Was wäre Berlin eigentlich ohne Seefeel? Wahrscheinlich das, was dieser Musikdschungel vor Seefeels Erwachen war: Ein reiner Techno-Stomper. Die seit der Jahrtausendwende explodierende Vielfalt zwischen Akustik und Elektronik wäre wohl passé. All die Indie-Kids, die ihre fehlende Spielvirtuosität mittels elektronischer Echtzeit-Prozessierung zur Kunst erhoben? Sie hätten sich eine andere Inspirationsquelle suchen müssen .
Seefeel who?
1993 veröffentlichten Mark Clifford, Sarah Peacock, Daren Seymour und Justin Fletcher ihr erstes Album Quique auf Too Pure – ein luftiges, naives »Shoegazing trifft Pop trifft Ambient«-Werk. Mit der aukeimenden IDM-Szene und einem überzeugtem Dilettantismus wurde das fehlende Können durch technische Effekte überlagert. Seefeel war geboren. Und mit ihnen die erste überzeugende Verbindung von Noise, Indie, Shoegazing, Akustik und Elektronik. Der Nachfolger Succour, 1995 bei Warp erschienen, war dunkler, verstörender an einigen Ecken und tief dem Dub verbunden. Echte Instrumente und elektronische Nachbereitung wurden bis zur Unkenntlichkeit verwischt, die Trennung von Gitarrenmusik und IDM aufgehoben. Damit hatte Warp Records nicht nur ihre erste Gitarrenband. Succour war schlicht Meilenstein der akustisch-elektronischen Musik, die später epidemisch als Electronica im popkulturellen Fundus gehandelt wurde. Und genau an diesem Punkt kam die musikalisch zutiefst konservative Retrowelle des Britpop. Für Seefeel war Britpop das Ende des Optimismus der letzten Jahre, der alle musikalischen Neuausrichtungen im Elektronischen möglich gemacht hatte. 1997 verständigten sich die vier Bandmitglieder auf eine kurze Pause. Es gab zur hiesigen Musikwelt einfach nichts mehr zu sagen. Die Pause sollte 14 Jahre dauern.
Totgesagte usw.*Seefeel klingen frisch und lebendig. Vielleicht weil sie nie richtig beendet hatten, was 1993 begonnen hatte. Vielleicht, weil sie es wirklich schaffen, das überwältigende Gefühl, das Succour 1995 hinterlassen hatte, zu reanimieren und zugleich die aktuelle Klangwelt zu ergreifen.
Warp Records Chef Steve Beckett hat diese Pause wohl nie ganz verwunden. Deshalb bat er 2009 Clifford und Peacock um einen One-Off-Gig auf einer der Warp20-Geburtstagspartys. Die Plätze für Seymour und Fletcher übernahmen Iida Kazuhisa von den Boredomes am Drum und Shigeru Ishihara (DJ Scotch Egg) am Bass. Und plötzlich fielen alle Teile an ihren Platz. Der Dub war durch Dubstep wieder frisch. Postrock hatte Krach salonfähig gemacht. Die Künstlerszene hatte Shoegazing vor Jahren schon zum Happening erklärt. Und die Indie-Kids nannten die elektronische Musik längst ihr zweites Zuhause.
Das selbstbetitelte vierte und seit 14 Jahren erste neue Album ist somit zugleich 100 Prozent und 0 Prozent Seefeel. 100 Prozent Seefeel, weil da noch immer der Dub lauert, überzogen von Klangwalzen und ambienter Entrückung. Weil Clifford noch immer seinem Digitech Whammy WH-1 Pedal vertraut, dessen kleine Fehlfunktion, Harmonien nicht immer originalgetreu abzubilden, er 1994 bereits für Spangle zu lieben wusste. Und dann doch wieder alles anders, weil Clifford und Peacock alles andere wollten, als die letzten 14 Jahre Musikentwicklung in einem lauwarmen Aufguss alter Erinnerungen zu übergehen. Seefeel klingen frisch und lebendig. Vielleicht weil sie nie richtig beendet hatten, was 1993 begonnen hatte. Vielleicht, weil sie es wirklich schaffen, das überwältigende Gefühl, das Succour 1995 hinterlassen hatte, zu reanimieren und zugleich die aktuelle Klangwelt zu ergreifen. Seefeel haben wieder etwas zu erzählen.