Speech Debelle – Halb Popstar, halb Rowdy

27.02.2012
Foto:Tilman Junge & Malte Seidel
Sie hatte mit ihrem Debüt vor drei Jahren den Mercury Prize gewonnen. Nun ist Speech Debelle mit einer neuen, musikalisch und textlich reiferen Platte zurückgekehrt, die sie als ernsthafte, innerlich bewegte Künstlerin zeigt.

»Ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin. Wenn ich den Mercury Preis nicht gewonnen hätte, würde mich keiner kennen. Ich würde Platten rausbringen wie hunderte von Rappern in Großbritannien – und keiner würde sie jemals hören«, sagt Speech Debelle. Auch das Rauschen in der englischen Presse nach dem Gewinn des wichtigsten Musikpreises des Landes ist der 28-jährigen egal. The Guardian fragte z.B., ob der Mercury Prize ihre Karriere eher ins Stottern brachte. Unter dem Artikel stellte ein User die These auf, dass Debelle die Chance auf mehr Aufmerksamkeit schlicht und ergreifend verpasst hätte. »Ich habe vermutlich schon viele Dinge in meinem Leben verpasst. Das ist nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Das ist wohl das Leben.« Wie Corynne Elliot das mit einem sympathischen Lachen zu Protokoll gibt, klingt das weit weniger resignierend als sich der Satz vielleicht liest. Überhaupt weiß Speech Debelle, was und wohin sie will. Ihre soeben erschienene zweite Platte konnte sie entspannt angehen. »Du lernst aus der Erfahrung.« Sie hatte daher eine sehr genaue Vorstellung, wie »Freedom Of Speech« klingen sollte. Und ist mit dem Resultat auch mehr als glücklich. War ihr Debüt geprägt von persönlichen Texten, schiebt sich auf dem zweiten Album in manchen Tracks eine politische Dimension ein. Ihren eigentlichen Sound hat sie noch geschärft, hat ihm mehr Kanten gegeben, ohne von den HipHop-Wurzeln abzuweichen. »Blaze Up A Fire« gab schon vor der Veröffentlichung einen guten Eindruck, wie »Freedom Of Speech« in den stärksten Momenten klingen würde. In dem Song heißt es: »Sometimes you need to blaze up a fire./ Let it be known for the record, your honor./ Sometimes need to blaze up a fire/ before the case gets settled, your honor«. »Nimm es wortwörtlich, wenn Du magst«, wirft Speech Debelle ein. »Ich bringe es raus und die Leute nehmen es, wie sie wollen. Es gibt da keine Spielregeln für meine Songs« Gerade mit dem Wissen um die Unruhen im letzten Jahr in London, ist so eine Ansage selbstbewusst. Oder einfach auch ein wenig trotzig. Denn Speech Debelle spricht von ihrer Stadt, deren Einwohner sie verstehen kann. »Ich denke, das musste passieren. Es waren ja nicht die ersten Unruhen in London in dem Jahr, davor waren es die Studenten, die randalierten.«_

»Ich habe vermutlich schon viele Dinge in meinem Leben verpasst. Das ist nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Das ist wohl das Leben.«

Speech Debelle
Auf die Frage nach einer Verantwortung von Musikern für die Gesellschaft sagt sie ohne Zögern: »Nein, wir sind Menschen. Und wenn Du einen Musiker brauchst, der Dir erzählt, was Du zu tun hast, dann lebst Du offenbar nicht das richtige Leben. Ich sollte niemandem erzählen müssen wie er zu leben oder zu denken hat.« Ihre Stimme wird da bestimmend. Es ist aber kein erzieherischer Ansatz, kein moralischer Zeigefinger auf »Freedom Of Speech« zu finden. Dafür fällt auch die Erklärung für den Albentitel zu einfach aus: »Weil es irgendwie ein cooler Titel war. Außerdem mag ich es dabei mit meinem Namen zu spielen.« Immer dort, wo andere ins Statement verfallen würden, bleibt Debelle eben doch dort, wo sie sich am besten auskennt: bei sich selbst, ihren eigenen Empfindungen. Dadurch sind ihre Lyrics auch nie überladen, sondern simpel, klar und ausdrucksstark. Doch als politisches Album sieht sie »Freedom Of Speech« nur teilweise: »Es geht ja auch um Liebe.« Wie in dem Track »Elephant In The Living Room«, den sie vor zwei Jahren in Australien schrieb: »Zuerst habe ich die Streicher und die Drums gehört. Danach bin ich ins Studio: Wir fingen an zu schreiben und die Musik entstehen zu lassen.« Doch weder jetzt noch bei »Speech Therapy« hatte sie Angst, sich durch ihre Offenheit angreifbar zu machen: »Ich bin ja nicht Björk. Wenn ich solche Songs mache, dann bin ich alleine in meinem Schlafzimmer. Das ist was anderes.« Seit knapp zehn Jahren macht Speech Debelle nun Musik – geschrieben hat sie schon immer. Die Entwicklung, die sie seitdem durchgemacht hat, ließ sie zu einer gefestigten Persönlichkeit werden. Ihre liebste Zeile auf der Platte: »I’m not a popstar, I’m a motherfucking thug.« Das meint sie vollkommen ernst. Speech Debelle braucht sich nicht darum zu kümmern, was authentisch ist und was nicht. Sie ist es einfach.

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