Berlin, 2014, WG: Das sind die Eckdaten der Tristesse, aus der nur wenig später eines der prägendsten deutschen Produzententeams hervorgeht. Fiji Kris wohnt zu diesem Zeitpunkt gerade ein Jahr in der Hauptstadt. Ein Jahr voller Party und Turn Up, jetzt ist er fertig und pleite, befindet sich privat wie persönlich am Nullpunkt. Fizzle geht es nicht besser. Er kennt Fiji Kris noch aus den Clubs Deutschlands, die beide mit Reggae und Bassmusik bespielten. Nun hat Fizzle das Leben nach Berlin »geschissen«, Kris ihm ein Zimmer gegeben.
Fehlt awhodat, die einzige Urberlinerin in der Runde. Sie hat auch keinen wirklichen Plan, wie es bei ihr weitergehen soll. Was nun? Die drei beschließen Ernst zu machen, all in, und das ist keine Bauchentscheidung, sondern Kopfsache. Dem Entschluss ist es zu verdanken, dass es zwei Jahre später, mit Trettmann wieder ums Gefühl gehen kann. Wie Fiji Kris es während einer Lecture im Rahmen des »Bass Camp« der Red Bull Music Academy ausdrückt: »Wir machten den Kopf klar – und dann den Rest.«
Kitschkrieg steht für Atmosphäre. Das Trio baut nicht einfach nur Beats, sondern entwirft kohärente Stimmungen für die Künstler, mit denen es gerade arbeitet. Noch bevor es ans Produzieren geht, setzt sich das Team zusammen, um ein Ziel zu definieren und die Zutatenliste abzustimmen.
Dass die Beteiligten dabei nicht an aneinander vorbeireden, hat einen einfachen Grund: Das Kollektiv hat nicht nur ein gemeinsames Vokabular für musikalische Referenzen, es teilt auch das gleiche Lebensgefühl: den Hang zu gebrochenen Charakteren, zum Schönen im Unschönen.
Momente für die Musik
Hinter allen KitschKrieg-Produktionen kann man förmlich das Moodboard sehen. Dass Megalohs & Trettmanns »Herb & Mango« wie aus einem Guss nach 60s/70s Reggae klingt, gründet auf solchen Beschlüssen. Wenn einer EP ein thematisches Mosaiksteinchen fehlt, wird es auch in diesen Sessions aufgespürt. Und wenn Haiyti mit ihrem beständigen Ideenfeuer daherkommt, siebt Kitschkrieg aus: Was von diesem verballerten Denglish ist Schrott – und was wert, musikalisch aufbereitet zu werden? Fizzle und Fiji Kris haben zwei Lektionen in ihren jeweiligen Vorprojekten gelernt. Erstens: »Mit einer klaren Aufgabenstellung kann man einfacher produzieren«. Zweitens: »Teams aus möglichst unterschiedlichen Mitgliedern funktionieren am besten«.
Steht erst die grobe Richtung, zieht sich jeder auf seinen Kompetenzbereich zurück: Fiji Kris an die Miniklinke mit den zwei Boxen im Beatraum, Fizzle nach nebenan, wo er mit den Künstlern zusammen nach den passenden Textfragmenten sucht. Auf das Cover kommt, was awhodat für richtig hält. Das Artwork soll bei KitschKrieg weit mehr als nur das Drumherum sein. Ihre Bilder, die mehr verschweigen als verraten, dienen laut Fiji Kris dazu, »Momente für die Musik zu schaffen«. Verbunden sind sie währenddessen über Dropbox. Cloudrap eben.
Die Arbeitsteilung hat sich bewährt, denn der Output kann sich sehen lassen: Eine Trilogie mit besagtem Wahlleipziger, eine EP, auf der KitschKrieg der sonst so schrillen Haiyti persönliche Einblicke entlocken, die Platin-Platte »Palmen aus Plastik« von Bonez MC & Raf Camora. Unter anderem. Selten war ein Produktionsteam so präsent wie KitschKrieg. Und so produktiv.
Die drei Kitschkrieger eint der Anspruch, nicht nur den Moment zu bedienen, sondern ein Gesamtkunstwerk zu schaffen; eines, das auch noch nach zehn, fünfzehn Jahren Sinn macht. Und das Ideal eines »funktionierenden Minimalismus’«. Der KitschKrieg-Qualitätsstandart fußt auf Live-Erfahrung und vor allem in der Dancehall: Fünf bis zehn Soundeffekte knallen besser als fünfzig. »Drums und Bass«, erklärt Fiji Kris, »alles steht und fällt damit«.
Aber wann ist es genug? Wann das Ziel erreicht? »Wenn awhodat weint«, kommt es prompt von Fizzle. »Dann ist es ein Volltreffer«.