Deutschland 2016. Georg Kammerer hat erst kürzlich treffend beschrieben wie schlecht es um die deutsche Comedy steht. Nun lässt sich Humoristisches glücklicherweise nicht nur im offiziellen deutschen Quatschgewerbe finden, sondern auch anderswo. Jene, die natürlich wissen, dass Louis C.K. es immer besser macht als seine deutschen KollegInnen, lassen Dieter Nuhr oder »heute-Show« getrost links liegen. Und verlassen sich stattdessen: auf die deutsche Rapszene.
Obwohl Humor schon immer ein wichtiges Stilmittel im Hip Hop grundsätzlich, und speziell im Rap war, zeichnet sich dort besonders in den letzten Jahren ein Trend zum Komischen ab. Das liegt zunächst an der Beschaffenheit des Genres selbst, das sich mit komischen Konzepten eine entscheidende Gemeinsamkeit teilt: Beide leben davon, dass sie überzeichnen, reduzieren und typisieren.
Witze leben von der Überzeichnung der komischen Objekte, auf die sie abzielen – RapperInnen von der Überstilisierung ihrer Kunstfiguren. Kein anderes musikalisches Genre bringt von vornherein soviel komisches Potential mit sich und ist fernab seiner eigentlichen Kunst (der Musik) so unterhaltsam.
In einem Kosmos bestehend aus kuriosen Kunstfiguren, die provozieren, allerhand Unfug treiben und permanent aufeinander prallen, muss notwendigerweise Komisches entstehen. So verfolgen Tausende gebannt »epische« Interviews auf YouTube oder Social-Media-Klamotten wie kürzlich die um Fler und Kollegah am Berliner Alexanderplatz.
Humor ergibt sich vor allem durch die Interaktion der Rapper untereinander, dem Online-Publikum und dessen Kommentarkultur. Komische Potentiale und die erhöhte Aufnahmebereitschaft der Konsumenten, die sich dadurch generieren lässt, haben Rapper und die Strippenzieher im Hintergrund natürlich längst erkannt und forcieren sie gezielt.
So kommt keine großangelegte Promo-Phase mehr ohne Humor aus, auch wenn das Beworbene schließlich deutlich unkomischer ausfällt als seine Reklame. Eine Media-Markt-Werbung kann schließlich so witzig sein wie sie will, der Toaster, den man letztlich deswegen kauft, ist es nicht. Und so ist es eben auch bei Kollegah.
Natürlich findet man Witziges in der deutschen Rapszene auch außerhalb der bloßen Interaktion. Auch auf Textebene begegnet man vermehrt bewusst gemachter Komik. Oder wenigstens der Intention, komisch sein zu wollen. So gab es in Reminiszenz an die frühen 00er Jahre wieder vermehrt Scherzkapellen wie die Orsens, Trailerpark und dergleichen.
Es gab Xatar Zugezogen Maskulin Fatoni und Dexters »Yo, Picasso«. Audio88 und Yassin haben sich mit »Normaler Samt« endgültig aus ihrer depressiven Lethargie erhoben und zu ihrem Humor gefunden. ###CITI: »Eine Media-Markt-Werbung kann schließlich so witzig sein wie sie will, der Toaster, den man letztlich deswegen kauft, ist es nicht. Und so ist es eben auch bei Kollegah.«:### Auch die deutsch-österreichischen Cloud-, Trap-, SwagrapperInnen um LGoony Hayiti, Crack Ignaz und den »Feministen und Ehrenmann« Yung Hurn liefern durchaus Komisches ab. Und erinnern zugleich mit ihrem Nihilismus und der absichtlichen Vermeidung von Sinnaufgeladenem an die Dada-Bewegung.
Das Spektrum an Humoristischem im deutschsprachigen Rap ist also erheblich diversifiziert. Ob man nun Yassin, der mit Blähungen und Hartz-4-Ernährung auf dem Konzert seiner Hater auftaucht, witzig findet, sich einen Schmunzler nicht verkneifen kann, da sich hinter Flers blauen Augen mutmaßlich ein Jochbeinbruch verbirgt, oder man herzhaft über die Orsens lachen kann – es bleibt immer Geschmacksache. Humor ist eben ein subjektives Phänomen.
Und dennoch: Auf den Humor von SSIO scheinen sich alle einigen zu können. Alle, ausnahmslos alle, die man befragt, weil man zufällig einen Text darüber schreiben soll, finden den Typen witzig. Er ist sozusagen der Loriot des Deutschraps.
