»Ba-da-da-da-da-da-da« (im Highlight »2468«) oder »fa-fa-fa-li-la-di-da-la-la« (im Opener »Where’d You Go?«) oder »he sings‚ da-da-da-da-da-da-da-da-da-da-da‘« (in »Sport Meets Sound«): Nicht selten sind es diese, sich ständig wiederholenden Mantras, die den Indie-Rock von Horsegirl so catchy, so poppig machen. Hier bekommt der Begriff Dadaismus eine ganz neue Bedeutung. Ja, minimalistisch ist diese Musik, doch – anders als die eingangs beschriebenen Refrains vermuten lassen könnten – niemals stumpf. Denn in ihrer repetitiven Simplizität klingen Horsegirl äußerst frei. Durch subtile Verschiebungen wie klitzekleine Fehler, die im Proberaum passiert sind und dann integriert wurden, bleiben die Songs lebendig. Und zwar über die gesamte Laufzeit von »Phonetics On and On«, dem großartigen Zweitwerk dieser jungen Band.

Phonetics On & On Black Vinyl Edition
Horsegirl – nicht zu verwechseln mit HorsegiirL, einer populären Hardcore-DJ aus Berlin – ist ein Chicagoer Indie-Rock-Trio um Nora Cheng, Penelope Lowenstein und Gigi Reece. Und wenn ich Indie-Rock sage, dann mein ich auch Indie-Rock, denn die Band spielt das Genre so, wie es in den frühen Neunzigern angedacht war: roh, schrabbelig, eben anders als der in den Nineties sonst so dominierende Alternative-Rock. Schon auf dem 2022 erschienen Debütalbum »Versions of Modern Performance« fühlte man sich ständig an stilprägende Größen wie Yo La Tengo, Guided By Voiles oder Pavement erinnert; US-amerikanische (!) Bands, die wie Horsegirl auf dem legendären Label Matador Records veröffentlichten. Sicher ist, dass Horsegirl ein klares Produkt ihrer Einflüsse sind, doch daran war noch nie etwas verkehrt. Schon gar nicht, wenn es sich um so zeitlose Einflüsse wie jene Indie-Größen der 1990er Jahre handelt.
Dreimal die Woche den gleichen Traum
Produziert wurde »Phonetics On and On« von der Singer-Songwriterin Cate LeBon, die auch für ihre eigene Diskographie fantastische Platten macht und als helfende Hand bereits für Acts wie Wilco und Deerhunter wahre Wunder bewirkt hat. Möglicherweise war es ihr Input, der »Phonetics On and On« in eine Richtung geschoben hat, die im Vergleich zu Horsegirls Debütalbum »Versions of Modern Performance« deutlich aufgeräumter daherkommt: Der Sound ist weniger verzerrt und dröhnend, sämtliche Shoegaze-Einflüsse sind verschwunden, stattdessen klingen die E-Gitarren meist glasklar. Zuvor waren es außerdem oft Sonic Youth, mit denen Horsegirl verglichen wurden – eine Band, die vor allem für ihre lärmigen, dissonanten Gitarreneskapaden bekannt war. Auf »Phonetics On and On« tauchen solche Noise-Momente nur noch vereinzelt und kurz auf, anstatt dass sie die Platte größtenteils ausmachen. Klar, weiterhin werden scheinbar deplatzierte Noten in das Klanggerüst geworfen, aber anders als zuvor sind sie nun immer klar vernehmbar und gehen nicht im krachigen Soundmeer unter. Genau wie die Stimmen, die diesmal sogar verständlich sind…

Im Zuge dieser Defokussierung auf körperliche Energie klingen Horsegirl nun zerbrechlicher, introvertierter. Generell hat »Phonetics On and On« im Vergleich zum Debütalbum eine melancholischere Grundstimmung, ohne dabei sentimental oder weinerlich zu sein. »To have the same dream three times a week«, heißt es in der molligen Leadsingle »Julie«, was ja keine sonderlich traurige Zeile ist, aber dennoch eine gewisse Schwermut ausdrückt – soll heißen: In ihren atmosphärischsten Momenten fühlt das Album sich wie eine Art Drogenkater an. Auf bestmögliche Weise.
Vermutlich hätte man Horsegirl auch ein Zweitwerk verziehen, das sich ästhetisch mehr am Debütalbum der Band orientiert, aber durch die unüberhörbare Entwicklung ist »Phonetics On and On« natürlich noch befriedigender: »Where’d You Go?» bewegt sich irgendwo zwischen The Modern Lovers und Sixties-Garagenrock, in »2468» tauchen subtile Geigen auf, »Frontrunner» beginnt mit einer untypischen Akustikgitarre. Auch diesen Sinn für passende Ausweitungen des eigenen Sounds haben Horsegirl von ihren Indie-Vorbildern der Neunziger gelernt – genauso wie die Tatsache, dass jeder gute Indie-Song einen guten Popsong im Kern hat. Und auf »Phonetics On and On« fliegen Popmelodien aus jeder Ecke. Eben deshalb ist es ein so grandioses, eingängiges Album geworden. Ein richtiges Indie-Rock-Album halt.