Review Hip-Hop

Tyler, The Creator

Call Me If You Get Lost

Columbia • 2022

Mixtapes – die Playlisten der 2000er. Künstler wie Lil Wayne, Fabolous, Ludacris, Gucci Mane oder The Diplomats erzeugten mit aus dem Ärmel geschüttelten Veröffentlichungen im Monats-, wenn nicht sogar Wochentakt Buzz auf den Straßen. Auch DJ Drama mischte mit, der den Rappern der Stunde auf seinen »Gangsta Grillz«-Tapes eine Plattform bot. Diese Ära des Hip-Hop prägte vermutlich auch Tyler, The Creator nachhaltig. »I want a Gangsta Grillz Tape so fucking bad got damn”, schrieb der 31-Jährige im Juni 2021 auf Twitter, um die Fertigstellung seines sechsten Studioalbums »Call Me If You Get Lost« zu verkünden. DJ Drama erscheint darauf als Host. Der durfte zwar so geistreiche Sätze wie »Welcome to the disco« einsprechen, »Call Me If You Get Lost« besitzt dennoch die Qualität eines Studioalbums. Denn auf hingerotzte B-Ware und Songskizzen mit Freestyle-Charakter verzichtet Tyler. Mixtape scheint er vielmehr als Collage zu verstehen. Synthpop, Boom bap, Jazz oder Soul – Tyler vermengt die Stile. Auf »Lemonhead« verstärken bedrohliche Jeezy-Fanfaren giftige Zeilen, Ty Dolla $ign verwandelt »WUSYANAME« in 90er Kuschel-R’n’B und »Sweet/I Thought You Wanted To Dance« erzeugt Reggae-Atmosphäre mit One-Drop-Beat. Struktur schafft Tyler durch Blöcke. Auf drei Hardcore-Rap-Stücke folgen zwei Neo-Soul-Lieder. Dass er fast alles selbst produziert hat, unterstreicht seine musikalische Evolution seit »Goblin« von 2009. Damals beschränkte sich Tyler, the Creator auf basslastige Beats ohne Schnörkel und Feinschliff. Heute produziert er aus, verpasst den Instrumentalen mehrere Schichten und Abschnitte. »I came a long way from my past«, heißt es in »Manifesto«. Was Tyler auf der Produktionsebene schafft, gelingt ihm auch mit den Texten. Wortverspielt rappt der Odd-Future-Anführer über das, was ihn bewegt. Die gedanklichen Sprünge können in einem Stück immens sein. In einem Moment sinniert er noch über das Christentum innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung und entschuldigt sich im nächsten schon bei Selena Gomez für beleidigende Tweets. »Call Me If You Get Lost« kann alles.