Ich höre »Another World« nur alle drei Jahre, dann aber 30-mal am Stück, mit feuchten Augen und vollem existentialistischem Übercommitment. Dass Anohni nach 13 Jahren wieder ein Album mit den Johnsons aufgenommen hat, löste zunächst eine weitere »Another World« Woche aus, bevor ich mich wirklich »My Back Was A Bridge For You To Cross« widmen konnte. Die angekündigten Blue Eyed Soul-Tropen sind hier, trotz der einschlägigen Credits von Produzent Jimmy Hogarth, eleganter und rockiger als auf vergleichbaren Throwback Alben und geben Anohnis Organ genug Raum für genau jenes Pathos, das sie selbst in avantgardistischeren Kontexten schon immer ausgezeichnet hat. Niederschmetternd ist das auch in den vermeintlich gelösteren Momenten, aber es gibt auch einfach niemanden, der in diesem Jahrtausend so viele potentielle Funeral-Songs geschrieben hat wie Anohni.
Florian Aigner Zur ReviewDie Vorstellung, dass jemand auf einer Beerdigung das Cello auspackt und einen Auszug aus »World Of Echo« spielt, ist so wunderbar prätentiös, dass ich alleine bei der Vorstellung schon wieder feuchte Augen bekomme. Nun ist mit »The Picture Of Bunny Rabbit« tatsächlich ein Relikt aus diesen Sessions posthum veröffentlicht worden, eine gralshafte Entdeckung der Nachlassverwaltung Arthur Russells, zu schön um wahr zu sein. Absurd, dass die Welt fast vierzig Jahre warten musste und noch absurder wie brillant Tom Lee diese Aufzeichnungen sequenziert und editiert hat. So ist »The Picture Of Bunny Rabbit« heute tatsächlich der verschollene Zwillingsbruder eines der wichtigsten Alben der 80er.
Florian Aigner Zur ReviewAuch neue PJ Harvey-Platten bleiben unverschämt relevant. »I Inside The Old Year Dying« (Titel des Jahres btw) ist in all seiner poetischen Quirkiness nicht uncooler als ein Holter- oder Hval-Album und einfach generell eine verdammte Anomalie in der vierten Dekade einer Karriere.
Florian Aigner Zur ReviewPeople Skills ist seit seinem 2016er Album für BEB vor allem mit Compilation-Beiträgen rund um die erweiterte Low Company Bubble aufgefallen, sein Album »Hum Of The Non-Engine« für Digital Regress ist nun eine willkommene Zusammenstellung diverser Loosies, die auf Albumlänge dennoch perfekt zusammenfassen warum Collagenexperimentalismus und Mumblefolk vor drei Jahren auf jedem zweiten Tape speeddaten geschickt wurden. Vielleicht die beste Platte in dieser Kategorie seit der letzten Nein Rodere.
Florian AignerEin neues Celine Gillain-Projekt ist noch ein Spur aufregender, unter anderem deswegen weil ihr letztes Album nicht einen Tag gealtert ist seit 2018. Natürlich ist auch »Mind Is Mud« voll mit hunderten dekonstruierten Referenzen an Sounds aus dem Club, natürlich ist auch hier die beißende Atomisierung von Kapitalismus und Chauvinismus frei von Retweet-Geilheit, aber was diese EP wirklich essentiell macht, ist dieses Gefühl als Hörer:in überhaupt keine Ahnung zu haben was als nächstes passiert.
Florian Aigner Zur ReviewÜber Bruce Falkian wusste ich hingegen gar nichts, aber der mediensatirische Überbau auf ihrem Debüt für Antinote ist mir stellenweise etwas zu platt (siehe Pressetext). Metaperspektivisch befreit, ist das aber ein wirklich erstaunlich gutes Post Punk-Album, das stellenweise klingt als hätten Malaria damals Electroclash kommen sehen.
Florian AignerImmer wieder schön wenn Menschen ihre Ed Banger-Vergangenheit faltenfrei überlebt haben und heute befreit mit Valentina Magaletti kollaborieren dürfen. Zongamin war insgeheim ohnehin überqualifiziert für die Blog House Ära und veröffentlicht heute, im Karrierejahr 22 seine beste Platte. Auf »Suono Assente« pusht Magaletti den Dub ihres Holy Tongues-Projekts noch tiefer in Post Punk Grooves, Zongamin folgt mit slappenden Basslines und Shoegaze. Spätestens wenn Coby Sey dann auf »Bites« in einen Claire Denis-Soundtrack taumelt, enden V/Z auf der Shortlist der bisherigen Alben des Jahres.
Florian Aigner»No Soul, No God, No Devil, No Existence« - Hajj nennt sein Album ironiefrei Jürgen und diese Aufrichtigkeit ist für mein Millenialbrain erstmal schwer auszuhalten, aber auch ein bißchen bewundernswert in ihrer Corniness. Burial und Weightless Grime sind hier die richtigen falschen Referenzen, weil die Soundinspiration eindeutig nicht dem britischen Continuum folgt, sondern Chicago, Memphis und Paris, aber die transportierte Melancholie legitimiert diesen krummen Vergleich dann auf der emotionalen Ebene doch.
