Das Wiener Electro-Duo HVOB brettert mit Gefühl

05.04.2022
Foto:Andreas Jakwerth © PIAS
Das Wiener Electronic-Duo HVOB legt auf »TOO« den Darkroom mit Luftpolsterfolie aus und erklärt im Interview, warum Techno brettern und trotzdem fragil sein kann. Und was Blümchen mit dem Sound zu tun hat.

»TOO« sei ihr härtestes und weichstes Album, sagen HVOB. Deshalb prügelt das Wiener Electro-Duo von der ersten Sekunde mit Kickdrums, die als Nachmittagsekstase taugen – und das »Liebliche« vom Darkroom in den Co-Working-Space verlagern. Eine Entwicklung, die den Zeitgeist einfängt. Schließlich wollen alle raven, bis die Abrissbirne bimmelt. Das war vor zehn Jahren anders. Damals veröffentlichten Anna Müller und Paul Wallner auf Oliver Koletzkis Stil vor Talent. Der Sound war aus Zuckerwatte, die Melodien ein Kaugummiautomat. Seitdem spielen HVOB ausverkaufte Shows auf der ganzen Welt, treiben Cercle-Streams in Millionenhöhe und schreiben schon mal eine Downtempo-Platte mit Ex-Mumford & Sons-Spezi Winston Marshall. Warum es jetzt trotzdem brettern muss, erzählen Müller und Wallner auf ihrer Dachterrasse in Wien. Außerdem erklären sie, warum man Eltern zuhören sollte, was Blümchen mit dem neuen Sound zu tun hat und wieso Idole unsere Illusion zerstören können.

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Das Album beginnt mit einem Stück, auf der eine harte Techno-Kick durchmarschiert, als müsste zuerst etwas Altes zerstört werden, bevor Neues entstehen kann.
Paul Wallner: Altes niederzureißen war nicht geplant. Wir wollten es mit Neuem verbinden. Die erste Nummer entstand ohne große Gedankenspielerei. Am Anfang war die Kick, die für uns beide frisch klang.
Anna Müller: Wir haben den lieblicheren HVOB-Sound mit der härtesten Kick der Platte verbunden. Vor dem Release der Single war ich aufgeregt, weil ich gewusst habe, dass es sich von dem Sound unterscheidet, mit dem man uns verbindet. Die Leute haben den Song aber positiv aufgenommen. Der Tenor war: Das ist HVOB – aber irgendwie anders. Mein Bauchweh war weg.

Bauchweh kann auch ein gutes Zeichen sein.
Paul Wallner: Natürlich, trotzdem ist die Platte ein Schritt. Nicht unbedingt nach vorne, aber zumindest zur Seite. Wir wollen die Wiederholung nicht bewusst vermeiden, es wäre aber fad, andauernd dasselbe zu produzieren. Deshalb suchen wir uns Dinge, die wir anders machen. Wer weiß, vielleicht wird es auf der kommenden Platte noch schneller?

Das entspräche dem Zeitgeist – alle wollen raven!
Anna Müller: Wir bekommen schon mit, was um uns herum passiert. Das sind Sounds, die ich spannend finde, deshalb schlägt sich das auf unseren Sound nieder.

Trotzdem hast du gerade das »Liebliche« in eurem Sound erwähnt.
Anna Müller: Wir haben es nicht verloren. Das Liebliche, das bin auch irgendwie ich – allein schon wegen meiner Stimme. Wir haben es nur anders verpackt.

Wie meinst du das?
Anna Müller: »TOO« ist unser härtestes und weichstes Album. Wir haben zwei Extreme herausgearbeitet, die sich aufeinander beziehen. Das geschah nicht bewusst. Es ist einfach passiert.
Paul Wallner: Wobei wir das doch immer schon kombiniert haben, nicht? Das fängt bei »Trialog« an und zieht sich durch. Wir haben die beiden Pole nur weiter auseinandergetrieben. Je härter die Nummer, desto melodischer darf es sein.

