Aigners Inventur – April 2015

06.05.2015
Auch in diesem Monat setzt sich unser Kolumnist vom Dienst wieder kritisch mit der Release-Flut auseinander, selektiert, lobt und tadelt. Any given month. Dieses Mal u.a. unter der Lupe: Raekwon, James Pants, Twit One und Shlohmo.
Tyler The Creator
Cherry Bomb
Sony • 2015 • ab 12.99€
Sympathie ist ein seltsames Konzept in einem Genre, in dem es erfahrungsgemäß besser ist, seine vermeintlichen Helden nicht persönlich kennenzulernen. Ich habe Tyler The Creator nie getroffen, seine Tweetorgien verfolge ich so aufmerksam wie die Biathlonszene und seinen Texten Post-Yonkers habe ich so verinnerlicht wie eine Staubsaugergebrauchsanweisung, und dennoch: ich mag diesen jungen Herren einfach nicht (mehr). Alles was er auf »Cherry Bomb« tut, löst in mir soviel Anerkennung aus wie diese furchtbaren Wichtigtuer, die im Proseminar saßen und Snickers snackend alle 10 Minuten »Walter Benjamin« oder »Nietzsche« ins Plenum grunzten. Da hilft es auch nicht, dass Tyler N.E.R.D.s »In Search Of« als Hauptinspirationsquelle hierfür genannt hat. Schließlich war das auch einer der wenigen Momente, in denen man die Neptunes unsympathisch finden musste.

Warum ich mir Young Thugs exaltierten Wahnsinn hingegen bereitwillig anhöre und nicht bei jeder Gelegenheit ächze, dass der regenbogenfarbene uneheliche Sohn von Weezy und Future all das ist, was man als Kendrickianer am Spiel verachten kann, weiß ich selbst nicht. Fest steht aber, dass auch der Thugger sich mit dem Albumformat nicht unbedingt einen Gefallen getan hat. »Barter 6« ist wieder eines dieser Post-Post-Post-Rap-Alben, aus dem man sich 20 Minuten fürs iPhone zusammenschustert und den Rest sofort wieder vergessen hat. Was hier allerdings völlig in Ordnung ist, weil genau jene künstlerische Selbstüberschätzung, die Tyler the Creator mittlerweile zu einem solch schwierigen Fall macht, in der durch »Worldstar« und »Audiomack« geprägten Welt von Young Thug keine Rolle spielen.

Raekwon
F.I.L.A. (Fly International Luxurious Art)
RSK Entertainment • 2015 • ab 24.99€
Zurück zum Sympathie-Motiv: vermutlich ist der Wu-Tang Clan der einzige Seniorenclub neben den Spurs, bei dem man alle paar Jahre einen neuen Liebling findet. Nach der ersten Klassikerphase, also nach Ghostface‘ »Ironman« oder vielleicht auch »Forever« , war RZAs Übermacht in der Clan-Hierarchie derart zementiert, dass man nie gedacht hätte, das Kreativgenie 2015 als mediokren B-Listen-Hollywood-Sountracker in der Spaßbremsenecke versauern zu lassen. Eben so wenig hätte man erwartet, sich bei jedem neuen GZA-Vers unmittelbar zu fragen, ob dessen desinteressiert holpriger Flow nur dem Valium oder doch den Spätfolgen eines Schlaganfalls geschuldet ist. Ähnliche Sympathieverläufe ließen sich auch für Method Man oder Deck konstruieren, die einzigen, die immer noch da sind und selten nerven, heißen Ghostface Killah und Raekwon. Gut, wer früher ein Wu-Tang-Emblem auf der Heckscheibe seines Opel Corsas platziert hatte, wird sich schwer tun mit den Features von A$AP Rocky und French Montana auf »F.I.L.A«. Ich bin hingegen wirklich erfreut, dass Raekwons neue Scheibe einen wirklich tragbaren Kompromiss zwischen Shaolin-Dogmen und Instragram-Eitelkeit gefunden hat.

Ludacris
Ludaversal
Def Jam • 2015 • ab 6.60€
Was ich mit einem neuen Album von Ludacris machen soll, ist hingegen schwieriger zu beantworten. Viel falsch gemacht hat Luda ja eigentlich nicht, schwindlig rappen kann er dich immer noch, ohne Dehnübungen und mit Sandmännchen in den faltiger gewordenen Lidern. Aber irgendwann war da einfach die Luft raus. Das obligatorische Flex-Intro kommentiert man heute nur noch maximalst undankbar mit einem Schulterzucken und »Ludaversal« verschwindet, obwohl es – nochmals betont – wirklich wenig verkehrt macht, im hintersten iTunes-Ordner.

