Emily A. Sprague, die dreißigjährige Singer-Songwriterin im Zentrum von Florist, wirkte immer schon alt – oder zumindest so, als hätte sie das Schreiben von nachdenklichen Folkliedern bereits mehrfach durchgespielt: Der meditative Indie-Rock ihrer großartigen Band Florist findet stets ungewöhnliche Harmonie-Twists in einer traditionellen Form, ähnlich wie früher Elliott Smith oder heute Adrienne Lenker. Offene Major-7-Akkorde mit schimmernden Leersaiten, das Capo auf genau dem richtigen Bund positioniert, alles löst sich auf wundervolle Weise auf.
Reif wirkt Emily A. Sprague vor allem wegen ihrer Songtexte. Oft verpackt sie ihre Weisheiten in Fragen: »Can there be patience without fear?«; »Should anything be pleasure when suffering is everywhere?«; »What does it mean to dream of a car crash?«. Besonders die letzte Frage macht deutlich, dass ihr Lieblingsthema das Sterben, der Tod ist. Damit ist Sprague ständig beschäftigt, das war auf allen Florist-Alben so. Durch das Ende wird alles Vorherige erst bedeutungsvoll.
Jeden Tag wartet sie darauf, dass eine Tragödie geschieht, singt sie zu Beginn des neuen Florist-Albums »Jellywish« – und wird im weiteren Verlauf immer direkter: »Nothing is guaranteed but death“, singt Sprague an anderer Stelle. »The end is all I know«.
Stellenweise klingt es fast so, als sänge Emily A. Sprague aus dem Nachleben zu uns, als hätte sie ihr Leben bereits abgeschlossen und würde nun darauf zurückblicken. »Can you describe it to me now, how you feel being alive«, singt Sprague im Highlight »This Was A Gift«, während ihre Stimme zwischendurch in die Kopfstimme abdriftet. Oder noch konkreter:»I try to look at your face as if I’m alive«. Ja, in dieser Welt zu leben kann sich tatsächlich so anfühlen, als wäre sie bereits untergegangen. So bringen Florist die Vergänglichkeit des Lebens auf »Jellywish« auch mit dem Klimawandel in Verbindung, Sprague berichtet von Zukunftsängsten und befürchtet, bald keine Winter mehr zu erleben. »Does it feel like everything is melting here? Are we giving up now?«. Fragen über Fragen.
»What does it mean to dream of a car crash?«
Florist
Die Aussagen, die auf »Jellywish« getroffen werden, wirken noch direkter als auf früheren Alben von Florist; das gefällt mir gut und erscheint mit Blick auf die aktuelle Weltlage angemessen. Diese Geradlinigkeit taucht außerdem in der musikalischen Gestaltung auf: Im Vergleich zum vorherigen Album der Band, dem simpel betitelten Meisterwerk »Florist« (2022), ist die neue Platte Song-orientierter und kürzer. Synthige Ambient-Interludes bleiben diesmal aus, stattdessen ist »Jellywish« griffiger, greifbarer.
Es ist paradox, dass man das Wissen, irgendwann sterben zu müssen, als Mensch einfach ausblenden kann. Das wird jedoch immer schwieriger, dafür sorgt die Welt. Man wird zerbrechlicher – und als Schutzmechanismus außerdem dankbarer: Plötzlich findet man herzzerreißende Schönheit in jeder Ecke, ich kenne dieses Gefühl. Die Angst überkommt einen, man will sich ablenken und plötzlich fällt auf, wie schön der Baum auf der anderen Straßenseite eigentlich ist. »Can you love the cloud, just floating around?“. Auf diese Frage liefern Florist eine klar Antwort… Ja!
6 Million Ways to Cry
Im Sinne von ‚Womit hab ich das verdient!’ schaut man dann auf die Leute, die einen umgeben; womöglich sind sie das einzige Heilmittel, das tatsächlich funktioniert. So ist »Sparkle Song« eine Art Rezept zum Gesundwerden, das auf Zwischenmenschlichkeit und Dankbarkeit basiert: »Isn’t it amazing that we get to share this life?«. Was wirklich hilft, singt Emily A. Spargue, sind Menschen ohne Boshaftigkeit in ihren Augen. Wenn du selbst keine Liebe ausstrahlen kannst, häng dich an diejenigen, die das können! »I believe in you and our power«, heißt es einmal auf »Jellywish«. Du, unser Hund und ich im Garten – etwas Besseres kann Sprague sich nicht vorstellen.
»Isn’t it amazing that we get to share this life?«
Florist
Eben diese Zwischenmenschlichkeit wird auf »Jellywish« extrem deutlich. Auch wenn es stellenweise so klingt, als würde Emily Sprague alleine performen, ist ihre Band nie weit weg: Subtile Klangtupfer werden stilbewusst eingeworfen, nie machen die drei Instrumentalisten auf sich aufmerksam. Hört man jedoch genauer hin, stößt man auf geradezu melodisches Drumming, weiche Synthflächen, unprätentiöse Field-Recordings. »There will always be evidence of life«. Hoffnung in jeder Note, ein aktives Kontern gegen jegliche Depressionen.
Sich über’s Sterben intensive Gedanken zu machen, zu weinen und zu fühlen, das zeugt letztendlich von Lebendigkeit. »I will watch you cry for the rest of my life«. Das ist der Push zum Weitermachen, den Florist uns auf »Jellywish« schenken: Heul ruhig, ich mach mit! »I’m thinking about dying again, the only thing that visits my head now«, heißt es zu Beginn von »Started To Glow«. Doch dann: Im Refrain werden die Harmonien positiver, eine weitere Stimme dazu kommt dazu, es heißt »I’m not closing my eyes«.
Und in der zweiten Strophe träumt Emily A. Sprague nicht mehr vom Tod, sondern vom Fliegen.