Label Watch: Les Disques Bongo Joe

09.06.2022
Kraftfabrik für unentdeckte Sounds: Zwei Jahre nachdem der Plattenladen Bongo Joe Records im Schweizer Genf seine Türen öffnete, veröffentlichte das dazugehörige Label Les Disques Bongo Joe im Dezember 2015 seinen ersten Release. Label wie Store gründete Musiker Cyril Yeterian. Die Mission: Bisher unbekannte Musik auf die Karte bringen und damit für neue Inspiration sorgen. Was wunderbar funktioniert.

Es gibt wenige Plattenläden, denen die Touristikwebsite Tripadvisor einen Eintrag widmet. Und noch weniger Plattenläden aus Genf. Aber Bongo Joe Records taucht dort auf. Die Adresse ist Plattenladen, Begegnungsstätte, Label, Café und Zentrum (nicht nur) der lokalen Musikszene. »Da war diese Idee, dass wir mehr als nur ein Plattenladen, mehr als nur eine Bar, mehr als nur ein Label sein wollten«, sagt Gründer Cyril Yeterian. »Ein kultureller Mittelpunkt, das war das eigentliche Ziel. Alles war darauf ausgerichtet, die Liebe zur Musik weiterzugeben und dabei so inklusiv wie möglich zu sein.«

Wer bei Bongo Joe vorbeischaut, kann sich über das Konzert von letzter Nacht in Genf austauschen, bei einem sehr guten Kaffee einer obskuren Cumbia lauschen, einen Künstler des Labels treffen oder einfach nur die neueste Platte von Habibi Funk kaufen. So die Idee von Yeterian. »Die Dinge sollen so lebendig wie möglich, spontan und ergiebig sein.« Das Label trägt diese Idee in den Rest der Welt außerhalb von Genf.

Eine Frage des Feelings

Die bisherige Diskographie vereint die verschiedensten Stile. Wer es böse meint, nennt das wahllos. Wer es gut meint, nennt es eklektisch. So wie Yeterian: »Unsere Diskographie ist ziemlich divers. Aber wenn du dir das große Ganze anschaust, ist es wie ein Puzzle – alles ergibt einen Sinn.« Außerdem baut alles auf drei Säulen auf, so der 38-Jährige: Schweizer Musik aus dem Underground, obskure Sounds aus der Vergangenheit und internationale Künstler, die diese »psychy-groovy-weirdy« DNA teilen. Die Sache mit den Reissues ist dabei die Kirsche obendrauf. Doch aus allem spricht die Liebe zur Musik.

»Da war diese Idee, dass wir mehr als nur ein Plattenladen, mehr als nur eine Bar, mehr als nur ein Label sein wollten«

Cyril Yeterian

»Die meisten Projekte starten bei uns mit einem Treffen. Es ist wichtig für uns, die Leute zu sehen, sie zu fühlen«, sagt Yeterian. Das gilt für Musiker wie Mitarbeiter. (Neben ihm arbeiten drei andere Leute im Label. Für Plattenladen, Bar und Konzerte dort sind es insgesamt acht Leute.) Im Label arbeitet Cyril Yeterian heute als künstlerischer Leiter.

»Es mag offensichtlich sein, aber wir suchen nach besonderem Zeug. Auch das ist eine Frage des Feelings.« Wenn sich das Label für ein Projekt entscheidet, bleibt es dabei. »Weil wir wirklich daran glauben und uns ihm ganz widmen wollen. Wenn es doch Zweifel gibt, berufen wir einen geheimen Rat ein, um uns noch anderes Feedback zu besorgen.«  

The real Bongo Joe

Großen Erfolg fuhr das Label mit der Veröffentlichung von »On« ein, dem Debüt von Altın Gün. Die Band kommt aus Amsterdam, spielt türkischen Psychedelic Rock. »Der enorme Erfolg war für uns aber auch eine große Herausforderung als wachsendes Label. Das forderte uns ziemlich heraus. Wir hatten viele Regeln des Musikgeschäfts sehr schnell zu lernen, während wir unseren Werten und unserer Unabhängigkeit treublieben.«

Für diese Werte gibt es ein Vorbild: George »Bongo Joe« Coleman. Der US-Straßenmusiker spielte auf einem behelfsmäßigem Drumkit aus Ölfässern. So entwickelte er einen einzigartigen Stil – und zog lange die Auftritte in den Straßen des texanischen Galveston lukrativeren Locations vor. 1969 erschien sein einziges jemals aufgenommenes Album »George Coleman: Bongo Joe«. Als Yeterian die Musik entdeckte, gefiel ihm gleich der punkige Vibe, der Proto-HipHop und die DIY-Energie. »Coleman trug Werte in sich, in denen wir uns wiedererkennen.«

Als sie zuerst den Plattenladen nach Coleman benennen wollten, nahmen sie Kontakt über Mississippi Records zu seinen Nachfahren auf. »Ihre Antwort war voll Neugier und Freude, dass Leute seinen Name so weit entfernt von Texas hochhalten.« Bisher unentdeckte Musik abseits der Öffentlichkeit an ein interessiertes Publikum bringen, das können sie ja in Genf. Und eben noch ein bisschen mehr.