Wieso hat eigentlich niemand wirklich etwas gegen SSIO und wieso finden wir ihn überhaupt so witzig?
Um zu verstehen, warum SSIOs Humor so gut funktioniert, warum er so viele hinter seinem Humor versammeln kann ohne Allgemeinplätze abzufragen, muss zunächst Humor als Phänomen genauer betrachtet werden.
Was ist also eigentlich Humor, wieso finden wir an etwas Komischem Gefallen und lachen letztlich darüber?
Humor lässt sich zunächst einfach als Disposition beschreiben. Er ist die Haltung eines Individuums den Dingen gegenüber und meint die Fähigkeit der Beschissenheit der Welt etwas entgegenzusetzen. Während nun also Humor etwas ist, das man hat, muss Komik (z.B. ein Witz) gemacht werden.
Sie braucht immer ein Überraschungsmoment und ist ein Spiel mit Erwartungshaltungen, die sie zu unterlaufen versucht. Komik lebt von Inkongruenz und Ambivalenz. Sie wirft also Widersprüche auf, über die dann letztlich gelacht werden können. Wenn etwas innerhalb einer erwartbaren Situation eben dieser zuwiderläuft, kann das komisch sein. Im Gegensatz zum Humor, der sich aus dem Subjekt selbst generiert, hängt Komisches immer an Objekten, die in ihrer Widersprüchlichkeit von der relativen Wirklichkeit der Wahrnehmenden abweichen.
Ein guter Witz, könnte man sagen, stellt die Wirklichkeit in einer überzeichneten Art und Weise dar und weist somit auf das tatsächliche Absurde unserer Alltäglichkeit, die wir sonst nicht wahrnehmen – eben weil sie alltäglich ist. In jedem Witz und in jedweder Komik muss also etwas Wahres bzw. etwas wahrhaft Menschliches sein.
Es kann z.B. schon witzig sein, wenn jemand von einer gängigen Konvention abweicht oder sich in einer uns bekannten Situation (unserer Meinung nach) unangemessen verhält. Lustige Tiervideos und Memes funktionieren so. Tiervideos erscheinen uns nur dann als besonders witzig, wenn wir im Verhalten der Tiere entgegen ihrer Anlage menschliche Züge zu erkennen glauben. Und auch Memes (»that moment when…«) erinnern uns in überzeichneter Form daran, wie wir in einer ähnlichen Situation reagieren würden oder vielleicht sogar schon reagiert haben.
Im Optimalfall teilen sich komisches Objekt und auffassendes Subjekt für das Funktionieren von Komik den gleichen Bezugsrahmen, d.h.: Erzählt man einen Witz, sollten die Empfänger des Witzes über das gleiche Vorwissen verfügen. Eure Eltern werden demnach das Fler-Interview, über das ihr herzhaft lachen konntet, mangels Zugang zur Jugendkultur, kaum lustig finden. Sich wohl aber darüber freuen, dass ihr über irgendwas lacht.
SSIO gelingt es wie keinem anderen, gemeinsame Bezugsrahmen mit dem Hörer aufzubauen und sie mit Dingen zu füllen, mit denen sich HörerInnen identifizieren können. Dazu kommt: das Geschick, mit dem er solche Dinge aufgreift.
Sowohl Rapmusik als auch Komik leben von Referenzen, die von ihren RezipientInnen erkannt werden müssen – funktionieren aber nie nur durch bloßes Kopieren, sondern immer nur dann, wenn sie ihrer Referenz neue Facetten abringen. Dadurch, dass bei SSIO nichts außer der Sound selbst sich der Bezugsquelle (Raps golden era nämlich) verschreibt, kann ihm nicht passieren, was seinen Straßenrapkollegen in der Regel oft passiert: Sie werden ironisch gefeiert.
Wurden Haftbefehl und Celo & Abdi noch oft belächelt, ironisierend als »Assis« abgefeiert und als Ghetto-Kuriositäten herumgereicht, funktioniert das bei SSIO einfach nicht. Die Kunstfigur bricht ihre Klischee-beladenen Aussagen stets selbst-referentiell.
