Begriffe und deren Bedeutung machen über die Jahre eine lange Reise. Ambient ist so ein Begriff. Heute steht Ambient zuerst für Chillout, für das Runterkommen nach einer durchravten Nacht, für Esoterik, für Rausch, für Bewusstseinserweiterung. Dabei meinte Brian Eno das 1978 mit seinem Werk »Ambient 1: Music For Airports« gar nicht so. Und eigentlich geht es noch viel weiter zurück – weit vor die Entdeckung der elektronischen Musik.
Und damals gab es etwas andere Prioritäten.
Genau genommen könnte man bis in die Antike zurück gehen, als große Feierlichkeiten nicht nur mit kulinarischem Exzess und Feder einhergingen, sondern auch mit einer sanft dudelnden Leier. Für die massentaugliche Anwendung reicht jedoch vorerst der Schritt in das Jahr 1922. Da entwickelte der US-amerikanische Radioingenieur George Owen Squier ein System, über das Kunden non stop mit Musik über Kabel beliefert werden konnten. Dafür liefen in einem zentralen Studio mehrere sequentiell angeordnete Plattenspieler, die täglich rund 18 Stunden ohne Pause Musik abspielten. Bevor der DJ überhaupt erdacht wurde, hatte ihn George Owen Squier bereits automatisiert. Die Kabelverbindung erlaubte zum einen eine hohe Klangqualität (im Vergleich zum Antennenradio), zum anderen aber auch eine kundenspezifische Musikverteilung. Und diese Kunden waren anfänglich vor allem Lebensmittelgeschäfte, die so ihren Besuchern mit einer Mischung aus Angebotsansagen und einlullender Musik den Einkauf versüßen wollten. Viel geändert hat sich daran bis heute nichts.
In den 1940er Jahren weitete Squiers Firma, die mittlerweile genredefinierend »Muzak« hieß, sein Portfolio auf Fabriken und Büros aus. Dort liefen nach dem Prinzip der Stimulus Progression 15-minütige Musikblöcke, die sich von Anfang bis Ende in Geschwindigkeit, Dynamik und Lautstärke steigerten. Den Lebensmittelgeschäften und Arbeitgebern ging es damals keinesfalls um Bewusstseinserweiterung. Es ging knallhart um die Steigerung des Umsatzes und der Produktivität.
To Be Heard But Not To Be Listened To
Muzak lieferte damit den Prototyp für Ambient, wie ihn auch Brian Eno verstanden hat und Medien- und Kommunikationsprofessor David Hendy in seinem Buch »Noise – A Human History Of Sound & Listening« formulierte: Ambient, das ist »sound that was to be heard but not listened to«. In der Regel spricht man heute von Fahrstuhlmusik, Furniture Music (ein bereits 1917 von Erik Satie geprägter Begriff) oder einfach von Hintergrundmusik.
Brian Eno knüpfte Mitte der 1970er Jahre an diese Tradition der Hintergrundmusik an, dachte das Konzept aber zugleich neu. Während sein Album »Discreet Music« von 1975 noch um eine rein technologische Problemstellung kreiste, stellte Brian Eno 1978 mit seiner vierteiligen »Ambient«-Serie erstmals ein ganzheitliches Konzept für seine weiterentwickelte Muzak vor. Anstelle der Steigerung des Bruttosozialprodukts positionierte er seinen Ambient als architektonische Konzeptmusik, die bestimmte Situationen in öffentlichen Räumen begleiten und entschärfen sollte. Brian Eno tauschte die profitorientierte Instrumentalisierung von Klang gegen die Bedürfnisse des Hörers. Auf dem Weg zum Hedonismus-Ambient der 1990er Jahre entriss er der Muzak ihre kapitalistischen Wurzeln und setzte an deren Stelle vorerst das Allgemeinwohl.Mit seiner vierteiligen »Ambient«-Serie stellte Brian Eno 1978 erstmals ein ganzheitliches Konzept für eine weiterentwickelte Muzak vor.
Inspiration: Flughafen Köln-Bonn
Ausschlaggebend für das Konzept war ein Aufenthalt von Brian Eno auf dem Flughafen Köln-Bonn an einem Sonntagmorgen Mitte der 1970er Jahre. »Das Licht war wunderschön. Alles war wunderschön, bis auf diese schreckliche Musik, die sie spielten«, erinnert sich Brian Eno später in einem Interview. »Da werden Millionen von Dollar für die Architektur eines Flughafens ausgegeben. Aber wenn es um die Musik geht, die dann den ganzen Raum erfüllt, bricht es sich auf den einen Typen runter, der eine Kassette mit seiner Lieblingsmusik einlegt.«
Für Brian Eno war es die unpassendste und verlogenste Musik, die man im Anbetracht der Anspannung des bevorstehenden Fluges spielen konnte. »Wenn man auf einen Flughafen kam, spielten sie immer diese glückliche Musik, die einem sagte: Sie werden nicht sterben.« Brian Eno dagegen war an dieser Verblendung nicht interessiert. Ihm ging es nicht um die Muzak’sche Stimulierung, sondern um ein buddhistisches Entleeren von allen Erwartungen und Bedürfnissen. Er wollte Kontemplation. »Ich dachte, es wäre viel besser, wenn man Musik spielt, die einem sagt: Naja, wenn du stirbst, ist das nicht weiter schlimm.«