Wale
Album About Nothing
Atlantic • 2015 • ab 21.24€
Warum ich Wale so unsympathisch finde, habe ich immer noch nicht herausgefunden, versucht er mich zumindest mit Seinfeld-Referenzen im Titel doch dort abzuholen, wo man mich immer kriegen kann. Wobei sich der Memphis Bleek der 10er-Jahre auch nicht unbedingt einen Gefallen mit der Sequenzierung beim »Album About Nothing« tut. Da stellt er sich zu Beginn ins Schaufenster mit Nas-Pose und endet dann am Ende ekelig verschwitzt zwischen Usher und Jeremih, ein Verlauf, der sogar für J. Cole noch tragisch gewesen wäre.

Alchemist & Oh No
Welcome To Los Santos
Mass Appeal • 2015 • ab 38.99€
Alchemist & Oh No präsentieren…“ ist eigentlich schon mal ein Satzanfang mit dem ich gut leben kann. Mit GTA-Exklusiv-Material ebenso. »Welcome To Los Santos« ist dann genau so übergeschnappt wie man das in diesem Kontext erwarten würde. Da rappt auf einmal Earl Sweatshirt neben Future Islands her, Phantogram werden vom Vybz Kartell von der Bühne geschubst und E-40 macht Sachen mit Dâm-Funk und ja, Ariel Pink. Geil ist das nicht unbedingt immer, aber kurzweilig.

Twit One
The Sit-In HHV Tea-In Bundle
Melting Pot Music • 2015 • ab 17.99€
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Solche hektischen Kamellen kommen Twit One auf seinem „Yogalbum“ freilich nicht in den Sinn. »The Sit-In« ist ein im besten Sinne tiefentspanntes Beattape, für das Samples wichtiger sind als Drums. Das kennt man so natürlich auch vom Beat Konducta. Aber alleine, dass wir hier einen Ortsansässigen haben, der im Bombshelter notfalls die Urlaubsvertretung für Otis Jackson Jr. übernehmen könnte, ist doch was.

Shlohmo
Dark Red
True Panther • 2015 • ab 30.99€
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Kollege Kristoffer Cornils sprach neulich bereits davon, dass »Dark Red« in erster Linie verdeutlicht, dass Shlohmo ausgeshlohmot wurde. Und genau das ist das Problem: Seine Epigonen sind in der Tat besser geworden als das Original. Kein Wunder, dass er sich auf dem neuen Album demonstrativ depressiv gibt, ohne mich wirklich zu erreichen. Schade, den fand ich doch immer so sympathisch.

Vielleicht das beste Beispiel für obigen Umstand: Samo Sound Boy faselt in den Promointerviews zu »Begging Please« etwas von Marvin Gaye, End Credits und Trennungsschmerz, hantiert freizügig mit warmen Vocalsamples über seltsam artifizielle Bedroom-Beats und dabei raus kommt was? Ja, das eigentliche neue Shlohmo-Album. Die Welt ist ungerecht.

Ich weiß nicht, weshalb ich mir das angetan habe, aber so ein wenig packt mich ja doch immer der Ehrgeiz, in diesem dampfenden PC Music Haufen irgendetwas zu finden, was die Cutting Edge Bonners von Fact bis Dummy in diese, überzuckerten Kirmes-Pop für Candy Crush Addicts Auswurf zu sehen scheinen. Sagen wir es so: ich bereue jede einzelne der knapp 40 Minuten dieser Compilation und fühle mich endlich alt.

Blur
The Magic Whip
Parlophone • 2015 • ab 49.99€
So alt dann doch wieder nicht, dass ich mir die neue LP von Blur angehört habe und solche großväterlichen Sätze von mir geben kann wie »die waren halt irgendwie schon immer die nettesten von der Insel« und »Damon Albarn wäre bestimmt ein okayer Kegelpartner«. Dann fantasiere ich mir noch einige David Byrne Referenzen zusammen und schon finde ich, dass »The Magic Whip« viel unpeinlicher geworden ist, als man das vielleicht hätte befürchten können.

