Review Electronic

Muslimgauze

Salaam Alekum, Bastard

Kvitnu • 2020

Bryn Jones hat sich selbst überlebt. Bis zu seinem überraschenden Tod am 14. Januar 1999 – hervorgerufen durch eine invasive Candidiadis, eine Pilzinfektion des Blutes – schickte der hochgradig kontroverse DIY-Eigenbrötler und Industrial/Tribal-Pionier jährlich Dutzende Tapes an Freunde wie Labels, meistens ohne Anweisungen, was damit zu tun sei. Anhören? Remixen? Veröffentlichen? Wegwerfen? Der Output des erstmals 1982 als E.G Oblique Graph in Erscheinung getretenen Jones provozierte auditiv, ästhetisch und politisch so ziemlich alle denkbaren Reaktionen: Von Faszination bis Abscheu, von Support bis Boykott. Keiner weiß genau, wie viele CDs und Tapes noch in Umzugskisten längst aufgelöster Labels oder in Archiven mittlerweile verstorbener Weggefährten des umtriebigen Produzenten schlummern, der als Muslimgauze (englisches Wortspiel aus muslin für Musselin, ein lockerer feinfädiger Stoff, und gauze für Dunst oder dünnes Gewebe) bis heute posthum neues Material veröffentlicht, meistens kuratiert durch Geert-Jan Hobijn, Staalplaat-Labelboss und faktischer Nachlassverwalter von Jones. Das 1995 veröffentlichte und nun erstmals vom Berliner Label Kvitnu auf Vinyl gepresste »Salaam Alekum, Bastard« zählt zweifellos zu den intensivsten Arbeiten, die während der 1990er Jahre unter dem verkokelten Muslimgauze-Banner vornehmlich im Okzident kursierten. Denn ein Land der arabischen Welt hat Jones zeitlebens nie betreten, gebar sich stattdessen eher als radikaler Begleitmusiker der britisch-muslimischen Diaspora, deren Community weder im Thatcherismus noch im Neo-Orientalismus Identifikationspunkte fand – und bis heute nicht findet. Es ist dieser Identitätsverlust, begründet in der angloamerikanisch forcierten Verwüstung von Kulturen im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika, dem hier Musik von einzigartiger Strahlkraft gewidmet wird. Zwischen den panischen Perkussionen des Titeltracks und dem räumlich-entrückten Oasen-Sound in »Dome Of The Rock«, zwischen dem Wüstendelirium »Haramzada« und dem polyrhythmisch kreiselnden »Cairopraktar« gelingt diesem Album tatsächlich beides: Losgelöst von politischen Kontexten operieren und doch durch sehr greifbare Atmosphären wandeln, die Bilder Jahrtausende alter Tempelruinen, dampfender Dronenwracks und flirrender Marktplätze von Damaskus bis Tripolis beschwören. Im mittlerweile hunderte Releases umfassenden Muslimgauze-Œuvre einer von vielen Höhepunkten.

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