Mit seinem Namen verbindet sich zwangsläufig ein zweiter, daher schnell heraus damit: Der Brasilianer Hermeto Pascoal wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als er 1971 als Gastmusiker auf Miles Davis‚ Doppelalbum »Live-Evil« (einer der schönsten Palindrom-Titel überhaupt) in Erscheinung trat. Unisono zu Davis‘ Trompete pfeifend plus am elektrischen Klavier im Stück »Little Church«, des Weiteren unisono mit dem Gastgeber, diesmal singend, in »Nem um Talvez« und in »Selim«.
Von Davis ist überdies die Aussage übermittelt, Hermeto Pascoal sei der beeindruckendste Musiker der Welt. Kein kleines Kompliment von einem Kollegen, der dafür berüchtigt war, selbst verdienstvolle Mitstreiter schon mal herablassend herunterzuputzen.
Klänge finden und erfinden
Eigentlich braucht Hermeto Pascoal aber gar keine Legitimierung durch die Autorität eines berühmteren Musikers. Trotzdem scheint er für Paarbildungen zu Vergleichszwecken anfällig zu sein – oder zumindest die Leute, die über ihn schreiben. Den einen ist er der brasilianische Frank Zappa, den anderen Brasiliens Antwort auf Sun Ra. Alles gute Gesellschaft, doch letztlich eher Ausdruck der Verlegenheit, dass man fürchtet, dem Mann und seinen eigenen Besonderheiten nicht gerecht zu werden.
Als ihn Miles Davis zu sich bat, hatte Pascoal jedenfalls in Brasilien schon längst einen Namen. Während der sechziger Jahre arbeitete er mit Bossa-Nova-Pionieren wie Carlos Jobim oder Sergio Mendes zusammen und gründete sein eigenes Trio Sambrasa und das Quarteto Novo, in beiden spielte der Perkussionist Airto Moreira, ein enger Wegbegleiter.
Von Miles Davis ist die Aussage übermittelt, Hermeto Pascoal sei der beeindruckendste Musiker der Welt. Kein kleines Kompliment von einem Kollegen, der dafür berüchtigt war, selbst verdienstvolle Mitstreiter schon mal herablassend herunterzuputzen.
Pascoals erstes Soloalbum, selbstbewusst schlicht »Hermeto« genannt, erschien am 22. Juni 1970, exakt an seinem 34. Geburtstag. Das mag spät klingen, doch bei dem bis heute aktiven Pascoal bietet es sich an, in größeren Dimensionen zu denken. »Nos Mundo dos Sons« (In der Welt der Klänge) hieß zum Beispiel ein Doppelalbum von ihm aus dem Jahr 2017, in dem er jedes Stück einem Musiker, der für ihn wichtig ist, gewidmet hat.
Der Titel gibt seine Haltung gut zum Ausdruck: Hermeto Pascoal erforscht einerseits die Welt der Klänge, schon in jungen Jahren lernte er jedes Instrument, dass er in die Finger bekommen konnte, andererseits ist seine Musik selbst eine eigene Klangwelt, die sehr vieles an Ausdrucksmöglichkeiten umfasst.
Schamane im Weltraum
Auf »Hermeto« war diese Welt noch stark von Bossa Nova und Modern Jazz bestimmt, die Bigband-Klänge lassen jedoch ahnen, dass sich da ein freier Geist ankündigt, der nach seinen eigenen Regeln vorgeht. Wie die funktionieren, ist etwa auf seinem Album »Zabumbê-bum-á« von 1979 sehr schön zu hören. Darauf mischen sich Samba, Fusion, Free Jazz und die ganz persönliche Kauzigkeit von Hermeto Pascoal zu etwas Neuem, das auf abenteuerlustige Weise ansteckend wirkt. So ist das erste Geräusch, mit dem er einen auf der Platte begrüßt, ein kurzer Lippenstrudel, mithin das, was man gemeinhin lautmalerisch als »Brrr« schreibt. Warum auch nicht?
Dieser spielerische Umgang mit Klängen macht ihn zu einem begehrten Partner für aufgeschlossene Musiker, die gern in ähnlich üppigen Maßstäben denken. Der Komponist und Saxofonist Daniel Glatzel etwa, seines Zeichens Gründer des stilistisch weit ausgreifenden Andromeda Mega Express Orchestra, lud Hermeto Pascoal 2015 zu den »Kosmostagen« nach Berlin für ein gemeinsames Konzert, in dem der Gast am Yamaha DX7-Synthesizer und diversen anderen Instrumenten nicht allein der Position auf der Bühne nach das Zentrum bildete und sich gleichwohl bestens in das weltraumaffine Ensemble einfügte.
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Eine rätselhafte Erscheinung ist er bis heute. Wie sein Name, der an den Götterboten Hermes denken lässt oder an »hermético«, was auf Deutsch »geheimnisvoll« heißt. Geheimnisvoll ist der in Brasilien als Schamane geltende Botschafter der Klänge allemal. Womöglich ist das einer der Gründe für die vielen Vergleiche, für die er so oft herhalten muss. Und, klar, man kann ihn vergleichen, mit wem man will – solange es dazu beiträgt, dass mehr Leute seine Musik hören.
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