Dadurch ergeben sich andere Ambivalenzen und Lesarten. Entscheidend sind dabei zwei Dinge: a) was die RezipientIn als die Ordnung empfindet und b) wie sie die im Text/Video vollzogene Abweichung von dieser bewertet. Hält sie die Abweichung von der Ordnung als versehentlich, distanziert sie sich. Die Folge: das komische Objekt wird ver-lacht. Dieses Lachen ist dann der kollektive Gewaltakt einer Mehrheit, die eine bestimmte Ordnung für richtig hält, gegenüber einer scheinbar unangepassten Minderheit.
Exemplarisch kann man SSIOs gemeinsamen Track mit Haftbefehl heranziehen, »Pissstrahlen auf 808 Beats«. Während Haftbefehl über »Kilos« rappt und mit seinen Antiamerikanismen nahtlos ans Konspirative aus »Unzensiert« anknüpft, lässt SSIO Facebook-Gangster bauchtanzen und zwingt Gargamel und Schamhaargel in einem Reim zusammen, dass einem die Haare zu Berge stehen.
Mangelnde Distanz auf der einen, eine Menge davon auf der anderen Seite. ###CITI:»Mit Bushido möchten die meisten kein Bier trinken gehen. Schon deshalb kann er nur schwerlich witzig sein.«:### Während Hafti schon alleine durch das, was er ernsthaft dazustellen scheint (seinen Habitus und den gewohnten realisierten Sprachmix) per se vom gesellschaftlichen Status Quo abweicht und somit als komische Figur wahrgenommen werden kann, entzieht sich die Kunstfigur SSIO dieser Lesart. SSIOs Part, der sich zwar inhaltlich um dasselbe dreht, textlich aber alles ins Absurde gleiten lässt, weicht einerseits von der relativen gesellschaftlichen Konvention ab, andererseits aber auch von regelhaften Norm von Street-Rap bzw. Gangstarap selbst (die selbst ja von ironisch Feiernden als »verkehrt« wahrgenommen wird). Er treibt die Abweichung bewusst voran und kann somit keine lächerliche Figur mehr sein, wohl aber eine Komische.
Es wird nicht nur mit SSIO gelacht, sondern mit ihm über andere Straßenrapper. Warum aber?
Die meisten Hip-Hop-Medien halten seine ironische Haltung zur Straßenrapszene für den Grund. Das hieße aber, dass er sich eben davon distanzierte. Was er aber nicht macht. Er lässt zwar immer wieder Selbstironie durchschimmern, die sich aber wie das Wort schon suggeriert, immer nur auf die eigene Person bezieht, nie aber auf die Straßenrapszene als solches. SSIO bemüht zwar alle gängigen Themen dieses Subgenres (dealen, pumpen, ficken) und überzeichnet diese – dabei distanziert er sich aber nie von der Szene, sondern nur von sich selbst. Im Gegensatz zu beispielsweise Haftbefehl, der weder in seinen Texten weder zur Kunstfigur noch zu den Texten Distanz herstellt. Die Folge davon: Mit SSIO kann sich ein Großteil identifizieren – während Hafti eher auf Blockbuster-Niveau unterhält.
SSIO macht vor nichts halt, vor keinem Klischee, keinem Stereotypen, aber vor allem nicht vor der eigenen Persona. Textlich ist das allermeiste großer Unfug. SSIO ist durchgehend infantil-vulgär unterwegs, sich für keinen Kalauer zu schade. Da riechen Haze-Knospen wie »Arschlöcher von Südamerikanerinnen« – man lässt’s ihm durchgehen. Weil schon im Vorfeld klar definiert ist: Etwas anderes braucht man nicht zu erwarten.
Vulgärhumor, Kalauer und Teenagerscherze. Wo ist der Witz, und wenn dort einer ist, wieso scheint er sich nicht bereits nach einem Song zu erschöpfen?
Anhand einiger Beispiele lässt sich der Humor des Rappers am besten festmachen. In fast allen Videoauskoppelungen, die es von SSIO gibt, sind Sketche nach klassischem Schema eingewoben.
In dem Video zu dem Song »Unbekannter Titel« aus »Spezialmaterial« ergibt sich ein Referenzwitz aus solch einem Sketch, der unvermittelt innerhalb des Videos (ab Minute 1:31) eingeschoben wird. SSIO klingelt dort an einer Tür, sein Bonner Kollege Obacha öffnet. Eine klassische Dealer-Transaktion bahnt sich an (»Hast du die Sachen dabei?«). Er betritt die Wohnung und packt seinen Rucksack aus. Wider Erwarten kommen nun keine Drogen zu Tage, sondern eine Packung Crunchips Oriental, was von Reaf mit Ausrufen der Begeisterung zur Kenntnis genommen wird. Es folgen Chocomel (»Mein Herz bleibt stehen«) und Koalas, nur um dann letztlich doch Shit aus dem Beutel zu holen.
