Ein neues Future-Album im Jahr 2022 zu besprechen ist gleichzeitig ein Trip in die Steinzeit und die Gegenwart. Steinzeitig bleiben Futures Weltansichten, getragen von einer Ära, in der Ignoranz das höchste Gut im Rapgame war und jede Selbsterkenntnis in gepanzerter Selbstaffirmation und einer handvoll Benzos ertränkt wurde. Gegenwärtig bleibt das durchgehend all capsige »I NEVER LIKED YOU« weil Future immer noch die Blaupause ist für den Rap der letzten Jahre. Gemeinsam mit Young Thug hat Future tausende uneheliche Söhne gezeugt, sein Melodie- und Melancholieverständnis ist das, das auch in diesem Jahr das Spiel immer noch dominiert, auch wenn die große Innovationskraft der Mittzehner hier deutlich an Fahrt verloren hat.
Florian AignerInteressant auch wie Pusha T die unvermeidliche Midlife-Crisis managet und sich auf »It’s Almost Dry« inhaltlich komplett auf die seinen Alltag längst nicht mehr bestimmende Schneepflug-Ära konzentriert. Content-mäßig ist das natürlich bereits perfekt memefiziert worden. Aber »It’s Almost Dry« ist vor allem deswegen ein starkes Ü40er-Werk, weil Pusha T hier fast durchgängig Ausnahme-Beats von Kanye West und Pharrell Williams gepickt hat, inklusive einer überraschenden DJ Shadow-Reminiszenz.
Sebastian HinzProduktionsmäßig ist auch »Aethiopes« von billy woods absolut sensationell. Der vor allem als Ka-Kollaborateur bekannte Preservation flippt hier von moody ass RZA-Soul bis zu Art Ensemble Of Chicago mäßigen Free-Jazz-Sessions wirklich bemerkenswert unvorhersehbare Instrumentals, die für sich schon ein ziemlich wahnwitziges Album wären, in Kombination mit Billy Woods Mitnuller-Def-Juxismen aber vollkommen überwältigen, in a good way.
Florian AignerVince Staples' Beatselektion auf »Ramona Park Broke My Heart« ist im Kontrast zu Billy Woods & Preservations »Aethiopes« sehr dezent. Vince Staples' Wunschzettel besteht offensichtlich aktuell darin Quik und Mustard als Orientierungsgrößen beizubehalten und deren Westküstenfunk nochmals um 50% zu reduzieren. Das gibt Staples' Raps besonders viel Gewicht, eine Entscheidung, die als einer der aktuell fünf besten Geschichtenerzählern im Rap nur konsequent ist.
Florian AignerArschlöcher würden über Alabaster De Plume schreiben, dass seine Musik so unangreifbar ist, dass er eigentlich die nächsten drei Bonobo-Alben (LOL, sorry, did it again!) geistproduzieren müsste. Aber ey, macht ihr doch mal ohne in irgendeiner Form angestrengt zu wirken ziemlich perfekten Weirdopop, ziemlich perfekten Jazz und ziemlich perfekte Beatskizzen. »GOLD« ist vielleicht das definitive Alabaster DePlume-Album und immer eine Spur zu seltsam und frei im Kopf um im nächsten Audi Spot zu landen.
Florian AignerAls Musikjournalist gibt es ja immer wieder diese Punkte, an denen man seine popkulturelle Abgehängtheit mit maximaler Brutalität vorgeführt bekommt, um dann krampfhaft die eigene Boomerhaftigkeit mit pseudoeuphorischen Reviews für das nächste große Ding abzulegen. Claire Rousay, als Solokünstlerin hier auch bereits gewürdigt, hat mit More Eaze ein hypermodernes Popalbum gemacht, so etwas wie die Tiktok-Version eines von SOPHIE. produzierten »808 and Heartbreaks« und ich… fühle mich einfach nur steinalt.
Florian AignerFür alternde Snobs gibt es kaum ein dankbareres Album als die zweite Platte von Anadol, weil die Bezugspunkte hier zeitlos sind: klassische türkische Breaks, vernebelter Krautrock, britisch-dubbiger Post-Punk, Spiritual Jazz. So weit, so safe, aber was »Felicita« komplett konkurrenzlos macht, ist eine kaum zu Papier bringende Fähigkeit, keinem Genre länger als für einen flüchtigen Moment verpflichtet zu bleiben. Eine wilde Platte, die trotzdem vollkommen in sich ruht.
Florian Aigner Zur ReviewTom Boogizm hat letztes Jahr ein Album gemacht, das zumindest ich nach nur einem Durchgang bereits als Instant Classic abgespeichert habe. Seither gab es via Robbing Lobsters From Mobsters oder mit Sockethead und Michael J Blood nochmal endlos mehr Material von Rat Heart, in madlibscher Manie und Frequenz. Wenn Boogizm nun als Rat Heart Ensemble zum zweiten Mal von Tape zu Vinyl wechselt, muss A Blues also schon rein physisch eine Sonderstellung zukommen. Stringenter als zuvor, in weiten Teilen kaum perkussiv, tastet sich Tom Boogizm hier noch mehr an fragilen Private Press Pop heran, floatet durch Interludes und macht wie immer intuitiv alles besser als alle anderen.
