Nichts ist normaler als ein Rapper. Rapper sind ganz selten mal irgendwie abartig, sie sind meistens nicht anders als die Norm. Tatsächlich ist der Durchschnittsrapper hypernormal. Wenn die Gesellschaft sich gerade darauf geeinigt hat, dass es geil ist, hart zu sein, geben sich Rapper besonders grimmig. Wenn Reichtum allgemeinhin als erstrebenswert gilt, stapeln sie die Scheine. Bei umgreifendem Diskomuskel-Fetisch pumpt der Rapper hart für die Oberarm- und Brustmuskulatur.
Rapper sind normal, sie sind das überzeichnete Abbild dessen, was gerade Mainstream ist. Sie zeigen also nicht, wo es hingehen könnte – sie zeigen, wo es gerade lang geht.
Ingeborg Bachmann sagte mal, Literatur sei »ein nach vorn geöffnetes Reich von unbekannten Grenzen«. Rap ist meist ein nach vorne verschlossenes Reich und die Akteure haben meist ein ausgeprägtes Verlangen, die eigenen Grenzen zu definieren.
Das ist einer der Gründe, warum um ein Album wie »To Pimp A Butterfly« in den Feuilletons ein derart großes Aufsehen gemacht wurde: Weil es ein Werk war, das einen Möglichkeitsraum hinter der Norm anbot. Und dadurch nicht nur als Rap-Album, sondern auch als literarisches Werk rezipiert wurde.
Hinter die Norm will auch der Täubling. Ein bitterer Hasenmann, der es Mama nicht verzeihen kann, dass sie ihn damals nicht abgetrieben hat. Seine Texte sind nicht auf die Art und Weise »nach vorn geöffnet« wie Kendricks, obviously. Kendrick reicherte unglaublich wortgewandt den noch unbekannten Raum mit Erhofften an und schuf so eine Utopie in einer Zeit, in der es für people of color in den U.S.A so schwer war an die Gegenwart zu glauben, dass sich eine Zukunft erst recht keiner ausmalen konnte.
Beim Täubling gibt es keine Hoffnung. Der Raum, den er auftut, ist dunkel. Die Einladung erfolgt bei ihm, in dem er einem die Türe vor der Nase zuschlägt. Man sollte sie annehmen: Heute mal krank sein, heute mal falsch sein, heute mal die eigene Fantasie tatsächlich nicht steuern. Der Täubling öffnet Deutschrap in Richtung des Grotesken.
Sein Debütalbum pendelt zwischen plumpen Tourette für den »Oh ho-hat er das wirklich gesagt?«-Effekt, Humor, der zu betretenem Schweigen führt, und emotionaler, atmosphärischer Dichte.
»Ich habe mir einen Strap-On gekauft bei fetisch-abenteuer.org.vu, Hurensohn, den schnall ich mir ums Gesicht und nenne mich Professor Ficknase.«
Der Täubling
Vor sechs Jahren landete sein selbstbetiteltes erstes Video im Netz. Es sieht aus, als hätte sich Arca in eine deutsche Kleinstadt verirrt. Die Insignien bürgerlicher Tristesse (Gartenzaun, Ledersofa, lieblose Beleuchtung) treffen auf ihr – zumindest an der Oberfläche – genaues Gegenteil (Peitsche, Maske; geschminkter, sich oben ohne räkelnder Männerkörper).
Die Reaktionen auf YouTube damals: »Ist das abartig alle die das feiern wurden von ihren Eltern misshandelt« bis zu »oh mein gott ist das gut, das ist das krasseste der welt«.
Es ist wenig bis gar nichts bekannt über den Mann hinter Maske. Er hat vielleicht in Freiburg studiert, wohnt jetzt vielleicht in einer ostdeutschen Stadt, schreibt da vielleicht unter anderem auch Theaterstücke und/oder hat vielleicht einen einfachen Brotjob. Seine Einflüsse kennt man: Ober-Grantler Thomas Bernhard, Melancholiker Fernando Pessoa, Lyrik-Koksnase Georg Trakl, Ernst Jandl, Hölderlin, Bach.
Sein Debütalbum folgt einem Leitsatz von Trakls Zeitgenossen, Alfred Lichtenstein: »Wenn die Traurigkeit in Verzweiflung ausartet, soll man grotesk werden.« »Der Täubling« ist wahnsinnig geworden. Wahnsinnig dumm, wahnsinnig schlau, wahnsinnig witzig und wahnsinnig traurig. Es ist vor allem gegen alles geworden, gegen die Norm, gegen den Allgemeingeschmack und gegen das Selbst. Und damit steht es in der Raplandschaft ziemlich alleine da.
