DMC World DJ Championships – Here comes the Breaks!

04.10.2013
Vom Vinyl-Scratch zur Digitalisierung. An diesem Wochenende finden in London die DMC World DJ Championships statt. Zum 30. Geburtstag blicken wir auf eine lange Tradition der DJ-Kunst zurück

Als 1985 der Brite Roger Johnson den ersten Titel als »DMC World Champion« nach Hause nahm, galt er noch als derjenige, der den besten Mix verschiedener Tracks lieferte.
Kein Wunder, denn Tony Prince gründete 1983 seinen Disco Mix Club (DMC) als DJ Remix Service. Diese hatten seit 1977 Club-DJs mit für den Dancefloor optimierte Edits bekannter Disco-Songs versorgt. Es ging darum, die besten Häppchen eines Songs zu verlängern, um die Partymeute zum Rocken zu bringen und dort auch zu halten – sozusagen die Industrialisierung dessen, was die Jam-DJs der jungen Hip Hop Bewegung live taten. Von Scratches, Juggles und Bodytricks war da noch keine Rede. Noch nicht, denn nur ein Jahr später veränderte der Amerikaner DJ Cheese das gesamte Spiel und definierte 1986 den ersten Standard für internationale DJ Battles: das Scratchen. Die DJs kämpften sich in der Folge mit immer neueren Innovationen durch die Gegnerschaft. 1987 nutzte Chad Jackson einen Billard-Cue zum Scratchen. DJ-Legende Cash Money drehte erstmals die Plattenspieler um 90 Grad (mit Tonarm nach hinten) und nahm 1988 den Titel mit seinem Transformer Scratch. Ein Jahr später folgte der Brite Cutmaster Swift und setzte mit seinem Copycat den zweiten Standard des DJ Battles: das Beat Juggling. 1990 und 1991 schlussendlich stemmte sich DJ David aus Deutschland auf seinen Plattenteller und ließ sich als lebende Schallplatte mitdrehen: die Bodytricks hielten Einzug. Die Routines (eine selbstkomponierte Abfolge von Techniken – Scratches, Beat Juggling etc. – bei dem die verwendeten Samples in neue Pattern gebracht werden) wurden immer komplexer.

Von der Innovation zur Routine und zurück
Damit waren die Grundlagen für DJ Battles gelegt, die sich auf musikalischer Ebene ab den 1990er Jahren als Turntablism austoben würden. Und eigentlich hat sich seitdem an den Elementen nicht viel geändert. Trotzdem sind selbst Veteranen wie Cash Money und Cutmaster Swift noch immer aktiv und im Geschäft. DJ Shiftee hat nach seiner Krönung zum DMC World Supremacy Champion (1-on-1 DJ Battle) sogar seine Abschluss in Harvard hinter sich gebracht, während DJ-Genie QBert mittlerweile eine Scratch-Akademie betreibt.
Was hält die Wheels of Steel also am Laufen?

DJ Cash Money: Für mich ist es nach wie vor die Musik und die Suche nach den Sachen, die bisher kein DJ gemacht hat.
HI-C, Kireek: Ja, ich finde im Turntablism einfach jedes Mal etwas Neues.
DJ Switch: Ab Tag Eins ging es mir um DJ-Battles – eine Routine zusammen zu setzen und zu performen, also den Teil eines Tracks zu schnappen und ihn live zu etwas komplett neuem zu mixen.
DJ Shiftee: Ich fokussiere mich heutzutage darauf, mich als DJ und Künstler weiterzuentwickeln.
QBert: Man kann das mit einem Kung Fu-Meister oder Jazzmusiker vergleichen. Man möchte immer besser werden und Neues entdecken.

