Motrip – Kein Hypebeast

28.07.2015
Foto:Vitali Gelwich / © Universal Music
Langsam aber stetig schiebt sich Motrip auf den Deutschrap-Olymp. Sein neueste Werk »Mama« zeigt, er ist dort völlig zu recht. Ein Interview über Hypes, Bescheidenheit, Möglichkeiten der Selbsttherapie und auch über traumatische Erlebnisse.

Motrip ist einer von den Guten. Für ihn zählt Musik noch mehr als Marketing. Er hat eine große Liebe fürs Ding und für seine Mitmenschen. Er besitzt eine einmalige Stimme, ein herausragendes Rap-Talent, ein vielschichtiges Songwriting und, was noch viel wichtiger ist, eine Message. Dazu kommt, als wäre all das noch nicht genug, auch noch ein grundlegend authentisches und bescheidenes Auftreten. Zusammenarbeiten mit Kool Savas Samy Deluxe Sido, Fler, Silla und JokA sowie sein Debütalbum »Embryo« im Jahr 2013 katapultierten den Rapper mit libanesischen Wurzeln direkt ins Zentrum der deutschen Rap-Szene. Die letzten zwei Jahre war es etwas stiller um ihn geworden, doch zu Beginn des Sommers 2015 meldete er sich mit seinem zweiten Album »Mama« zurück – etwas weniger laut, als man nach den Anfangserfolgen vielleicht vermuten konnte: keine Show, keine musikalischen Mätzchen, nur Rap, so wie er ihn in seinen ersten Tagen gemacht hat, ohne zu viel nachzudenken, ohne Pop-Kalkül, ohne große Promophase. Einfach Motrip.

Eines fällt bei deinem neuen Album sofort auf: Du verzichtest auf Trap. War das eine bewusste Entscheidung, wo der Sound doch allgegenwärtig ist in der Szene?
Motrip: Ja schon, allerdings nicht in dem Sinne von »ich mache auf gar keinen Fall Trap, das steht auf einem Board und da gucke ich jeden Tag drauf«, sondern ich kann halt nicht aus mir heraus. Ich habe wirklich gar nichts gegen Trap. Es gibt guten Trap, das muss man einfach sagen. Und es gibt schlechten (grinst). Es gibt in meinen Augen einen Song, der so ein bisschen in die Richtung geht, auf der »Alien«-EP. Ich will damit nur sagen, privat höre ich auch ein paar Dinger, affin bin ich schon irgendwo, aber ich finde es lächerlich eins zu eins etwas nachzumachen, was uns ein paar Leute vormachen. Und das ist passiert. Und das kritisiere ich dann auch, wenn ich sage: »Alle sind auf Trap, ich bin aufm Trip«. Ich bin auf meinem eigenen Trip.

»Schreiben ist für mich eine Art Therapie. Es hilft mir, mich selbst zu erkennen.«

Motrip
In dem Song »Hype« kritisierst du die heutige Hypekultur der Rap-Szene, die ja auch ziemlich stark mit der Hipster-Kultur einhergeht. Stichwort: »Hypebeast« Entweder etwas ist völlig wahllos das Beste der Welt oder man spricht nicht drüber. Eine differenzierte Auseinandersetzung findet kaum statt. Das heißt natürlich, dass Künstler, wenn sie mit Musik Erfolg haben wollen, einen Hype kreieren müssen oder darauf mitreiten müssen, oder?
Motrip: Ja, kann schon sein, das es so ist. Wir sind auf keinen Fall frei davon. Ich kritisiere in dem Song ja auch eher, dass es bei mir selber so ist. Ich kam ins Game damals, es war ein Hype, alle haben es gefeiert, man kann es quasi selber steuern. Das ist ja das Traurige: Man kann mit ein paar Bildern oder ein paar Sprüchen dafür sorgen, dass sich dann alles um dich dreht. Das kritisiere ich eigentlich: wie leicht es ist, einen Hype zu entfachen. Das ist natürlich aufs Game bezogen gewesen. Bei Hipstern ist das wirklich etwas, das ich scharf kritisiere. Es wird sich mit nichts mehr auseinander gesetzt. Es ist entweder gut oder scheiße. Und vor allem – das ist aber natürlich komplett subjektiv – hypen die vor allen Dingen nur Scheiße (Gelächter), wo sie wissen, okay, das werden nur wir hypen, das wird kein anderer wollen. Nee, da bin ich kein Fan von.

