Zunächst muss erst einmal ein mögliches Missverständnis aus dem Weg: »My Life in the Bush of Ghosts« von Brian Eno und David Byrne gilt als früher Meilenstein des Sampling im Pop. Dabei war die Platte, obwohl es digitale Sampler wie den Fairlight CMI zur Zeit der Aufnahmen zwischen 1979 und 1980 schon gab, noch analog mit Tonbändern entstanden, mithin in echter Handarbeit.
Die Platte war auch nicht die erste, die Samples von Tonbändern im Pop verwendete. Brian Eno gab 2001 zu Protokoll, dass Holger Czukays Einsatz von Diktiergeräten ein frühes Beispiel für dieses Sampling im weiteren Sinn sei. Bands wie Throbbing Gristle Cabaret Voltaire oder Negativland waren mit ihrem musikalischen Einsatz von Tapes ebenfalls eher da. Auch das Mellotron, dessen per Tastatur spielbare Streicheraufnahmen von Bands wie King Crimson bekanntgemacht wurden. Oder vielleicht »Revolution 9« von den Beatles? Ohnehin war die Musique concrète in den 1940er Jahren wohl die erste Form von systematischem Sampling.
Was »My Life in the Bush of Ghosts« von diesen vorangegangen Versuchen unterscheidet, ist zunächst einmal der »Weltmusik«-Pop-Charakter der Platte, der ihr seinerzeit zweistellige Plätze in den britischen und den US-Charts bescherte. Was auch mit der spezifischen Herangehensweise des Duos, genauer, dem Kräfteverhältnis zwischen Samples und anderen Instrumenten zu tun hatte. Eno, Byrne und ihre Gastmusiker liefern Grooves, backing tracks, während sie den Stimmen, um die es sich bei den Samples in der Hauptsache handelt, den Vortritt lassen. So wird in »Regiment« aus der Kombination des von der Schallplatte »The Human Voice in the World of Islam« (1976) entlehnten Gesangs der libanesischen Sängerin Dunya Yunis (auf dem Cover »Yusin« geschrieben) und des trockenen Funks, den Talking Heads-Schlagzeuger Chris Frantz, Perkussionist David van Tieghem und vor allem der hemmungslos slappende Bassist Busta Jones servieren, eine Ethno-Nummer, die zum Tanzen nötigt.
Kulturelle Aneignung, so der Vorwurf. Westliche Musiker, die sich des Erbes anderer Kulturen bedienen. Dürfen die das?
In anderen Stücken bekommen die Stimmen mehr Collage-Charakter, werden gesprochene Satzfetzen repetitiv in den Beat integriert. Das gilt besonders für »America Is Waiting« mit einem entrüsteten Radiomoderator aus San Francisco als Star, für den New Yorker Telefon-Talkradio-Dialog eines Hörers mit einem Politiker samt tribalistisch rollender Perkussion in »Mea Culpa« oder für »Help Me Somebody«, die aufgekratzte Funk-Predigt von Reverend Paul Morton aus New Orleans. Das Sampling bekommt dadurch fast einen traditionellen Charakter, was die Rolle der Stimme betrifft, innovativ ist es hingegen durch dessen Simulationscharakter. Niemand der Gäste war schließlich im Studio dabei.
Was zu einem der großen Kritikpunkte an der Platte führt. Denn neben Dunya Yunis, die in gleich zwei Nummern auftaucht, gibt es mit Samira Tewfik eine weitere libanesische Sängerin, die auf dem Album (dort als ägyptisch bezeichnet) ihre sanglichen Fähigkeiten beisteuert. Kulturelle Aneignung, so der Vorwurf. Westliche Musiker, die sich des Erbes anderer Kulturen bedienen. Dürfen die das? Notiz am Rande: Die erste Auflage der Schallplatte enthielt am Anfang der B-Seite noch den Titel »Qu’ran« mit Aufnahmen einer algerischen Koran-Rezitation. Ein Jahr später wurde er in der nächsten englischen Auflage durch »Very, Very Hungry« ersetzt. In der erweiterten Neuauflage von 2006 ist »Qu’ran« nicht enthalten.
Ist das imperialer Global-Pop? Zur Verteidigung von Brian Eno und David Byrne könnte man eine naive Neugier auf Dinge jenseits der eigenen Haustür unterstellen. Zumal beide Musiker sich auf unterschiedliche Weise, Byrne mit dem interkontinentalen Pop auf seinem Label Luaka Bop, Eno mit seinem Engagement etwa für Afrobeat, für die Wahrnehmung von musikalischen Kulturen außerhalb Europas und der USA eingesetzt haben. Und wenn der Stimmenklau auf »My Life in the Bush of Ghosts« das Interesse an Künstlern wie Samira Tewfik oder den afroamerikanischen Moving Star Hall Singers, die ebenfalls ihren Auftritt haben, wecken sollte, wird die Welt der Hörer dadurch zumindest nicht kleiner. Was den Einwand der imperialen Geste gleichwohl nicht entkräftet. Der Titel der Platte stammt übrigens vom gleichnamigen Roman des nigerianischen Schriftstellers Amos Tutuola, einer märchenartig-kindlich gehaltenen Geschichte von Flucht vor Sklaverei ins Totenreich. Hätte ich ohne das Album womöglich nie gelesen.