Trotz definierter Techniken gibt es scheinbar ausreichend unbekanntes Terrain zu erobern – in der Breite und Tiefe. Hip Hop in all seinen Elementen ist seit Anbeginn eine Kultur des Samplings. der Wiederverwertung und Dekonstruktion. Damit ist es auch eine Kultur, der unendlich viel Input und Kombinationsmöglichkeiten offenstehen, aus denen komplett Neues entstehen kann. Im Turntablism hat dieses Kollagenkleben sein Paradies gefunden. So verwundert es nicht, dass auch heute die DJ Champions nicht aus der Retorte kommen, sondern komplett unterschiedliche Stile vertreten: Die akademische Klarheit von DJ Shiftee; der dissende Groove von DJ Switch; der experimentierfreudige Humor von Kireek; der professionelle Jazzansatz von QBert; oder die präzise Musikalität der The Mixfitz. Die Finalsets der DMC-Sieger könnten unterschiedlicher nicht sein.

Von Mathematikern und Rampensäuen
Dementsprechend unterschiedlich sind die Ansätze, welche die DJs im Turntablism verfolgen – vom Pragmatiker über den Spirituellen, die Komiker bis zum Mathematiker prägt die Persönlichkeit der DJs die Ergebnisse hinter den Plattentellern.

»Jetzt leben wir in einer Welt, wo technisch gesehen, alles gesagt wurde. Was großartig ist, da es alles in eine stärker musikalische Richtung gedrängt hat und man wirklich neue Musik kreieren möchte.«

DJ Switch
DJ QBert: Ich liebe es, einen guten flow, eine einzigartige Kadenz, eine verrückte Wendung, neue Techniken, süße Melodien oder ein komponiertes Scratch-Pattern zu hören. All diese funky Musiktheorie. Aber es muss auch den spirituellen Aspekt beinhalten, damit die musikalische Ausformulierung eine andere Welt eröffnet – wenn der Scratcher es schafft, seine Cuts um die gerade Linie tanzen zu lassen und mit all den seltsamen Rhythmen abseits der mathematischen Kartierung zu spielen. Kurz, ich mag es, wenn ich die Magie Gottes durch all das fließen höre.
HI-C, Kireek: Also unsere Philosophie ist »das Gesetz von BPM und RPM«. Streng geheim!
DJ Shiftee: Manchmal habe ich eine rein technische Idee, wie ich mit dem Equipment interagieren möchte. Wie zum Beispiel bei meiner Mercy-Routine, die aus Ideen besteht, die mit der genutzten Musik nichts zu tun haben. Also nach dem Konzept: Ich möchte x UND y UND z machen. Egal womit.
DJ Switch: Die meisten meiner Routinen starten bei einem bestimmten Break, den ich irgendwo höre – ein Abschnitt mit einem interessanten Arrangement von Beats und Sounds. Und daraus beschwöre ich dann Ideen, wie ich diese Beats in völlig neue Pattern umsequenzieren kann.
Jack, The Mixfitz: Wenn du eine gute Idee davon hast, welche Tracks du verwenden möchtest, entwickelt sich die Routine von ganz allein. Einige Tracks sagen dir einfach, wo du hin musst.
Cutmaster Swift: Naja, du musst erst einmal die Techniken draufhaben oder es wird eine große Sauerei.
DJ Cash Money: Turntablism ist zwar schön und gut, aber du musst auch die Party rocken können.
Cross, The Mixfitz: Ja, ich denke, das Scratching ist sehr wissenschaftlich und mathematisch geworden. Die Scratches einiger Typen sind echt krank. Aber wahrscheinlich sind sie dafür komplett unfähig, einen Dancefloor zu rocken oder Platten zu mixen.
Damented, The Mixfitz: Ich denke die grundlegende Idee hinter allem ist die Aussage von DJ Babu, das der Turntablist jemand ist, der den Plattenspieler als Instrument verwendet.

