Jóhann Jóhannsson hatte viele Themen, sein prägendstes aber war die Trauer. Seine Alben, sogar die Auftragsarbeiten fürs Theater und mal kleinere, mal größere Filmproduktionen, waren Monumente der Trauerarbeit. Große Verluste ließ er in noch größerer Hoffnung aufgehen. Nun trauert die Musikwelt um ihn. Der isländische Komponist wurde am 9.2.2018 tot in seiner Berliner Wohnung aufgefunden.
Trauer ist nichts ohne die Erinnerung. Mit Alben wie »IBM 1401, A User’s Manual«, »Fordlandia« oder dem Soundtrack zum Dokumentationsfilm »The Miners’ Hymns« erinnerte Jóhannsson an die mal naiven, mal enttäuschten und immer noch nachwirkenden Visionen besserer Welten. Beispielsweise die Utopie einer Welt, die sich durch Technologie aus dem Schlamassel befreien kann. Oder die Utopie einer Welt, die sich ohne Rücksicht auf Verluste mobilisieren wollte, um Grenzen Geschichte werden zu lassen. Die Vision einer klassenlosen Gesellschaft, die sich gegen die Alternativlosigkeit des Kapitalismus aufbäumte. Jóhannsson hat das alles aber nie verklärt, sondern intensiv beleuchtet. Mit den mächtigsten Bässen, die im 21. Jahrhundert zu hören waren. Mit den höchsten Streicherkämmen und flammenden E-Gitarren. Mit brutzelnder Elektronik oder mit schlichter, ohrenbetäubender Stille.
Trauer ist nichts ohne die Zukunft, dem zaghaften Abklingen der utopischen Ideen ebenso wie ihrer Wiederkehr. Aus den stillsten und melancholischsten Stücken wie den epochalsten Orchesterarrangements sprach bei Jóhann Jóhannsson immer auch der Glaube daran, dass es in auf Erden noch etwas Besseres geben kann und wird. Dass es bevorsteht, solang wir darauf auch warten müssen.
Um Jóhannsson zu trauern heißt also einerseits, sich an ihn zu erinnern. Als Arbeitstier, wie es seine langjährige musikalische Begleiterin Hildur Guðnadóttir tat Als jemanden, der die Oscar-Verleihung sausen ließ, um vor ein paar hundert Leuten in Australien zu spielen Als jemanden, der die Arbeit eines ganzen Jahres einstampfte und seinen Auftraggeber davon überzeugte, dass dessen Film besser ohne Musik funktionieren würde Als jemanden, der unbeschwert zwischen klassischer Musik, Avantgarde, Electronica, Rock und Pop vermitteln konnte, weil er ein Herz für alles davon hatte. Als jemanden, der dieser Welt Musik gab, wie sie noch nie zuvor zu hören war. Als Vorbild. Als Freund. Als Vater.
Sich an Jóhannsson zu erinnern heißt aber auch, das Versprechen anzunehmen, das er mit seiner Musik abgelegt hat. Es ist das Versprechen einer Zukunft. Vielleicht sogar einer besseren.
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Hatte »Englabörn« schon bewiesen, dass Jóhannsson aus dem Kleinen das Große herauskehren konnte, ohne in den Hans-Zimmer-Overdrive-Modus zu gehen, tat »Virðulegu Forsetar« das 2004 umso mehr. Das einstündige, in vier Sätze aufgeteilte Stück erinnert einerseits an die im selben Jahr erscheinenden »Disintegration Loops« von William Basinski wie ebenso an die pastorale Romantik eines Richard Skelton und tauscht die Miniaturformen des Vorgängers gegen einen im wahrsten Sinne kathedralischen Sound ein: Uraufgeführt wurde »Virðulegu Forsetar« 2003 in einem isländischen Gotteshaus. Bei Sonnenuntergang, versteht sich, während zur gleichen Zeit blaue, mit Helium gefüllte Luftballons langsam auf den Boden des Kirchenschiffs hinabsanken. Die perfekte, kitschy-but-conceptual-Begleitung für ein Stück, dessen ausschweifende Bewegungen sich immer mehr verlangsamen und schließlich in andächtiger Stille versumpfen. Der langsamste Mahlström aller Gefühle.
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