Records Revisited: Jan Jelinek – Kosmischer Pitch (2005)

17.01.2025
Jan Jelinek kommt auf »Kosmischer Pitch« vom Hölzchen auf Stöckchen. Enstanden ist trotzdem ein Klangebilde, das die Zeit überdauert hat und bis heute stilbildend wirkt.

Mit klitzekleinen Details, die wie ein Schwarm Falter um den warmen Lichtkegel einer Straßenlaterne schwirren, nimmt uns Jan Jelinek auf seinem Album »Kosmischer Pitch« in eine Welt der Kleinstklänge mit. Zu Beginn mag es wie ein Durcheinander aus umherfliegenden Pünktchen wirken, doch nach und nach fügen sich diese Details zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2005 hat dieses Werk nichts von seiner faszinierenden Komplexität und seiner Bedeutung verloren – im Gegenteil, die Mikrostrukturen und ihre tiefe Wirkung sind nach wie vor ein zentraler Bestandteil von Jelineks einzigartiger Klangsprache.

Im Detail verarbeitet Jan Jelinek auf der Platte »Kosmischer Pitch« die Fragmente des Krautrock-Genres. Man darf davon ausgehen, dass er seine Inspiration aus dem Erbe der Krautrock-Pioniere der 70er Jahre schöpfte und diese Einflüsse mit seiner eigenen Vision einer meditativen und hypnotisierenden Klangwelt mischte. Dabei gelingt es ihm auf hochkonzentrierten Art und Weise, improvisierte organische Klänge mit denen des elektronischen Ambient zu verbinden. Wobei Ambient hier nicht nach ununterbrochen fließenden Synth-Melodien meint, sondern eher etwas lebendig Pluckerndes, das in seiner Gesamtheit zur Fläche wird.

Mit der Jahrtausendwende entwickelten sich vermehrt minimalistische Richtungen der elektronischen Musikszene, während die Mainstream-Genres Trance und Techno zunehmend in den Hintergrund rückten. Künstler wie Aphex Twin, die bereits in den späten 90er Jahren mit komplexen und experimentellen Klängen arbeiteten, begannen nun, die neuen Möglichkeiten der digitalen Produktion und fortgeschrittener Sampling-Techniken voll auszuschöpfen. Der 1971 in Hessen geborene Produzent Jelinek markiert mit seinen Werken »Loop-Finding-Jazz-Records« (2001) oder dem Nachfolger »La Nouvelle Pauvreté« (2003) genau diesen entscheidenden Moment in der Entwicklung der elektronischen Musik.

Mikrokosmische Musik

Und so enstand »Kosmischer Pitch« in eben der Zeit, in der sich elektronische Musik immer mehr der subtilen Detailarbeit zuwandte. Es ging darum, Musik zu verfremden, neu zu denken und sich von der damals dominierenden Mainstream-Dancefloor-Musik abzuheben. »Kosmischer Pitch« steht stellvertretend für diese klangliche Forschungsarbeit. Jan Jelinek tüftel an den Soundmaschinen, lässt jeden Titel aufeinander aufbauen und erschafft dabei eine mikrokosmische Klanglandschaft. Sie alle funktionieren am kraftvollsten im Gesamtzusammenhang, und es wäre fatal, einen einzelnen Titel als isoliertes Werk zu betrachten. Ihre schönste Wirkung entfaltet sich erst in der gemeinsamen Relativität, die sie miteinander bilden. 

Die Verzerrung herkömmlicher Instrumente und die minimalistische Struktur der Stücke gingen weit über das hinaus, was zu dieser Zeit üblich war.

Das Stück »Universal Band Silhouette« eröffnet das Album mit zarten Streichern, die bald von filigranen Akustikgitarren begleitet werden. Die Klänge schweben behutsam durch den Raum und gewinnen dabei zunehmend an Dichte und Volumen. Galaktisches Summen und überschwappende Vibraphone-Wellen kreieren eine kosmische Atmosphäre, die auf den Titel des Albums referiert. Mit Glockenspiel und Klaviermelodien nimmt Jelinek auf »Lemminge Und Lurchen Inc.« fahrt auf. Die metallischen Instrumente lassen den Titel einerseits düster und kalt erscheinen, während die warmen, fast jazzigen Klavier-Loops diese Dunkelheit nicht vollständig dominieren, sondern immer wieder kleine, lichtdurchflutete Akzente setzen. Das Besondere an allen Tracks sind die kleinen Sound-Details, die sich langsam in der Monotonie der Loops entfalten. Wabernde Synthesizer, verzerrte Field-Recordings und Kickdrums kreieren eine immense Intensität an Klängen, deren Wirkung weniger auf Tanzbarkeit und mehr auf hypnotisierende Dichte abzielt.

Das Album gilt als Vorreiter im Trend des Minimalismus in der elektronischen Musik. Es trug dazu bei, den Blick auf die Möglichkeiten elektronischer Musik als Kunstform zu erweitern und eine bis dato nischige Klangästhetik aus der Wiege zu heben. So trat Jelinek mit seinen Arbeiten über die Grenzen der Clubmusik hinaus und etablierte einen neuen Zugang zur elektronischen Musik. Die Verzerrung herkömmlicher Instrumente und die minimalistische Struktur der Stücke gingen weit über das hinaus, was zu dieser Zeit üblich war. Mittlerweile häufen sich die Ambiente-Alben. Das, was damals als Nische bezeichnet wurde, gilt heute als Trend. Vergessen werden darf nicht, wer hier die Vorarbeit leistete – immer wieder verfeinerte und neue Genres miteinander verschnürte. Jelinek ist einer dieser Urheber, dem wir eine wundersame neue Klangästhetik verdanken.