Florian AignerEbenfalls besser als der Rest: Veröffentlichungen auf YOUTH, Andrew Lysters Label, auf dem Fumu nach Singles und einer CD-Only-Sammlung nun ein echtes Album veröffentlicht hat. »Enter The Anima« rafft jedes Microgenre der letzten fünf Jahre, zerrupft Kelman Durans Ambient-Dembow, streift Drill via Warp, benutzt Industrial als Ablenkungsmanöver für eine, bei all der gescrewten Rhythmik, immer instinktiven Funkiness.
Florian AignerEigentlich sollte ich aus Hyperbelgefahr und lächerlicher Befangenheit gar nicht mehr über Equiknoxx-Releases sprechen, aber heiliges Kanonenrohr, die hier als Gav & Jord operierende Riddimfabrik Gavsborg und Time Cow kommen auf »Writing Ov Tomato« der Bitte ihres frühen Förderes Jon K, nur ihre abstrusesten Ideen umzusetzen, aber dermaßen nach. So gut das letzte, songorientierte Equiknoxx-Album war, das hier ist das langersehnte Sequel zu den ersten beiden Alben auf DDS. Next Level, ich wiederhole mich.
Florian AignerBatu ist als Timedance-Kurator und sehr selektiver Produzent längst unfrontbar. Der Schritt zum Albumformat ist im Falle von »Opal« ein dementsprechend wohlüberlegter. Mit gerade einmal einer guten halben Stunde Spielzeit bei 11 Titeln ist »Opal« schon formal kein Album für den Flur, vielmehr fließt hier Batus harsches Sounddesign in eine luzide Sequenzierung, in der dann die drum- und songorientierten Beiträge die Akzente setzen, aber das Narrativ nicht bestimmen. Bestes Objekt-Album seit dem letzten Objekt-Album.
Florian AignerS.O.N.S. hat die künstliche Verknappungsstrategie seiner ersten Releases mittlerweile abgelegt und ermöglicht so auch eine umfassendere Wertschätzung für das ebenfalls brillant arrangierte »The Escape«. Laut Pressetext ist das mal wieder Musik für einen imaginären Film, so weit, so smh. Wie hier aber das repetitive Genie von Pan Sonic auf Carl Craig Arpeggi trifft, Amen Breaks harmoniesüchtigen Deep House durchseuchen und skippende Burialismen klassischen Electro aushebeln, ist schon ganz ganz sauberes Handwerk.
Florian AignerApropos klassischer Electro: Dopplereffekt machen das in der Post-Drexciya-Ära immer noch mit am besten. »Neurotelepathy« erreicht natürlich nicht ganz das Level von Gesamtkunstwerk, aber die gute alte Detroit'sche 808-Formel bleiben einfach die Pizza Margerita der elektronischen Musik.
Florian AignerNach so viel Geballer konkurriert B.C. Slumbers »Slumber Assistant« vor allem mit der narkoleptischen Wirkung von Podcasts und schlägt sich wacker. Schwierig ein so offen funktionales Album nach herkömmlichen Kriterien zu beurteilen, aber man kann sich definitiv läppschere Schlafhilfen suchen.
Florian AignerWill Guthrie klöppelt mit seinem Ensemble Nist-Nah in diese Ruhe rein, Gamelan Freakouts mit der Looseness von Jazz, ein polyrhythmischer Headfuck via Black Truffle, ihr wisst Bescheid.
Florian Aigner Zur ReviewAuch wieder zwingendes gibt es aus Göteborg, natürlich aus dem Umfeld von Förlag For Fri Musik. »Mitt Stora Nu« ist das zweite Album von Treasury Of Puppies, ein selbstbewusster Schritt weg von der murmelnden Introvertiertheit des Debüts, Rotz n Roll Hit inklusive. Dazwischen Lo Fi Folk, eiskalte Synths und skandinavischer Existentialismus.
Florian Aigner Zur ReviewNach so viel hochtrabendem Scheiß noch die volle dadcore Gemütlichkeit. Das neue Kurt Vile-Album hört auf den Namen »(watch my moves)«, enthällt wie immer unprätentiösestes Songwriting und Kurt Vile wirkt - wie bereits von P4K beobachtet - in seiner aktuellen Lou Reed’schen Schnoddrigkeit einfach wie die Dalai-Lama-Version von Bruce Springsteen. Keine Ahnung wie man so vollkommen bei sich ankommen kann, aber wenn ich groß bin, werde ich Kurt Vile.
Florian Aigner