»Das ist das Magische an Musik, dass man sein eigenes Gefühl hineinlegen muss, damit sie etwas auslöst.«

Anna Müller

Kann sich das Verspielte hinter der Fassade harter Tracks verstecken?
Anna Müller: Ich habe keine Angst vor Pop, Melodie und Verletzlichkeit in der Musik. Deshalb habe ich auch nicht das Gefühl, dass wir in unserer Musik etwas verstecken müssen, im Gegenteil: Wir müssen zu 100 Prozent dahinterstehen können.
Paul Wallner: Und bei »Bruise« musste es eben brettern!
Anna Müller: Gleichzeitig gefällt mir dieses trancige Element. Die Melodie öffnet den Song.

Das lässt sich im Techno wahrnehmen. Die Angst vor der Melodie ist weg.
Anna Müller: Es erinnert mich an den Sound meiner Kindheit. Mit zehn hatte ich Blümchen und Die Schlümpfe, das ging total in eine Happy-Rave-Richtung – und war 20 Jahre lang wirklich uncool. Jetzt kommt dieser Sound wieder.

Wir bewegen uns im Loop!
Anna Müller: Wir kommen in ein Alter, in dem man merkt, dass Dinge sich wiederholen. Wenn meine Eltern damals meinten, dass die Dinge aus den 60ern und 70ern wiederkämen, konnte ich das nicht nachvollziehen. Mittlerweile merke ich, dass es stimmt– aber das liegt wohl auch am Älterwerden.

Gibt es einen Ausweg aus der Schleife oder muss man es embracen?
Anna Müller: Die Rave-Musik gefiel mir schon mit zehn. Ich merke, dass Menschen, die 15 Jahre jünger sind als wir, diese Musik hören – und voll dazu stehen. Das ist lustig, aber vor allem befreiend! Schließlich realisiert man, dass Musik oft in Gedankenkäfigen steckt, so nach dem Motto: Nur weil etwas gerade als uncool gilt, darf man es nicht hören. Dann kommt es 20 Jahre später wieder und wird gefeiert. Daran erkennt man, wie meinungsbildend Musik ist. Weißt du, was ich meine?

Sie bildet gesellschaftliche Muster ab, ja.
Anna Müller: Genau! Sie steckt zu oft in Zwängen oder Meinungen, bei denen es nicht darum geht, ob es einem gefällt oder nicht, sondern ob es gesellschaftlich akzeptiert wird. Deshalb will ich an alle Menschen appellieren, das zu hören, was gefällt – und nicht, was in einer Gruppe von Menschen akzeptiert wird.

Der Prozess, wie sich zuvor Nicht-Akzeptiertes in etwas wandelt, das plötzlich wieder akzeptiert wird, ist spannend. Man merkt, dass nichts fix ist.
Paul Wallner: Ist es nicht immer so im Leben? Der Mensch lebt von seinen Erfahrungen und entwickelt Neues anhand der Erfahrungen, die er macht. Das lässt sich genauso auf Musikstile umlegen. Es entsteht nicht einfach Neues, es ist ein Prozess, der ein Davor kennt. Was heute fresh ist, ist eine Kombination aus bestehenden Stilen, die sich neu anordnen. Deshalb ist es schön, wenn man das Bestehende zitiert, aber anders zusammenfügt. Würde man eine Trance-Platte machen, so wie sie damals produziert wurde, wäre das heute wohl auch nicht akzeptiert…

Na ja, wobei …
Paul Wallner: Ja, eh! Ich kann mich mit allen Musikstilen anfreunden, auch im Trance gibt es gute Nummern! Deshalb darf man das auch zitieren, wenn man es in eigenes Gewand packt.

Da schwingt eine positive Nostalgie mit, oder?
Anna Müller: Ja, unbedingt. Das darf auch sein.

»It‘s the hardest thing to choose, what to keep and what to lose«, singst du auf »Bruise«. Was begleitet diese Entscheidung?
Anna Müller: Es spiegelte eine Situation wider, die man nicht ändern will, obwohl man weiß, dass man sie ändern muss, weil es anders nicht weitergehen kann. Diese Entscheidung hat viel mit Schmerz zu tun – und wie viel Schmerz man aushalten kann oder ertragen möchte. Darin können sich viele wiedererkennen, auch wenn ich nur über meine Erfahrungen spreche.