Florian AignerRroses Reise findet auf »Please Touch« ihren bisherigen Höhepunkt, es gibt nur wenige Technoproduzent:innen, die sich derart metikulös und frei am Albumformat abarbeiten. »Please Touch« erinnert in seinen steppenden Momenten am ehesten an Regis und Katatonic Silentio, in seinen technoiden an die besten Plastikman Maxis und ist fast nebenbei in den drumfreien Sequenzen noch eine fantastische KUUUNSCHT-EP.
Florian AignerIch liebe es ja, wenn sich Review von selbst schreiben. Der aktuelle Topkommentar für Zaumnes »Parfum« auf Bandcamp lautet: »Superb sound design, only tarnished by the excessive french whispering.«. Well, ersetze tarnished mit enhanced und wir sind durch hier.
Florian AignerSoundtracks finden hier zugegebenermaßen selten statt, meist auch deswegen, weil ich zur Zeit der Veröffentlichung meist nicht abschätzen kann, ob diese auch als eigenständiges Dokument taugen. Die Defaultausnahme aktuell ist eigentlich vor allem Micah Levi, aber auch Oliver Coates qualifiziert sich spätestens mit seinem Score für »Aftersun« für diese Kategorie. Selten einen Soundtrack gehört, der so ambivalent die Gefühle seiner beiden Protagonisten aufgreift, ohne sie zu explizit zu machen (das große Bowie/Queen-Finale ausgeklammert). Dass Coates hier mit einem Film arbeitete, dessen Pointe mich – das wollte ich schon immer mal schreiben – ALS VATER komplett ausgeknockt hat, kommt hierbei sicher noch hinzu, aber meine Güte, dieses verdammte Cello hittet wieder different.
Florian AignerKoshiro Hinos Kakuhan-Projekt war letztes Jahr eines meiner Lieblingsalben, dementsprechend fiebrig dann auch der Versuch »Geist II« wertzuschätzen. Es mag Kontexte geben, in denen diese betont disharmonischen Field Recordings funktionieren, insbesondere visuell begleitet, alleinstehend ist dieses Album aber – so engstirnig das klingt – nur im weitesten Sinne Musik per se.
Florian AignerZugänglicher ist hingegen Jon Collins Zugang zu Field Recordings, auch wenn seine Arbeiten mit Demdike Stare besonders dronig und flüchtig klingen im Vergleich zu seinen relativ linearen Soloarbeiten. »Fragments Of Nothing« war 2020 das Begleittape zu »Sketches Of Everything«, einem Album, das mich durch einen weirden Pandemieherbst 2020 eskortiert hat. »Fragments Of Nothing« ist noch minimalistischer und eine Spur weniger dubby, aber auch hier zahlt sich jede Minute der Antizipation aus. Bin gespannt wie Teil 3 wird, »Minerals« ist Ende Juni erschienen, scheint aber noch beim Zoll zu hängen.
Florian AignerOlof Dreijers Steel Drum-Obsession findet in seiner Zusammenarbeit mit Mount Sims einen krönenden, weil klischeefreien Abschluss. »Souvenir« nähert sich diesem Instrument nicht über dümmliche The Office-Memes, sondern mit dem Anspruch eurozentrische Avantgarde-Konventionen mit Gamelan-Arrangements und genuiner West Indies Appreciation zusammenzubringen. Das klappt in der Mitte des Albums am besten, aber auch der Versuch dieses Instrument gleich zu Beginn in einen verstörend gotischen Folkkontext zu betten, ist hochinteressant.
Florian AignerEs gibt auf jedem der letzten drei Bendik Giske-Alben mindestens einen transzendentalen Track, der einen in dieser ekstatischen Wechselwirkung zwischen Repetition und Modulation glauben lässt, dass Musik vielleicht doch die Vermittlerin sein könnte zwischen Hier und Da. Auf »Cracks« war das »Cruising«, auf seiner Zusammenarbeit mit Pavel Milyakov und nun »Not Yet«. Wie immer bleibt Giskes wahnwitziger Zugang auf Albumlänge eine Herausforderung im besten Sinne, hier kommt aber mit Beatrice Dillon als Co-Produzentin noch eine weitere faszinierende Ebene hinzu, weil deren dogmatische Ablehnung jeglicher Morastierung der Musik ein fast schmerzend helles Abum ermöglicht, das Giskes Improvisationen vollkommen von herkömmlichen Jazz-Anstandsformeln befreit.
Florian AignerIch weiß gar nicht wie oft ich den ersten Teil von Florian TM Zeisigs »You Look So Serious« in den Coronajahren gehört habe, aber diese basinskifizierte Version von Enya-Loops wird für immer mein offizieller FFP2-Soundtrack bleiben. Auch der nun gemeinsam mit Part 1 erscheinende zweite Teil macht genau das, was die ersten sieben Tracks schon taten: 2011er Clams Casino Beats ohne Beats. Klingt abschätzig, ist aber eine fieldsmedaillenverdächtige Formel.
Florian AignerAna Roxanne und DJ Python hätte ich am Reißbrett nicht unbedingt als Duo gecastet, aber wahrscheinlich ist »Natural Wonder Beauty Concept« genau deswegen so gut. Python dockt hier patternmäßig überall an: barely there Bassdrums, kurze Dembow-Finten, ausgedehnte Warp-Beats und euphorischer Beachchair-Jungle. Ana Roxanne jongliert, grinst und erweitert die latente Melancholie mit hundertprozentiger Aufrichtigkeit zum inoffiziellen Sequel von Leilas bis dato ziemlich singulärem »Like Weather«.
Florian Aigner Zur Review