Antime Records – Scheitern als Chance

05.06.2014
Von der großen Bühne zurück auf Null: Mit seinem Label Antime möchte der Frittenbude-Gitarrist Martin Steer künstlerische und geografische Grenzen überwinden. Und langsam mausert sich das einstige Netzlabel zum internationalen Netzwerk.

Mit Anfang Zwanzig fuhr Martin Steer hunderte Kilometer, um in den Jugendzentren der Republik vor einem Dutzend Leute zu spielen und danach auf dem Boden zu schlafen. Mittlerweile tritt er auf Festivals vor bis zu 20.000 Menschen auf, große Konzertsäle sind ausverkauft. Trotzdem steht er wieder am Anfang. Nicht etwa mit Frittenbude, die sich von der kleinen bayerischen Elektropunkband zum Chart-Act gemausert haben, sondern mit Antime Records, dem Plattenlabel, das Martin Steer seit nunmehr drei Jahren betreibt.

Ist es nicht frustrierend, wieder von vorne anzufangen? »Nein, das fühlt sich super an! Es ist surreal, mit Frittenbude vor so vielen Leuten zu spielen. Deshalb macht es uns Spaß, ab und an in einem intimen Rahmen aufzutreten«, widerspricht Steer. »Es ist aber natürlich eine Herausforderung, mit eigenen Kräften ein Label aufzubauen«, räumt er ein. Darin aber liegt für ihn der Reiz.

Trial and Error
Angefangen hat alles im Sommer 2011 in Bayern mit einer digitalen Compilation, auf der Tracks von Freunden der aus Geisenhausen stammenden Band versammelt waren. Heute leitet Martin Steer das Plattenlabel im Alleingang von Berlin aus. Unterstützt wird er von seinem Bruder Johann, der sich um das Artwork kümmert und Mitspracherecht in Sachen Labelpolitik hat. Ebenso wie André Wittmann, mit dem Steer bei der Band Pandoras.box experimentellen Indiepop macht und auf dessen Meinung er sehr viel wert legt.

Wittmann war es auch, der dem Plattenlabel seinen Namen verpasste. »Antime lässt sich als ›Anti Me‹ lesen«, erklärt Steer. »Viele der Acts haben wie auch ich selbst keine Lust, immer den leichtesten Weg zu wählen. Oft muss man erst verstehen, was man nicht möchte, um herauszufinden, was man eigentlich will.« Betrachtet er also Scheitern als Chance? »Absolut! Trial and error!«, fasst Steer die Labelphiliosophie zusammen.

»Die Leute, deren Musik wir veröffentlichen, gehen extrem leidenschaftlich an ihre Musik heran. Es geht ihnen nicht um funktionale Clubmusik, sondern darum, sich künstlerisch auszudrücken«

Martin Steer von Antime Records
Leidenschaft und Interaktion
Das ist nicht der alleinige gemeinsame Nenner der Künstler auf Antime. »Die Leute, deren Musik wir veröffentlichen, gehen extrem leidenschaftlich an ihre Musik heran. Es geht ihnen nicht um funktionale Clubmusik, sondern darum, sich künstlerisch auszudrücken«, betont Martin Steer mit Nachdruck. »In musikalischer Hinsicht können wir uns wohl alle auf Namen wie Four Tet und Jon Hopkins einigen, vertrackte Electronica.« Ähnlich wie er haben viele der Acts eigentlich einen Rock-Hintergrund und erkunden nun die Ausdrucksmöglichkeiten der elektronischen Musik. Das eint sie ebenfalls: Die Experimentierfreudigkeit und der Wille, Grenzen zu überwinden.

Die sorgsam kuratierten Labelnights machen da keine Ausnahme. Um klassische Konzerte oder Clubnächte handelt sich weniger, sondern vielmehr um konzeptuelle Happenings, die mit tatkräftiger Unterstützung des Multimedia-Künstlers Marcus Nebe alias Moonray die Grenzen zwischen Live-Gig und DJ-Set ebenso verwischen lassen wie zwischen Konzertraum und begehbarer Installationskunst oder Performenden und Publikum. Letzteres darf schon mal durch Schaumstoffberge toben und mit Kaoss Pads in das musikalische Geschehen eingreifen. »Es soll schon interaktiv sein und wir werden das in Zukunft intensivieren«, verspricht Steer, der die Einzelevents zu einer Reihe ausbauen möchte.

Vom Netzlabel zum Netzwerk
Mittlerweile stehen nach einigen gratis erhältlichen digitalen Releases die ersten Tonträger auch in den Plattenläden: Nach der zweiten Antime-Compilation erschien vor Kurzem das Debütalbum des Österreichers Fontarrian auf Vinyl. Auch digital geht es weiter: Das Roster des Labels ist ausgesprochen Remix-freudig, alle paar Wochen steht eine frische Neubearbeitung im Netz. Resultat einer Labelpolitik, die nicht nur Musik, sondern auch die Menschen dahinter zusammenbringen möchte. »Es ist toll, wenn sich die Leute gegenseitig inspirieren und neue Verbindungen entstehen.«

Das ist Martin Steer sowieso wichtig. Obwohl sein Frittenbude-Kollege Jakob Hägslberger unter dem Pseudonym Kalipo bei Antime veröffentlichen wird und Steer selbst als Midimúm auf dem eigenen Imprint debütiert: Antime soll nicht im eigenen Saft braten. »Seit dem Release der Fontarrian LP bekommen wir E-Mails aus der ganzen Welt, aus Istanbul oder sogar Brasilien und Japan«, berichtet er. Einige der Acts werden auf der kommenden dritten Antime-Compilation zu hören sein. Aus dem ehemaligen Netzlabel ist ein kreatives Netzwerk geworden, eine von Passion befeuerte Vision. Die von guter, eigenwilliger Musik, die sich über musikalische Grenzen ebenso wie über geografische hinwegsetzt.