Man kanalisiert den Schmerz und führt die Entscheidung über in einen hedonistisch anmutenden Sound.
Anna Müller: So habe ich es noch nicht gesehen, aber das Bild ist stimmig. Der harte Beat treibt die Entscheidung an. Es ist das sture Durchziehen, das schmerzvoll sein kann.

Gleichzeitig spielen viele Texte der Platte auf einen Selbstzweifel an. »Only with a hole in my body I feel alive.« Du durchdringst dich und gehst dadurch aus dir heraus.
Anna Müller: So höre ich es zum ersten Mal. Das ist spannend, weil ich merke, dass viele Menschen verschiedene Ansichten in die Texte einbringen.
Paul Wallner: Es gibt nicht die eine Wahrheit hinter einem Track. Sie liegt vielmehr in einem selbst. In dem Moment, in dem ich einen Song höre, ist er meine Gedankenwelt. Das ist wie in der Kunstausstellung: Nicht die Beipackzettel lesen, sondern das Bild auf sich wirken lassen. Schließlich soll es etwas auslösen. Das funktioniert nicht, wenn es mir jemand erklärt.

Trotzdem wollen viele eine Erklärung.
Anna Müller: Diesen Ansatz habe ich nie verstanden. Musik ist Hören und das Auslösen eines Gefühls – wie wirkt das Ganze auf mich?
Paul Wallner: Man kennt das von Liedern, bei denen man den Text nicht versteht, deshalb einen eigenen hineininterpretiert und dadurch eine ganz andere Meinung dazu entwickelt.

Jede Person bringt ihren eigenen Erfahrungshorizont mit.
Paul Wallner: Teilweise existieren Lieder, die ich mir kaum anhören kann, weil ich sie mit bestimmten Gefühlen verbinde, die mich unendlich traurig machen. Trotzdem ist es mein eigenes Verhältnis zum Song und nicht das, was sich derdiejenige dachte, als ersie den Song schrieb.
Anna Müller: Das ist das Magische an Musik, dass man sein eigenes Gefühl hineinlegen muss, damit sie etwas auslöst.
Paul Wallner: Und bei jedem ist es anders. Selbst wenn ich als Interpreti*n eine Meinung vertreten will, kommt sie am Ende nicht an. Zumindest denke ich mir das, wenn ich meine Rolle als Zuhörer reflektiere. Schließlich müsste man alle Interviews des*der Künstler*in lesen, um zu verstehen, was gemeint ist. Das würde viel zerstören und wäre so, als träfe man sein Idol, um zu merken, dass die Person ganz anders ist, als man sie sich vorgestellt hat.

»Wir wollen die Wiederholung nicht bewusst vermeiden, es wäre aber fad, andauernd dasselbe zu produzieren.«

Paul Wallner

Man zerstört die eigene Illusion.
Paul Wallner: Ich war von meinen Jugendhelden maßlos enttäuscht, nachdem ich sie traf. Auf der anderen Seite gibt es Künstler*innen, deren Musik ich nicht mochte, die mich aber durch ihre Freundlichkeit überzeugt haben.

Bei jedem ist es anders.
Paul Wallner: Deshalb ist es auch so schwierig, darüber zu sprechen. Schlussendlich muss man diesen Free Space einfach preserven, weil ihn alle für sich nutzen können.

Wir müssen den Free Space preserven, gleichzeitig aber schauen, was passiert.
Anna Müller: Das sind schöne Worte. HVOB – wir schauen erstmal, was passiert.

Der ehrliche Weg!
Anna Müller: Voll! Wir können nur unser Bestes geben. Was damit passiert, können wir nicht beeinflussen.
Paul Wallner: Dabei ist es gerade beim Musikmachen wichtig, einen free space zu haben, oder? Dass man eben nicht darüber nachdenkt, was die Leute davon halten. Ansonsten würde es sofort zu einer Blockade führen.

Wie bewahrt man diesen free space? Er passiert ja nicht einfach so, oder?
Paul Wallner: Das ist eine schwierige Frage, über die ich lange nachdenken müsste, um eine fundierte Antwort geben zu können. Wahrscheinlich ist der free space das Ergebnis eines Prozesses, der über Jahre andauert. Gleichzeitig lässt sich das nicht so einfach runterbrechen. Wie gesagt: Es ist immer anders!