Groteskes ist rar im Rap. Der Täubling erklärt sich das mit dem für das Gerne so wichtigen Authentizitätsbegriff: »Diese sogenannten Rapper haben nichts zu sagen, deswegen reden sie über ihre belanglosen Privatleben und nennen das dann authentisch. Ist es authentisch, wenn ich Ihnen mein benutztes Taschentuch ins Gesicht werfe? Vielleicht, aber welchen Mehrwert hat das?«, fängt er seinen Rant an, um auszuführen: »Authentizität ist der Faschismus der Ängstlichen, da sie sich nicht selbst relativieren können, da sie Wahrheit zu besitzen glauben und diese dann beschützen müssen.«
Der Täubling ist auch: ein Snob. Ein hochnäsiger Clown, der sein Publikum bei Live-Konzerten mit angesabberten Zitronen bewirft. Ein naserümpfender Akademiker, der auf Facebook gerne hochgestochen schreibt und das mit trivialsten Beleidigungen mischt, was er für eine clevere Geste hält. Wer die Off-Kunst-Gallery-Besucherbrille abnimmt, wird dagegen sein: das ist ein Ekel, ein Unsympath, ein Besserwisser.
Der Typ, der dein Weltbild korrigieren will, wenn du einfach nur einen verfickten Drink bestellen möchtest. Einfach is’ nicht beim Täubling, Harmonie unmöglich, aber: »Wie soll ich Pazifist sein, wenn mein Herz schon schlägt?«. Er ist (natürlich selbsternannter) Doktor für angewandte Misanthropie. Warum er denn dann rausginge und vor Menschen auftrete, er könne ja auch zuhause bleiben? Darauf antwortet er: »Ich bin nicht gegen Menschen, ich bin gegen den Menschen.«
Den Menschen sieht er weit unter seinem Potential. Und so bleibt der Modus Attacke: provozieren, aufrütteln, aufrütteln, aufrütteln. Oder um es mit den Japanischen Kampfhörspielen zu sagen: stören, verstören und zerstören!
Beim Täubling ist der Raum nach vorne offen, weil seine Kunst der Auseinandersetzung bedarf. Hier kann gar nichts geschlossen sein, bevor sich der Betrachter nicht positioniert hat. Sind mir Zeilen von wegen »ich struggle härter mit der Sonne als Hannelore Kohl« zu krass? Finde ich einen Pimmel, der Erdbeeren zerklatscht, eklig (finde ich einen Pimmel an sich schon eklig)? Was provoziert mich und wo fangen für mich Tabus an?
Im Optimalfall wolle er mit seiner Musik »die Erkenntnisfähigkeit« weitertreiben. Sagt der Hasenmann, seine kranke Zunge schlabbert am Sekt, er rappt: »Ich habe Bushidos Schwanz gelutscht/ und es hat gut geschmeckt/ doch ich habe ihm danach eine falsche Nummer zugesteckt«.
Er hat es bequem da hinter seinem Hass und seiner Maske. Menschen aufwecken zu wollen, indem man sie schockiert, ist bekannte Praxis. Was ihr abhanden geht, ist der Respekt für den Raum des Gegenübers. Das Gegenüber zählt nicht beim Täubling, der einzige »Nicht-Penner« ist sein Alter-Ego Jean Baptiste – und trotzdem dreht sich die ganze Performance ja eigentlich um das Gegenüber, dessen »Erkenntnisfähigkeit« weitergetrieben werden soll.
Der schmale Mann in weißem Hemd und Hosenträgern ist ein widersprüchlicher Charakter. »Meine Misanthropie ist ja wie jede Misanthropie ein verzweifelter Wunsch nach tatsächlicher Solidarität. Ich bin, was ich verachte und doch sein muss. Narzissmus ist Selbsthass, das sind ja alles basics…«.
Basics, klar, der Zusatz musste sein. Unbelehrt kommt dem Täubling keines seiner verhassten Schafe davon.
»Aber ich kann nicht ganz ohne Menschen, deswegen lebe ich in einer Zweck-WG mit zwei taubstummblinden Fernfahrern, die ich sehr gerne habe – solang sie fernfahren«
Der Täubling, »September«
Es ist kaum verwunderlich, dass der Täubling ein ziemlich einsames und isoliertes Geschöpf ist. Die Einsamkeit drückt aus jeder Ecke des Albums, keine Features, stattdessen Zeilen eines Shut-Ins. Wiederum ein Thema, dass im Posse-fanatischen Genre Rap – Hashtag Crew Love – so gut wie gar nicht aufgearbeitet wird.
Beim Täubling ist es allgegenwärtig. Es presst das Album in diesen creepy Hinterraum, der kurz hinter der Fähigkeit liegt, »einfach leben« zu können. Eine solche Kammer selbst betreten zu können, bedeutet im Umkehrschluss, die Fähigkeit zu verlieren, im Alltag zu funktionieren, ohne sich ständig der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz bewusst zu sein. Die Unmöglichkeit zur Leichtigkeit.
So sieht der Mainstream aus. So sieht Instagram aus. Der Täubling ist das Gegenteil davon. Weil er negativ ist, weil er sich selbst nicht leiden kann, weil er hasst. Der Täubling ist durchaus ein Arschloch. Aber ein Arschloch hat halt mehr Tiefe als ein glatt gebügelter Mund.
Seine Absonderlichkeit, seine Widerlichkeit und sein Bejahen eines existentiellen Makels machen den Täubling jedenfalls zu einer Alternative. Willkommen ist sie nicht, dafür stresst sie zu sehr. Aber wichtig ist sie, denn dafür stresst sie genug.