Zwischen Vinyl, Nullen und Einsen
Der DJ ist vom reinen »Selector« der richtigen Platten zum Musiker avanciert, der neue Welten erschließt und Musik in Form von Sets und Routines neu komponiert. Das DJing ist dabei in eine Zwickmühle geraten, die ein wenig mehr als ein Generationsproblem zu sein scheint. Mit der Digitalisierung des DJings eröffneten sich zum einen neue musikalische Möglichkeiten. Auch reduzieren sich signifikant die Bandscheibenvorfälle. Gleichzeitig führte es – ähnlich wie in der Musikproduktion – zu einem Verlust der handwerklichen Anforderungen. Wozu an den Plattentellern arbeiten und improvisieren, wenn alle Tracks mit Cue-Points vorbereitet sind und per Knopfdruck angeglichen werden können? Für DJ Cash Money ist die Entscheidung daher klar: »Vinyl ALL DAY LONG! So bin ich halt geworden, was ich bin.« Generell akzeptieren es die DJs aber vielmehr als natürliche Evolution.

Und diese kommt zum einen mit einem Verlust vergangener Werte.
Cutmaster Swift: Ich habe kein Problem mit digital. Meine einzige Kritik besteht im Live-Element, da einige DJs ihre Musik vormanipulieren und -editieren.
Jack, The Mixfitz: Durch das digitale DJing und die CDJs scheint jeder und seine Mutter DJ geworden zu sein. Und ich denke, das hat auch das Interesse an Plattenspielern und insbesondere Turntablism genommen.
DJ Cash Money: Die DJs scheinen heute Computer-Geeks zu sein. Sie schauen nie zum Publikum, nur ständig auf ihre Computer.

Auf der anderen Seite sind die DJs ihrem Traum des Musikers nun näher denn je.
DJ Switch: Jetzt leben wir in einer Welt, wo technisch gesehen, alles gesagt wurde. Was großartig ist, da es alles in eine stärker musikalische Richtung gedrängt hat und man wirklich neue Musik kreieren möchte. Die Battle-Szene reflektiert das sehr gut. Denn durch die Digitalisierung hat jeder DJ jetzt die volle Kontrolle über seine Sounds.
Damented, The Mixfitz: Um ehrlich zu sein, haben digitale Vinylsysteme (wie Serato) der Battle-Szene das Leben gerettet. Vom musikalischen Standpunkt kannst du mit einer regulären Vinylscheibe nur begrenzt agieren. Musik jedoch zu komponieren, neu zu arrangieren und es direkt zurecht zu schneiden, eröffnet komplett neue Möglichkeiten.
DJ Shiftee: Es ist jetzt so verdammt einfach, eigenes Material zu produzieren, während du vorher ausschließlich mit den Platten vorlieb nehmen musstest, die du gerade zur Hand hattest. Das Gefühl von Vinyl ist jedoch unschlagbar.
HI-C, Kireek: Digitale Daten durch eine analoge Platte zu kontrollieren, ist doch eigentlich das Zusammenführen ihrer beiden Stärken, oder? Das Gleichgewicht bestimmt alles um uns. Manchmal verwende ich mein iPhone für Memos und manchmal meinen Stift. Verstehst du?

Letztendlich hört der Battle sowieso nicht bei Technologie und Technik auf, sondern im Kopf. Hier werden Battles gewonnen oder verloren.
Cutmaster Swift: Aus einer Wettbewerbsperspektive würde ich sagen: Wenn du gewinnen willst, stelle dich darauf ein zu verlieren.
DJ QBert: Das erste Mal DMC 1991 verlief für mich folgendermaßen: Anfangs sah ich es einfach als Training, um meine Skills zu verbessern. Mir war egal, ob ich verlieren oder gewinnen würde. Und ich gewann. Dann ging es als USA Champion zu den DMC World Champion Vorausscheid – und ich gewann auch hier. Am nächsten Tag stand ich im Finale. Und meine Einstellung veränderte sich. Ich wurde arrogant und dachte, ich müsste nicht mehr trainieren. Ich hätte das Ding ja schon im Kasten. Ich verlor dieses Jahr und wurde Zweiter. Das hat mich vor allem eines gelehrt: Demut und Respekt vor der Kunst.