow und KRS-One oder Künstler wie die Lost Poets, über Public Enemy, über die politische Aussagekraft von Hip-Hop.  

Die Geschichte geht weiter. Auch wenn wir längst in einem ganz anderen Kapitel sind. Doch wer zurückblättert, wird belohnt. Mit einem der spannendsten Momente der jüngeren Geschichte überhaupt, aus dem sich so viel für die Gegenwart ergibt.