Review

Kreng

The Summoner

Miasmah • 2015

Es ist allzu leicht zu vergessen: Musik wäre nichts ohne die Stille, die sie umgibt. Weil sie Klang von Nicht-Klang trennt und Ordnung ins Chaos bringt. Stille kann ein Instrument sein, selbst wenn sie nur oberflächlich betrachtet eine solche ist. Mit am besten haben das Talk Talk verstanden, als sie »Spirit Of Eden« schrieben, ein Album, das die vermeintliche Stille zum stärksten Ausdrucksmittel erhob. Pepijn Caudron hat sich lange in Stille gehüllt, seit seinem Sample-lastigen letzten Studioalbum »Grimoire« verstrichen vier Jahre. Mit »The Summoner« entdeckt er nun passenderweise die Stille für sich. Wie jedoch bei Talk Talk ist es nur eine vermeintliche: In den Passagen des 42minütigen Albums, welche am untersten Rand der Wahrnehmung ablaufen, ist einiges zu hören. Das 12köpfige Ensemble zum Beispiel, das Caudron für die Aufnahmen um sich geschart hat, oder unterschwellige Drones oder Klackern und Fußstapfen. Das hat an sich schon einen aleatorischen Charakter, das wahre Chaos entfesselt sich jedoch erst dann, wenn die Streicher sich aufbäumen, in wilden Glissandi auseinanderstieben. Die wilden, so gar nicht stillen Momente von »The Summoner« erinnern wiederum an ein anderes musikalisches Vorbild, den griechischen Komponisten Iannis Xenakis, der in Stücken wie »Metastasis« seine Idee einer stochastischen Musik in erratischen Klängen aufgehen ließ. Anders als bei Xenakis jedoch standen bei Caudron nicht mathematisch-physikalische Gesetzmäßigkeiten Pate, sondern psychologische Prozesse. Genauer gesagt: Das Kübler-Ross-Modell, das in fünf Phasen der Trauerarbeit unterscheidet. Nicht genug für Caudron, der einer jeden der Stufen das perfekte auditive Äquivalent beiseite stellt, sondern mit dem fast 16-minütigen, titelgebenden Kernstück noch eine weitere einführt. Nach der »Depression« schreitet das mächtige »The Summoning« dahin, erst auf bassigen Rhythmen, dann mit den Wellenbrecher-Riffs von Caudrons belgischen Landsmännern Amenra, die mit ihrem unverwechselbaren Sludge-/Doom-Metal ein letztes, brutales Aufbäumen vor der allumfassenden »Acceptance« bereiten. Nach der folgt wieder diese Stille, die nur eine vermeintliche ist, das Chaos nur vordergründig glättet. Denn wie es so mit der Psyche ist: Nur, weil etwas vorüber ist, ist es noch lange nicht weg. »The Summoner« zumindest ist ein Wiedergänger, ein unheimlicher Monolith, der immer wieder durch die Schichten des Bewusstseins bricht und wie ein verzweifelter Schrei die Stille durchschneidet.