Ich muss zugeben, ich verstehe das David-gegen-Goliath-Ding auf »Mama« nicht so richtig. Wie passt diese Inszenierung damit zusammen, dass du bei Kritikern, Rapper-Kollegen und zum Beispiel auf dem Splash!-Zeltplatz schon seit Jahren Everybodys Darling bist?
Motrip: Es ist einfach kein Hebel, den ich umschalten kann. Ich war schon immer so. Mein Bruder hat mir schon in der Jugendzeit gesagt, dass ich mich selber viel zu wenig abfeiere. Keine Ahnung, wir sind auch so erzogen worden. Ich bin nicht so, dass ich mit meiner Musik rumlaufe und sage: »Boah, hier, guck mal«. Das ist einfach keine falsche, sondern echte Bescheidenheit. Das hat mein Vater mir so beigebracht und das finde ich auch gut. Es ist doch auch schön, eher nichts zu sagen, und dann zu überraschen, als sich selbst immer als den Krassesten zu verkaufen und dann nur Durchschnitt zu sein. Mein ernstes Gefühl ist immer – und auch mein ehrliches Gefühl –, ich muss mich erst beweisen und ich muss mir das erarbeiten.

Auch in dem Song »Malcolm mittendrin«, wo du zum Beispiel über hochbegabte Außenseiter sprichst, schwebt das Thema Einsamkeit über allem. Wie kommt es dazu?
Motrip: Das bin auch ein bisschen ich. Die Hook »Du kannst die Welt nicht alleine bewegen« … Anders: Ich hatte einfach Hooks auf dem Album, da ging es um gar nichts mehr, um nichts. Wenn ich dann aber die Nachrichten schaue, mit meiner Familie über Angehörige im Libanon spreche oder einfach die Probleme auf der Welt sehe, dann wird es schwer so zu tun als wäre nichts. Es wird dann schwer, sich davon frei zu machen, das fließt dann immer mit ein. Auch wenn es für andere Lappalien sind. Wenn ein Junge in der Schule gehänselt wird, finde ich das unheimlich traurig. Ich war nie ein Außenseiter in der Schule, aber ich kann das ziemlich gut nachvollziehen. Und ich sehe das auch auf Konzerten und bei ein paar Menschen in meinem Umfeld, denen das aus der Seele spricht. Ich finde, da muss einfach auch mal eine Lanze gebrochen werden. Das sind einfach Sachen, die mich bewegen.

Du verwendest die zweite Person, also die Du-Perspektive, in deinen Texten deutlich mehr als deine Rap-Kollegen. Wenn man da literaturwissenschaftlich herangeht, kann das zwei Gründe haben: Entweder du möchtest die Schwachen und Außenseiter, um dies es in diesen Songs geht, direkt ansprechen oder aber das ist eine Vermeidungsstrategie, um nicht »Ich« sagen zu müssen und somit nicht zu persönlich zu werden. Was ist bei dir der Grund für die Du-Perspektive?
Motrip: Die Intention ist ehrlich gesagt nicht, weil ich sonst zu viel von mir selbst preisgebe. Ich habe ja auch Songs wie »Mama« oder »Embryo«. Ich nehme Gott sei Dank, oder leider, ich weiß es nicht, kein Blatt vor den Mund. Es geht mir schon eher darum, den Leuten zu zeigen: es geht mir wirklich um euch. Nicht nur ich muss in dieser Situation sein. Es gibt da draußen vielleicht Menschen, die das abholen kann. Das ist es eigentlich. Aber ich merke das meistens immer erst danach, glaube es mir oder nicht, ich schreibe das und merke dann erst, dass ich mich meine, obwohl ich »du« sage. Das klingt lapidar, aber das ist Therapie. Du merkst danach einfach, was dich beschäftigt. Das ist wie Tagebuch schreiben, was ja auch eine Art Therapie ist. Schreiben ist für mich eine Art Therapie. Es hilft mir, mich selbst zu erkennen.