Ein klassischer, eigentlich strukturell konservativer Gag, der die Erwartungshaltung seines Publikums ganz einfach unterwandert und somit universelle Komik entwickelt. Jeder könnte theoretisch darüber lachen. Auf der zweiten Ebene ist es natürlich astreiner Kifferhumor, der ein ordentliches identifikatorisches Potential mit sich bringt. Ein ganz wichtiger Punkt. Der Betrachter kann zur Situation und den handelnden Personen Bezug nehmen. Dadurch findet er das Gesehene lustig – niemals aber lächerlich. Ein Bushido kann also beispielsweise schon deshalb nicht genuin witzig sein, da er einfach nicht als sympathisch empfunden wird. Man möchte kein Bier mit ihm trinken gehen.
SSIOs Videos erinnern stark an den früheren Eminem und dessen obligatorische Scherzvideos, die er traditionell zu den ersten Singleauskopplungen seiner jeweiligen Alben veröffentlichte.
Wie eben bei Eminen zeichnen sich auch SSIOs Videos durch eine extreme Detailverliebtheit aus und sind derart überladen, dass sich dort immer wieder Neues entdecken lässt. Die Komik ergibt sich sodann aus der Mischung aus zahlreichen Referenzen in Bild und Text, die immer ambivalent sind und mehrere Lesarten zulassen. Man kann in der Fülle an Gags, die beide am Fließband produzieren, dieses oder jenes übersehen, das Gesehene als Kalauer abtun (bzw. über diesen kichern) oder herzhaft lachen, versteht man die jeweilige Referenz.
So kann man sich darüber freuen wenn in der ersten Szene des »0,9«- Videos der angedeutete Blowjob in der Badewanne ausfällt, sich bei der untertitelten, asynchronen Bild-Text-Relation an regnerische Mittage mit Kinox.to erinnern. Genauso kann man die Cockpit-Szene (»Hakim, was machst du in meinem Flugzeug – Jeff, ich heiße Jeff«) übersehen, als Nonsens abfeiern, oder wissen, dass sich bei dem Schauspieler um den aus der nächtlichen Trashwerbung für ein Dating-Portal handelt, der dort den gleichen Spruch bringt.
Die Witzigkeit SSIOs lebt also von vielem. Besonders aber ergibt sie aus der Kunstfigur selbst, die sympathisch ist, in Interviews aus dem Nähkästchen plaudert, nichts und besonders sich selbst nicht ernst nimmt, in Verbindung mit der Musik, den Texten und Videos.
Obwohl SSIO mit »0,9« nahtlos an alte Erfolge anknüpft und eigentlich nichts geändert hat (er selbst rappt, dass es sich seit drei Alben beharrlich nur um »Drogen, Huren und immer um Mecces« drehe), gelingt es ihm weiterhin zu überraschen – und dadurch komisch zu bleiben.
Die Witzigkeit SSIOs ist also vielfältiger als zunächst angenommen und erschöpft sich nicht einfach in infantiler Vulgärpoesie.
SSIO arbeitet mit Ambivalenz und Inkongruenz und kann somit auf mehreren Ebenen die Erwartungen unterschiedlicher Hörergruppen unterlaufen. In der Mischung aus sympathischer Kunstfigur, die die verschiedensten identifikatorischen Potentiale mitbringt, den Videos, die aus an klassischen Sketchen, Slapstick und vielen referentiellen Details bestehen und dem ernsthaft betrieben Unernst, der immer wieder zu komischen Widersprüchen führt, liegt der Reiz. SSIO verkörpert das neuerworbene Selbstvertrauen postmigrantischen Raps in Deutschland als popkulturelles Genre, der nun auch mal einen Witz auf die eigenen Kosten macht und vertragen kann. Der Konsens über seinen Humor in der Szene rührt daher, dass er in seiner Bandbreite wohl jedem, der irgendwie rapmäßig sozialisiert worden ist, etwas bietet, über das gelacht werden kann. Man kann ihn als Parodie auf Straßenrap verstehen, sich als Kiffer mit ihm identifizieren, sich an Nonsens und Pennälerscherzen erfreuen, oder an den zahlreichen Referenzen ergötzen.