»Americana« ist der Sammelbegriff für die kulturelle Schöpfung der Vereinigten Staaten des letzten Jahrhunderts. Auf die Musik bezogen umfasst dies Folk, Blues, R&B und Country. Wer jetzt aufgehorcht hat, den muss ich allerdings enttäuschen. Aufschluss über den Inhalt gibt, wenn dann nur eingeschränkt, der Untertitel. Zweifellos entspringt dieses 70-minütige Kompendium aus dem tiefsten Inneren der Seele des Landes der uneingeschränkten Möglichkeiten, und abgerockt wird hier ohne Ende. Das Klangbild wird aber ebenso vom Jazz der Zeit geprägt, wie es auch überdeutlich den Werdegang des Disco ankündigt, welcher Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre begann. Emblematischer als die Mentalität dieser Jahre könnte keine Beschreibung sein – Nichts ist unmöglich, und alles ist erlaubt. Was nicht heißen soll, dass die Aufnahmen nicht von einem außerordentlichen musikalischen Handwerk zeugen. Denn dass tun sie, auch wenn solche Eunuchen-Falsette, wie sie hier von Anfang bis Ende präsentiert werden, heutzutage all zu oft mit einem Lächeln abgetan werden. Aber so wurde halt vor und in der Dekade abgefeiert, die uns Glam und Glitter beschert hat. Und so geht hier karibische Freizügigkeit Hand in Hand mit der Striktheit midi-akkurater Rhythmen. Ob nun bei einem Robotdance, wie ihn »Just One Touch« einfordert oder doch eher bei einem eng umschlungenen Balztanz, wie ihn »Here Is Where Love Belongs« vorgibt. So lange ordentlich Kitsch mit drin war, so kamen derlei Liebesoden zwischen West- und Ostküste ebenso so gut an, wie die Musiker auf diesem Album abgehen.
Julian Lage
Speak To Me
Blue Note