Records Revisited: Mandrill – Just Outside Of Town (1973)

01.10.2023
Mandrills Alben sind Reisen quer durch die (nicht nur) Schwarze amerikanische Musiklandschaft. Ihr viertes Album steht exemplarisch für ihr Schaffen – und hat eineneinen der brutalsten Funk-Tracks ever in seiner Mitte.

Wer kennt sie nicht, die Szene aus dem Film »Forrest Gump«? Nach einer langen Partynacht sitzt Forrest mit seinem Plattenkoffer auf einer Parkbank und erzählt einer wildfremden Frau: »Meine Mama hat immer gesagt, das Leben ist wie eine Platte von Mandrill. Man weiß nie, was man kriegt.« So oder so ähnlich wäre es abgelaufen, wenn Forrests Interessen etwas anders gelagert gewesen wären. Er hätte damit jedenfalls einen validen Punkt gemacht. Denn als Mandrill 1973 ihr viertes Album »Just Outside Of Town« veröffentlichten, galt noch nicht das Gesetz des Genre-Albums. Die Distinktion zwischen den Stilen war durchlässig, quasi genrefluid.  

Alles drin, frei raus gespielt

Anstelle sich an einem Stil abzuarbeiten, dass das Album in sich geschlossen gehalten und sich scheibchenweise gut in die vermeintlich homogene Zielgruppe verkauft hätte, spielten Mandrill im Minutentakt Bäumchen-Wechsel-Dich. Auf »Just Outside Of Town« folgt auf treibenden Latin-Funk lupenreiner Hippie-Pop, folgt zuckersüßer Motown-Soul, folgt Afro-Caribbean-zerteilter Hard Funk, folgt purer Blaxploitation-Sex, folgt countryeske Rock-Opern-Ballade, folgt cineastische Jazz-Meditation. Und mittendrin explodiert ein Fuzzy-Bass-Monstrum, das einen der fettesten Hip-Hop-Anthems ever ermöglichte. Manchmal – wie bei »Mango Meat« oder »Fat City Strut« – spielen diese Wechsel mitten im Track Fangen. 

Für Mandrill ging das auch gar nicht anders. Die Mitglieder der Band verkörperten das, weshalb sich White Supremacists damals wie heute nächtlich einnässen: befreite, frische, unbeschwerte und selbstverständliche Diversität. Latin, Schwarz, weiß. »One Nation Under A Groove« hätte Mandrill zum Markenspruch gereicht, wenn das nicht schon von George Clinton reserviert worden wäre.  

Überraschung, keine Mogelpackung!

Diese Wechselhaftigkeit stellte 1973 natürlich keine Ausnahme da. Funk- und Soul-Alben hatten immer etwas von einer Familienpackung Pralinen, die auf der Rückseite ein buntes durchweg köstliches Allerlei versprachen, hinter deren fancy Namen sich dann aber viel zu viele klebrige Nougatverschnitte versteckten. Dieser Ansatz hat auch in den seltensten Fällen wirklich gut funktioniert. In der Regel waren 70 % des Materials auf den originalen Funk- und Soulalben öde.  

Alles sitzt, nichts wackelt oder schmeckt nach gezwungenem Abklatsch für den Verkauf.

Dass Mandrill nicht in dieses Raster fallen, verdankten sie vermutlich genau ihrer Diversität, Punktgenauigkeit und dem Spaß am Wechselspiel, das sich daraus ergab. Alle Einflüsse wurden eingefangen, umarmt und ineinander gesteckt, so dass jeder Song immer mal mit einem Lachen ins Stolpern gerät. Bei »Mango Meat« rutschen die eröffnenden wippenden Bossa-Bläser unversehens in einen zerbrochenen, knochentrockenen Funk, der für den Refrain rockend Fahrt aufnimmt, nur um sich im Ausklang ganz langsam zur Ruhe zu legen, als hätte er mit all dem vorherigen Tohuwabu nichts zu tun. 

Zudem sind die Stücke fast schon perfekt ausgearbeitet und arrangiert. Alles sitzt, nichts wackelt oder schmeckt nach gezwungenem Abklatsch für den Verkauf. Die Seele bleibt erhalten, weil sie in der Band genau so steckt. Selbst die countryeske Rock-Oper »She Ain’t Lookin‘ Too Tough« entfaltet ihre säuselnde Wirkung, wenn auch ein leichter Cringe-Effekt nicht wegzudiskutieren ist. 

Die Bombe in der Mitte 

Und dann ist dort natürlich noch »Two Sisters Of Mystery« – als Centerpiece des Albums das Überraschungsei und das brutalste, was Funk je hervorgebracht hat. Zu samplen haben es sich bisher nur Public Enemy, Psycho Realm und Renegade Soundwave getraut. Außer Public Enemys stimmengewaltigem Chuck D. gehen alle in den Boxschlägen aus Neftali Santiagos verschleppten Drums und Frederick »Fudgie Kae« Solomons gnadenlos brüllendem Fuzzy Bass unter. »Two Sisters Of Mystery« ist der Übertrack, der allein den Kauf des Albums besiegelt. Denn »Two Sisters of Mystery« ist in 30 Jahren Funk-Break-Digging-Serien der Hip-Hop-Generation auf keiner einzigen dieser Compilations aufgetaucht, nicht einmal auf den illegalen.