»Ich glaube, es wäre mehr gegangen, aber Mathe und ich, das ist eher eine traumatische Erinnerung. Meine Rache ist: Ich nehme Worte und presse sie in mathematische Formen.«

Motrip
Für meine nächste Frage muss ich die Juice-Review zu »Mama« zitieren: »Motrip schafft es inhaltliche Tiefe mit musikalischer Eingängigkeit und technischem Know-how zu kombinieren, und dadurch Mainstream-Kunden wie Rap-Nerds gleichermaßen zu begeistern. […] Er hievt sich damit endgültig auf das unpeinliche Poplevel hiesiger Ausnahmekünstler wie Casper und Marteria.« Klingt gut oder? Aber ich gehe einfach mal davon aus, dass du das für dich gar nicht so siehst, zumal du ja das »Pop-Album« noch in der Schublade hast, richtig?
Motrip:* Ja, das stimmt, wenn man es so nennen darf, also das mir peinliche Album, das stimmt. Man muss aber dazu sagen, ich werde seit »Embryo« und meinen ersten Features schon – obwohl, ich müsste mal mit Kollegen darüber sprechen, ich weiß nicht, ob das alle so hören – aber ich werde erschreckend oft angesprochen mit: »Ich höre eigentlich überhaupt keinen Rap, aber dein Album liebe ich.« Das höre ich wirklich auffallend oft, deswegen kann ich das irgendwo unterschreiben, was da steht. Zum Beispiel der Vater meiner Frau, der hört nicht so was in der Art, und der hat das gehört und an seinen Fragen und an seinem Feedback habe ich erkannt, dass er sich wirklich damit auseinandergesetzt und ihm das gefallen hat, und er vielleicht auch überrascht war, was da vielleicht alles drauf ist. Keine Ahnung. Das Bild »Kanacke mit Grips« passt einfach. Ich werde schon immer unterschätzt wegen meines Aussehens, also die typischen Marteria- oder Casper-Fans würden mich aufgrund meines Aussehens vielleicht nicht hören, aber dann würden sie doch ein paar Songs finden, die ihnen gefallen. Ich glaube, das meinte die Juice. Das würde ich schon unterschreiben. Mein Anspruch ist es aber auf keinen Fall mehr, irgendwem zu gefallen, wirklich.

Kannst du bitte mal aufklären, was es mit deiner Mathe-Fixierung auf sich hat? Auf dem ersten Album musste die Mathematik schon häufig als Sinnbild herhalten und nun auch noch ein ganzer Song mit dem Titel.
Motrip: Das sind traumatische Erlebnisse, die da verarbeitet werden, solange ich zurückdenken kann. Ich hatte zum letzten Mal, lass mich mal überlegen, in der 8. Klasse auf dem Zeugnis in Mathe keine 5. Und glaub mir, ich kann rechnen, ich kann im Kopf sehr gut mit Zahlen umgehen, aber die Formeln mit x ist minus mal Quadrat mal gleich plus … Alter! Ich glaube sogar mir anmaßen zu können, zu sagen, wenn ich mich damit auseinander gesetzt hätte, hätte ich es glaube ich auch verstanden. Ich war auch nicht der allerfleißigste Schüler bzw. ich war auch in Mathe mit Worten beschäftigt. Ich war immer mit Worten beschäftigt, auch in Sport und in Kunst. Also, ich habe sehr früh meine Leidenschaft gepflegt, und ich habe tatsächlich, wie in so einem Eminem-Film, mit meinem Block in der Schule Lines geschrieben. Ich glaube, es wäre mehr gegangen, aber Mathe und ich, das ist eher eine traumatische Erinnerung. Meine Rache ist: Ich nehme Worte und presse sie in mathematische Formen.