So einen Abend wird die Kölner Philharmonie in ihrer 25-jährigen Geschichte noch nicht erlebt haben: Der bekanntlich auf Krawall gebürstete Rapper und Pianist Jason Beck aka »Chilly« Gonzales war zu Gast. Amüsant provokant hatte es sich Gonzales schon im Vorfeld in einem kleinen Videotrailer ( http://youtu.be/90wot25UmTA ) zur Aufgabe gemacht, dem weltbekannten 1974er The Köln Concert des Jazzimprovisators Keith Jarrett durch seinen eigenen Auftritt in der Domstadt den Rang abzulaufen. Trotz der gewohnt verschmitzten Respektlosigkeit des selbsternannten »musical genius« betonte Gonzales jedoch immer wieder seine Ehrfurcht vor dem großen Konzertsaal – einem der modernsten der Welt – und wie geehrt er sich fühlte, vor den 2.000 Anwesenden spielen zu dürfen.
Sein Programm am »New-Years’-Eve-Eve« baute lose auf dem seiner 2006 erschienenen DVD From Major To Minor auf, so dass auch in Köln eine Zuschauerin aus dem Publikum geholt wurde, die Gonzales am Klavier unterstützen durfte, und zu einem anderen Zeitpunkt brachte Gonzo das gesamte Publikum dazu, ihm durch Summen musikalisch unter die Arme zu greifen. Doch das Publikum war nicht seine eigentliche Band: neben einem Drummer begleitete ihn ein fabelhaftes Streich-Quartett. Bei einem Konzert voller Höhepunkte brachte er diese Streicher kurz vor Ende des Abends dazu, den »perfekten Popsong« zu spielen, für den es seiner Meinung nach eine ganz simple Formel gibt: Der Cellist spielt, abwechselnd auf den Noten C und G (aufgrund der eigenen Initialen logischerweise die Lieblingsnoten von »Chilly« Gonzales), Another One Bites The Dust von Queen. Dem füge man per Violine die Strophenmelodie aus Michael Jacksons Billie Jean hinzu. Die zweite Geige spielt unterdessen die Strophe aus der Titelmelodie der TV-Serie Knight Rider, während der erste Geiger auf 2 und 4 das Riff aus Toxic von Britney Spears anstimmt. Den Schlagzeuger wies Gonzales dann noch an, die Drums aus Sunday Bloody Sunday von U2 zu spielen, und das alles gleichzeitig gab dann, untermalt vom Rap von Gonzales, den »perfekten Popsong«.
All You Want To Hear Is The fucking Scorpions?»You invented the prototypical musical genius! You have Brahms, you have Schubert, Beethoven, Wagner, and all you want to hear is the fucking Scorpions?!«
Chilly Gonzales
Diese Demonstration seines Könnens wurde am Ende nur noch von einer unvergesslichen Aktion getoppt, die wirklich seinesgleichen sucht: Gonzales fragte das Publikum, welches Lied er ihnen noch spielen könne, ganz gleich welches, er würde es spielen. Alle schrieen in den Saal, doch das nahm der gewitzte Alleinunterhalter natürlich nur zum Anlass, das deutsche Publikum wieder mit seinen seltsamen musikalischen Vorlieben aufzuziehen. »Scorpions?!«, fragte er entsetzt in den Saal. »You invented the prototypical musical genius! You have Brahms, you have Schubert, Beethoven, Wagner, and all you want to hear is the fucking Scorpions?!« Bei diesem kleinen Monolog lief er bereits die lange Rangtreppe der Philharmonie hinauf, um zu seinem letzten Husarenritt für diesen Abend anzusetzen: »Okay, you wanted Scorpions, so you get them: I’m gonna crowdsurf this audience now, backwards, and while I do this I’m gonna sing ›Rock You Like A Hurricane‹«. Und schon lag Gonzales mit dem Kopf voran mit dem Rücken auf den Händen der schockierten Zuschauer und sang die Hardrock-Hymne, wieder unterstützt von seinen Streichern. Während die von dieser Situation betroffenen Zuschauer nicht wussten, wie ihnen geschah, tobte die Philharmonie: es wurde gekreischt, mitgesungen, die Fäuste geballt und zum Song geschwungen. Manche klatschten auch nur euphorisch. Erst nach der dritten Zugabe, bei der Gonzales noch schnell seine Komposition Gogol aus seinem Meisterwerk Solo Piano zum Besten gab, entließ ihn das Kölner Publikum unter tosendem Applaus und stehenden Ovationen in den wohlverdienten Feierabend. Ob sich sein Köln Concert ebenso gut verkauft wie das von Jarrett sei dahingestellt; das war definitiv ein Abend, den man so schnell nicht vergessen wird.