Godspeed You Black Emperor!
Asunder, Sweet & Other Distress
Constellation • 2015 • ab 24.99€
Weil der Candy Crash Rausch aber auch irgendwann vorüber ist, erde ich mich anschließend mit neuem Godspeed! You Black Emperor Material. Das ist wie immer wunderbar in sich gekehrt, latent misanthropisch und sowieso schon immer die testosterongetränkte Alternative zu Sigur Rós gewesen. »Asunder, Sweet & Otther Distress« nennt die Band das, ein äußerst – genau – sympathischer Titel, wie ich finde.

Godspeed You Black Emperor!
Asunder, Sweet & Other Distress
Constellation • 2015 • ab 24.99€
Drew Lustman hört einfach nicht auf. Ob er sein Falty DL Alias für sein nächstes Album auf Planet µ nur vorübergehen beerdigt hat, um Sättigungsgenöle zu vermeiden, ist unklar. Ich komme aber auch nicht umhin zu sagen: Es reicht jetzt mal für ein paar Monate. Nicht dass »The Crystal Cowboy« schlecht wäre, sooooo bahnbrechend anders als seine vorherigen Jungle und Breakbeat-lastigeren Eskapaden ist das aber dann doch nicht geworden. Eigentlich schade, weil mir gerade dieser Hirnfick-Ambient seiner letzten Platte wesentlich besser gefallen hat als noch so eine Autechre auf Crack-Platte wie diese hier.

George Fitzgerald
Fading Love
Domino • 2015 • ab 25.99€
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Elegant gelöst hat George Fitzgerald die ewige Reifeprüfung verdienter Clubproduzenten: Sein erstes Album schafft den Spagat zwischen Bassdrum-Verbundenheit und Album-Allüren, in dem es die ohnehin schon häufig fragilen Momente aus George Fitzgeralds zu Popsongs verdichtet. Das hätte schief gehen können, wirkt hier aber tatsächlich natürlich gereift. Gern dann aber bald wieder mehr Munition auf Man Make Music, Georgie.

Fort Romeau
Insides
Ghostly International • 2015 • ab 28.99€
Ein Album weiter ist Fort Romeau, der auf seinem Zweitling auf Ghostly International immer noch seiner Vorliebe für eleganten Synths und sich langsam entwickelnden House-Operetten frönt. Manchmal erinnert das in seiner Poppigkeit an Lusine, dann wieder eher an die weit ausgestreckten Arme eines John Talabot. Referenzen auf die »Insides« durchaus stolz sein darf.

Glenn Astro
Throwback
Tartelet • 2015 • ab 22.99€
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Referenzen sind ein gutes Stichwort für Glenn Astro. Wie seine Busenfreunde Max Graef und Damiano von Erckert bedient sich der Essener nicht nur geschmackssicher beim Detroiter Samplehouse, auch die goldene 5 Boroughs-Ära wird schlüssig in eine Ruhrpott-B-Boy-Stance assimiliert, die nie hängengeblieben, sondern eher würdevoll wirkt. Natürlich weiß »Throwback« auch, dass Jazz der Teacher ist, man Babies am besten zu Soulmusik zeugen sollte und man am Baggersee auch mal den Bossa ins Ruhrgebiert importieren kann. Manchmal ist mir das eine spur zu musikalisch korrekt, aber das ist wieder ein völlig unnötiger – pardon – unsympathischer Kritikpunkt meinerseits.

James Pants
Savage
Stones Throw • 2015 • ab 20.99€
Kommen wir zum Sympathikus des Monats. Übereinstimmenden Zeugenberichten zufolge ist James Pants auch privat ungefährt der tollste Mensch der Welt. Live sowieso. Was bisher fehlte war ein Album, das diese Tollheit wirklich komprimieren konnte. Jedes James Pants Album hat Momente, in denen man denkt, dass dieser sarkastische US-Import größer sein sollte als Radiohead und Animal Collective zusammen, aber dann geht wieder der Schalk mit ihm durch und eine brillante Skizze kippt ins fast persiflagenhafte. Das ist auch auf »Savage« mitunter noch der Fall. Aber wir sind jetzt glaube ich immerhin schon bei 80% Potentialausschöpfung angekommen – ein Prozentsatz also, der endlich mal nicht mit Mario Götze in Verbindung gebracht werden muss. Womit ich meinen hastigen Abgang zum Champions League Halbfinale mal wieder hemdsärmelig dusselig vorbereitet hätte.